Dippoldiswalde
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Das Zinnwälder Klo-Komplott

Die Volkswirtschaft baut Ausschuss und Erich Mielke wittert Sabotage. Dresdens Stasichef muss im „Lugstein“ ermitteln.

Von Jörg Stock
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„Eine totale Fehlkonstruktion.“ Klempnermeister in Rente Hans-Jochen Büttner zeigt einen Klodeckel Modell 14010 des VEB Presswerk Ottendorf-Okrilla. Zunftkollegen von ihm bekamen 1986 Ärger, weil die im Stasiheim „Am Lugstein“ eingebauten WC-Sitze versagt
„Eine totale Fehlkonstruktion.“ Klempnermeister in Rente Hans-Jochen Büttner zeigt einen Klodeckel Modell 14010 des VEB Presswerk Ottendorf-Okrilla. Zunftkollegen von ihm bekamen 1986 Ärger, weil die im Stasiheim „Am Lugstein“ eingebauten WC-Sitze versagt © Egbert Kamprath

In der Bastelecke von Hans-Jochen Büttner sieht es aus wie bei Uroma: düsteres Holz, fluffiges Sofa, Wandbord mit Gugelhupfformen und Kartoffelquetsche und gegenüber Kaiser Wilhelm zwo, der mit Zwirbelschnauzer huldvoll aus dem Bilderrahmen blickt. Herr Büttner sammelt nicht. Er bewahrt auf, sagt er. Und zwar Dinge, die im Alltag der Leute einmal wichtig waren. Dazu gehört auch ein oranges Plasteoval, das er nun hervorkramt. Das hat er mal zum Geburtstag gekriegt. Auf dem beiliegenden Pappschild steht eine Warnung: „Vorsicht, Zerfall möglich!“

Hans-Jochen Büttner lebt seit 73 Jahren in Schlottwitz, fast vierzig Jahre davon als Installateur und Klempner. Das erklärt, wieso man ihm zum Scherz diesen WC-Sitz aus der DDR schenkte. Es ist das Modell 14010 des VEB Presswerk Ottendorf-Okrilla, damals der wohl größte plastverarbeitende Betrieb des Landes. Der Sozialismus hat viele gute Produkte hervorgebracht, sagt Meister Büttner. Modell 14010 gehört nicht dazu. „Schuss in den Ofen“ nennt er es, „eine totale Fehlkonstruktion.“

Der volkseigene Ausschuss ist Schuld daran, dass es im Ferienheim der Staatssicherheit „Am Lugstein“ in Zinnwald zu einem Zwischenfall kam. Öffentlich wurde der erst nach dem Ende der DDR mit dem Auftauchen eines Aktenstücks, das noch heute in der Stasi-Unterlagenbehörde zu finden ist. Die Zeitungen schrieben hämisch vom „Klo-Komplott“ oder von der „Geheim-Aktion 00“. Klempner Büttner wusste schon seit 1986 davon. In der Berufsgruppenversammlung, heute würde man Innung sagen, hatte ein Monteur berichtet: Im Lugstein gibt’s ein Problem.

Süffisant berichtet Bild im Februar 1994 über das „Klo-Komplott“. 
Süffisant berichtet Bild im Februar 1994 über das „Klo-Komplott“.  © Egbert Kamprath

Es ist der Herbst des Jahres 1986, als im Kohlgrund bei Altenberg die neue Rennschlitten- und Bobbahn in Betrieb geht. Bauherr und Träger der gigantischen Eisrinne ist das Ministerium für Staatssicherheit der DDR. Dessen Chef, Armeegeneral Erich Mielke, kommt persönlich zur Einweihung. Nach dem Ereignis macht er Halt in Zinnwald, im „Lugstein“, für einen Imbiss, und um sich das Ferienheim seiner Tschekisten anzuschauen. Manfred Leubner, damals Major beim MfS und Heimleiter, erinnert sich, dass Mielke bei der Besichtigung ein Zimmer betrat und zur Toilette ging. Was er dort erlebte, muss ihn derart erregt haben, dass er umgehend die Dresdner MfS-Bezirksverwaltung von Generalmajor Horst Böhm anwies, Untersuchungen bezüglich der Klodeckel des „Lugsteins“ einzuleiten. Es heißt, Mielke habe Sabotage des Feindes vermutet.

