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Albrecht Schuch: "Nichts geht über das eigene Kopfkino"

Albrecht Schuch zählt zu den Shooting Stars des deutschen Kinos. Jetzt ist der gebürtige Jenaer in „Die stillen Trabanten“ nach Clemens Meyers Buch zu sehen.

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Albrecht Schuch brillierte zuletzt im Kriegsdrama „Im Westen nichts Neues“, jetzt ist er mit "Die stillen Trabanten" im Kino.
Albrecht Schuch brillierte zuletzt im Kriegsdrama „Im Westen nichts Neues“, jetzt ist er mit "Die stillen Trabanten" im Kino. © dpa

An Albrecht Schuch (37) kommt man im deutschen Film seit über zehn Jahren nicht vorbei. Er ist einer der Besten und Fleißigsten seines Fachs, vielseitig zu besetzen, stark in der Präsenz. Schuch kann klassisch wie zeitgenössisch, klein wie opulent. Man sah ihn als Humboldt in „Die Vermessung der Welt“, als Uwe Mundlos vom NSU in „Heute ist nicht alle Tage“, Aussteiger in „Kruso“ oder Thomas Brasch in „Lieber Thomas“. Hauptrollen spielte er auch in „Berlin Alexanderplatz“, „Fabian“, „Schachnovelle“ und zuletzt in „Im Westen nichts Neues“. Mit dem Episodenfilm „Die stillen Trabanten“ nach Kurzerzählungen von Clemens Meyer ist er neben Charly Hübner, Peter Kurth, Nastassja Kinski und Martina Gedeck aktuell im Kino. Wir trafen Albrecht Schuch in Berlin.

Herr Schuch, kürzlich sagte Ihr Kollege Charly Hübner hier an gleicher Stelle, dass er Sie aufrecht dafür bewundert, wie Sie sich „als Spieler zunehmend aus dem Fenster hängen“. Möchten Sie etwas erwidern?
Ich fühle mich sehr geehrt, dass Charly solche Worte für mich findet. Ich bin selbst ein großer Freund davon, anderen so etwas zu sagen. Auf der Reise unserer „Trabanten“ war ich wahnsinnig traurig, keine Szenen mit ihm zu haben. Wir schrammen leider nur an uns vorbei.

War es nach den vielen großen Rollen der letzten Jahre angenehm, wieder offensiver in ein Ensemble zu tauchen und zurückgenommener spielen zu können?
Ich habe die Rolle nach einem kleinen Notanruf übernommen, wollte aber unbedingt wieder mit Thomas Stuber arbeiten, denn ich wusste nach unserer „Kruso“-Erfahrung, dass wir auch gemeinsam durch Krisen gehen und uns danach noch ins Gesicht schauen können. Allerdings steckte ich beim Anruf in der letzten Phase der Arbeit an „Im Westen nichts Neues“.

In dieser aufwendigen Neuverfilmung spielen Sie einen Soldaten des Ersten Weltkriegs. Stimmt die Vermutung, dass dieser Katczynski viel Kraft aus Ihnen gezogen hat?
Es war drei Monate lang nicht nur filmisch eine große Herausforderung, sondern physisch eine meiner anspruchsvollsten Arbeiten bislang. Auch persönlich, wir steckten ja mitten in der Coronasituation. Die Stimmung in der Gesellschaft und wie die Menschen miteinander umgegangen sind, all das hat mich oft sehr traurig und kraftlos gemacht. Dann kam „Die stillen Trabanten“ und ich konnte spüren, dass dieser Jens viel mit dem zu tun hat, das ich kenne und mit dem ich groß geworden bin. Er ist nicht so weit von mir weg.

Die Stars von "Die stillen Trabanten": Peter Kurth (v.l.), Nastassja Kinski, Martina Gedeck, Albrecht Schuch und Andreas Döhler.
Die Stars von "Die stillen Trabanten": Peter Kurth (v.l.), Nastassja Kinski, Martina Gedeck, Albrecht Schuch und Andreas Döhler. © dpa

Wo andere schon mal Rollen ablehnen, die zu dicht an ihnen dran sind, scheinen Sie damit keine Probleme zu haben. Warum nicht?
Weil ich kein großer Freund von Generalisierung bin. Nichts ist starr und muss immer so sein, einfach weil es sein muss. So ist der Mensch nicht. So bin ich nicht.

Für den „Trabanten“-Jens müssen Sie als geborener Thüringer sächseln, im NSU-Film konnten Sie im heimischen Jenaer Ton sprechen, für den „Westen“ war es eine Mischung. Oft genug fragt man sich im Kino, ob Dialekte wirklich sein müssen. Was glauben Sie?
Ich bringe da Goethe ins Spiel, der meinte, Dialekt sei der direkteste Weg zum Herzen. Daran glaube ich. Der Dialekt bestimmt die ersten Töne, die wir nach der Geburt gehört haben. Er macht immer etwas mit uns, wenn wir ihn hören. Dabei müssen wir nicht jedes Wort eins zu eins verstehen. Im Film wäre es oft besser, sich einfach auf den Ton einzulassen, auf das Gefühl für Sprache, auch die des Körpers.

