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"Ich bin gänzlich anderer Auffassung"

Zittaus Oberbürgermeister Thomas Zenker (Zkm) äußert sich in diesem Gastbeitrag zu den beiden offenen Briefen der Kritiker an den Corona-Maßnahmen.

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Zittaus Oberbürgermeister Thomas Zenker (Zkm).
Zittaus Oberbürgermeister Thomas Zenker (Zkm). © Matthias Weber (Archiv)

Von Thomas Zenker

Niemand ist gezwungen, auf offene Briefe zu antworten, besonders wenn sie unadressiert an die gesamte Öffentlichkeit gerichtet sind. Doch ich finde mich im direkten Empfängerkreis wieder, bin gänzlich anderer Auffassung und verantworte einen Teil der kritisierten Maßnahmen zur Corona-Prävention – zumindest in Zittau. Schon darum muss und will ich antworten.

Im ersten Brief wird pauschal denjenigen, die aktuell äußerst schwere Entscheidungen treffen müssen, die geradezu leichtfertige oder sogar die gewollte Gefährdung unserer Demokratie unterstellt. Jetzt ist schon drei Tage später ein zweiter Brief hinzugekommen, der nicht mehr „nur“ als Protestschreiben fungiert, sondern als Aufruf tituliert ist und auch noch an 1989 erinnert. Es soll scheinbar also gehandelt werden?

Ich bin klar dafür, dass eine Auseinandersetzung darüber stattfindet, ob und welche Einschränkung bürgerlicher Rechte angemessen ist, wie lange und mit welcher Begründung. Wäre dem nicht so, müssten wir schnellstens dafür sorgen. Ich gehöre nicht zu den unmittelbaren Entscheidern in Land und Bund, aber ich kann auf allen Ebenen unseres Staates erkennen, wie hart um jede Entscheidung gerungen wird, erlebe fortwährend, wie Verbände und Organisationen diese Entscheidungen mitdiskutieren, aktiv helfen, Auswirkungen abzumildern oder gar zu verhindern.

Ich lehne es ab, über Themen abschließend zu befinden, zu deren wissenschaftlicher Auslegung weder ein einziger der mir bekannten Unterzeichnenden noch irgendjemand in meinem kollegialen Umfeld oder gar ich selbst in der Lage wäre, eine klare Aussage oder Handlungsempfehlung auszusprechen. Dies geht auch an der Tatsache vorbei, dass unser Land deshalb so gut funktioniert, da wir eine – sonst allseits akzeptierte - Aufgabenteilung und Spezialisierung aufweisen. Ich bin, bei aller notwendigen Kritik an unserer Gesellschaft, Demokratie und handelnden Personen, nicht bereit, Menschen, die weltweit zu den anerkanntesten Wissenschaftler/-innen gehören und deshalb eine demokratisch gewählte Bundesregierung beraten, ihre fachliche Beurteilung auf Basis „öffentlich zugänglicher Quellen“ – so wie im Protestbrief formuliert - abzusprechen. Das ist eine mehr als enttäuschende Begründung für die formulierte harsche Kritik.

Die Digitalisierung und ihre unglaubliche Verbreitungsgeschwindigkeit hat die fatale Wirkung, dass mit der Verbreitung einer Nachricht, sei sie richtig oder falsch, seriös, manipulativ oder gefälscht, durch die reine Vervielfachung scheinbare Glaubwürdigkeit entsteht. Das Positive, dass damit der Zugang zu Informationen demokratisiert wird und die Wirksamkeit der öffentlichen Meinungsbildung steigt, wird immer stärker dadurch konterkariert, dass immer weniger Menschen mit der Informationsfülle umgehen können. Im Gegenteil - nahezu jeder mögliche Missbrauch wird erleichtert. Schon hier können wir sehen, dass die in den Briefen zwischen den Zeilen oder direkt aufgeführten Vergleiche zu 1989 oder gar 1933 nicht nur hinken, sondern an der aktuellen Situation mehrfach vorbeigehen.

Der Brief stellt verschiedene Fragen, die gleich zu beantworten sind: Alle Maßnahmen, einschließlich der kritisierten, sind vor dem Hintergrund gewählt, mögliche Infektionsketten zu unterbrechen, nur noch das Notwendigste zuzulassen. In der Kürze der Zeit und der notwendigen Wirkung auf alle Lebensbereiche sind mit Sicherheit Fehler oder Unzulänglichkeiten passiert, die nun nachjustiert werden.

Es wird in beiden Schreiben vollständig ignoriert, dass es international, national und auch regional Bemühungen gab und gibt, sinnvolle Beschränkungen zu finden, die unser gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben nicht völlig zum Erliegen bringen, dass beispielsweise die Regierung des Freistaats seit mehr als drei Wochen versucht, zahlreiche Ausnahmeregelungen zu finden ohne die Pandemie-Prävention infrage zu stellen. Dagegen wird sogar behauptet, dass andere Staaten, ohne eigene Forschungen zu Infektionskrankheiten, dem als falsch attestierten deutschen Beispiel folgen würden. Das blendet völlig aus, dass China zuerst äußerst repressiv versucht hat, den Krankheitsausbruch zu verheimlichen beziehungsweise als weniger gefährdend zu deklarieren, sich dann aber gezwungen sah, härteste Maßnahmen zu ergreifen, insbesondere asiatische Staaten weit vor Deutschland harte Maßnahmen ergriffen haben und mehrere Staaten, mit eigener Forschung, wie Spanien, Frankreich, Großbritannien, Schweden und die USA ihre bisher eher lockere Vorsorge-Politik zu einer deutlich härteren Variante verändert haben.

Mich entsetzen die Wortwahl der Briefe und die damit verbundenen Unterstellungen: Die Autor/-innen behaupten, es gäbe eine „Reaktivierung der Staatsverwaltung in einen totalitären Modus, wie […] seit 30 Jahren nicht mehr“, „Denunziantentum und willkürliche Maßnahmen der Exekutive“ werden scheinbar erwartet, Verantwortliche würden nur wegen „vorgegaukelter Menschlichkeit“ handeln. Was dazu in den „sozialen“ Netzwerken ergänzt wird, soll hier nicht Thema sein, verstärkt meinen Eindruck aber sehr.

Wir haben keine Zustände wie 1989 vor der Friedlichen Revolution und sind weit davon entfernt, unsere Bürgerrechte zu verlieren! Wir sind in Deutschland nicht allein in unseren Bemühungen, sondern versuchen, einen für den Föderalismus sehr schwierigen Weg mit möglichst hoher Übereinstimmung in den Maßnahmen zwischen Bund und Ländern in sehr kurzer Zeit zu absolvieren. Meine Hochachtung gilt allen, die dies derzeit in ihrem persönlichen Handeln befördern und unterstützen und ich halte wenig davon, einzelne Berufsgruppen jetzt als Helden herauszustellen - die Bewältigung dieser Krise wird uns nur als solidarische Gesellschaft gelingen, die alle einbezieht.

Schließlich: Um Debatten zu führen, die auch ein Ergebnis in Form von Entscheidungen und Handlungen haben sollen, ist es notwendig, Grenzen für Vergleiche und Beschimpfungen, grundlegende Regeln für einen Dialog und ein Mindestmaß an Übereinkunft, welche Informationen als Grundlage verwendet werden, einzuhalten. Dies erfüllt der erste Brief schon nicht, der zweite macht alles nur noch schlimmer. Zudem: Was die Briefautor/-innen kritisieren, erfüllen sie selbst in keiner Weise - keine ihrer Kritiken ist ausreichend begründet.

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