Ex-Major Leubner hält den Ball flach. Man habe Mielke die Sache noch vor Ort erklärt: „Wir hatten gerade die Klodeckel ausgewechselt“, sagt er. Und da hätten seine „Stäubchen“ – er meint damit die Reinigungskräfte – vergessen, die Scharniere gängig zu machen. Denn das ist die Tücke von Modell 14010: Brille und Deckel sind nicht wie heute üblich mit richtigen Scharnieren aneinander befestigt, sondern mit einem sehr dünn gepressten Plastestreifen. Damit der flexibel wird, müssen die Klodeckelteile vor dem Einbau kräftig hin und her gebogen werden. Versäumt man das, bleibt die Plaste starr, Brille und Deckel klappen immer wieder aufs Porzellan zurück und verhindern so die Klobenutzung, jedenfalls im Stehen.

Dieses Problem kennt das ganze Land, denn der VEB Presswerk stellt jedes Jahr 200.000 Stück vom Modell 14010 her. Die Menschen wissen auch, warum die Klodeckel, die, kaum gangbar gemacht, auch schon wieder abbrechen, ein solches Ausschussprodukt sind: Sparzwang. Verzichtet man auf ein echtes Scharnier, braucht man pro WC-Sitz ein halbes Kilo Plastegranulat weniger. Darauf kommt auch Dresdens Stasichef Böhm bei seinen Ermittlungen. Den Mangel verpackt er im Bericht jedoch positiv, spricht von „materialökonomischen und fertigungstechnischen Gründen“. Die Fertigungsart, so schreibt er, „entspricht bei Beachtung der Montageanleitung, die jedem WC-Sitz beiliegt, den Qualitätserfordernissen.“ Ergo: Das Malheur ist ein Montagefehler, kein Anschlag.

Die Abteilung IX des Dresdner MfS, die Ermittlungsabteilung, befasst mit Verbrechen gegen den Staat, nimmt die Sache trotz des offenkundigen Aberwitzes brav zu den Akten. Jedenfalls weist das Generalmajor Böhm mit handschriftlichem Vermerk auf dem Abschlussbericht an. Auf das Exemplar für die Rückwärtigen Dienste kritzelt er: „Während der jetzigen Renovierung im Ferienheim die Sache in Ordnung bringen in allen Zimmern.“ Am 30. Oktober 1986, acht Tage nach der Klodeckelaffäre im „Lugstein“, meldet Horst Böhm Mielkes rechter Hand in Berlin, Generalmajor Carlsohn: „Ich habe die notwendigen Veränderungen veranlasst.“

Das „Klo-Komplott“ ist wohl nicht der einzige Fall, der Erich Mielkes Realitätsverlust am Ende der DDR verdeutlicht. So erzählt man sich heute noch in der Altenberger Gegend, ein Bauer habe seine Kühe vom „Lugstein“ wegtreiben müssen, weil Mielke, der im benachbarten MfS-Gästehaus „Lug ins Land“ nächtigte, wegen des Muhens der Tiere nicht habe schlafen können.

Rainer Förster, der den „Lugstein“ Ende der 1980er-Jahre führte, erzählt von einer speziellen Leberwurst, die er für den Armeegeneral habe heranschaffen müssen, obwohl er dann lieber Hackepeter aß. Unbedingt gebraucht habe er sein Pilsner Urquell. Und einen Fernseher, wenn Dynamo spielte. „Mit den tatsächlichen Problemen der Leute hatte Mielke nichts zu tun“, sagt Förster. „Er lebte in seiner ganz eigenen Welt.“

In seiner eigenen Welt lebt nun auch der einstige Klempnermeister Hans-Jochen Büttner. Mit Klodeckeln hat er da nichts mehr zu tun. Aber mit anderen Oldtimern, mit Wartburgs und „Essis“. Zurzeit baut er ein Moped S 51 für den Enkel auf. Wie gesagt, der Sozialismus hatte auch sein Gutes. Und die Simson, sagt er, gehört dazu.