Von Karin Großmann
In seiner Jugend habe er sich geschworen, nie den Fuß nach Deutschland zu setzen, sagte der israelische Schriftsteller Amos Oz gestern in Leipzig. Er sei ein stolzer Chauvinist gewesen. Zum Nachdenken hätten ihn die Bücher von Günter Grass, Siegfried Lenz und anderen Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur gebracht. „Es wurde schwerer, Deutschland als Konglomerat von Mördern anzusehen.“ Das, sagte Oz, sei die Chance von Literatur: „Sie regt uns an, Klischees zu überdenken.“
Im letzten Jahrzehnt wurden in Deutschland mehr Bücher aus dem Hebräischen übersetzt als in jedem anderen Land. Der jüngste Roman „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ von Amos Oz gehört dazu. Der Titel kann programmatisch stehen für die Beziehungen zwischen Deutschen und Israelis. Niemand habe den besonderen Charakter dieser Beziehungen so nahe gebracht wie Amos Oz, sagte Außenminister Joschka Fischer.
Verantwortung dauert fort
Auf einem Festakt am Rand der Leipziger Buchmesse erinnerte er gestern an den Anfang vor 40 Jahren, als Israel und die Bundesrepublik ihre Kontakte auf diplomatische Ebene hoben. „Wer hätte nach dem unendlichen Leid geglaubt, dass überhaupt bilaterale Beziehungen möglich wären?“, fragte Fischer. Deutsche Schuld und Verantwortung jedoch daure fort. Daraus folge auch, sagte der Minister, dass die Bundesrepublik vorbehaltlos das Existenzrecht Israels auf einen eigenen Staat unterstützt. Er warb für einen „idealistischen Realismus“, um die Probleme im Nahen Osten zu lösen. Künftige Bemühungen sollten nicht auf Erhaltung des Status quo zielen, sondern auf Demokratisierung.
Dass sich im Schatten der Shoa die Beziehungen zwischen beiden Staaten positiv entwickelten, nannte Shimon Stein, israelischer Botschafter in Deutschland, ein Wunder. Er nannte eindrucksvolle Zahlen: Seit 2003 ist die Bundesrepublik zweitstärkster Handelspartner Israels nach den USA, 500 000 Schüler aus beiden Ländern trafen sich zum Jugendaustausch, 97 Städtepartnerschaften wurden geschlossen. Nachholbedarf gibt es in dieser Hinsicht in den Neubundesländern.
Der rege Kontakt unter Literaten könne zu einem vollständigeren Bild beitragen. „Israel lässt sich nicht auf Terror und den palästinensischen Konflikt beschränken“, sagte Stein. Dass 65 Prozent der Deutschen Israel für einen friedensgefährdenden Staat halten, sei eine Besorgnis erregende Tendenz.
Dabei, glaubt man dem Schriftsteller Amos Oz, gibt es überraschende Gemeinsamkeiten. Sie stecken, meinte er, in den Genen. Die neue hebräische Literatur sei nicht zu verstehen ohne die deutsche Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. Andererseits verwiesen Selbstironie und Skepsis auf jüdische Gene. „Die Juden haben den Deutschen gezeigt, dass man über sich selbst lachen kann“, sagte Oz. „Wir müssen in unsere gemeinsamen Gene investieren – und die Beziehungen zwischen beiden Staaten nicht nur auf Schuld und Verantwortung begründen.“ Dass es für einen jüdischen Schriftsteller selbstverständlich ist, in Deutschland über Gene zu reden, über Vererbung also, einen von den Nazis tödlich missbrauchten Begriff, zeigt das Normale in dieser besonderen Beziehung zwischen zwei Staaten.