Sie sind bekannt als jemand, der sich extrem sorgfältig vorbereitet, aufwendig präpariert, lange recherchiert und auch praktisch zu Hilfsmitteln jeder Art greift. Kann man sich dabei nicht auch verzetteln?
Diese Gefahr besteht. Doch oft hat für mich eine intensive Vorbereitungszeit den größeren Nachhall als das Drehen selbst. Sie erweitert den eigenen Horizont, ich lerne etwas über mich, nicht nur für Kamera oder Kostüm. Doch ich will darüber hinaus nicht verpassen, mich überraschen zu lassen. Ich achte darauf, mein Feuer für den Beruf zu schüren.

Sie spielen auch Schlagzeug. Was bringt das?
Einen Kraftort für mich und nur für mich. Es ist ziellos, hat aber durchaus Einfluss auf meine Rollen. Musik hilft jedem. Und Taktgefühl.

Zuletzt standen Sie für viele adaptierte Romanverfilmungen vor der Kamera. Gehört es jeweils zu Ihrer Vorbereitung, dann auch das Originalbuch komplett zu lesen?
Für gewöhnlich ja, wenn ich es durchhalte. Ich war sehr froh darüber, „Im Westen nichts Neues“ gelesen und mir keine der beiden alten Filme angesehen zu haben. Texte wie der von Erich Maria Remarque können einem Schauspieler Geschenke geben, die er dankbar annimmt, weil sie vielleicht von Drehbuchautoren ausgelassen wurden. Und wer weiß, vielleicht findet man doch noch einen Spruch oder eine Geste aus dem Roman, die wichtig sind und die man einflechten kann.

Was entgegnen Sie dem wiederkehrenden Spruch des Publikums, wonach das Buch besser sei als der Film?
Es geht nun mal nichts über das eigene Kopfkino. Der beste Film läuft dort. Es ist normal und man sollte es gar nicht so hart beurteilen. Findet man nicht all seine Lieblingsstellen wieder, ist man oft sogar persönlich angegriffen. Sich vielleicht auf neue Blickwinkel und Momente einzulassen, wäre besser.

Gönnen Sie sich innezuhalten, um Ihre bisherige Arbeit mit dem abzugleichen, was Sie sich von Ihrem Beruf gewünscht haben?
Innehalten schon, das brauche ich, aber die Rückschau auf Wünsche oder Erwartungen kenne ich nicht, denn ich hatte keine konkreten Vorstellungen davon, wie, wann oder wo etwas passieren sollte. Ich sehe lieber nach mir, ob ich mag oder nicht, was ich gerade tue, auch um meine Richtung fürs Weitergehen zu checken.

Sie gelten als einer der wandlungsfähigsten Filmschauspieler in Deutschland, anerkannt, preisgekrönt, beliebt. Macht Sie Erfolg manchmal skeptisch?
Da ich weiß, wie schwer es sein kann, sich von positiver und negativer Kritik zu lösen, versuche ich, sie so weit es geht, von mir fernzuhalten. Denn es kommen ja durchaus diese verführerischen Gedanken … Ich wehre mich eher gegen Kategorisierung von außen, ich will nicht gefällig werden, dafür immer wieder zu den Ursprüngen zurückkehren, weil es um Geschichten geht und die gemeinsame Vision. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Ich freue mich über die Zuwendung der Leute, wenn sie mit meiner Arbeit etwas anfangen können und ich brauche sie auch. Aber ich muss sie immer wieder auf das Wesentliche herunterrechnen, was durchaus Kraft kostet. Ich mochte übrigens sehr die Situation beim Deutschen Filmpreis 2020 als reine Online-Veranstaltung. Ich saß mit meiner Freundin vor dem Laptop, nach der Zeremonie haben wir das Ding zugeklappt, Bob Marley gehört, getanzt, etwas getrunken – und alles war gleich wieder normal.

Einen Hauptpreis gab es dort für Ihre Rolle als Sozialarbeiter Micha in „Systemsprenger“. Im Vorfeld hatten Sie sich gewünscht, das Publikum möge ein eigenes Gefühl für den Film entwickeln und in echten Austausch über die gesellschaftlich wie individuell bewegende Geschichte kommen. Längst ist klar, es hat funktioniert. Hallte „Systemsprenger“ auch für Sie länger nach als andere Arbeiten?
Ich bin dicht drangeblieben, habe mir erzählen lassen, wie die Publikumsgespräche, in denen ich nicht dabei sein konnte, gelaufen sind, hier oder von Norwegen bis Mexiko, wo auch immer Nora Fingscheidts Film gespielt wurde. Ich bekomme heute noch Reaktionen von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern. Dieser Nachklang über einen so langen Zeitraum berührt mich sehr. Das Projekt hat mich durch all die Begegnungen persönlich weitergebracht, es war bewusstseinserweiternd auf allen Ebenen, hat mir noch einmal neue Sicherheit dafür gegeben, mich selbst an einem Filmset stattfinden zu lassen und auch Ängste zu besiegen.

Schließen wir mit „Die stillen Trabanten“. Worin liegt für Sie die Essenz dieses Films?
In der Suche nach der Verbindung zu einem anderen Menschen, am Ende in der Suche nach Liebe … Jetzt bin ich selbst darüber erstaunt, wie knapp ich es heute beschreiben konnte …

  • Das Gespräch führte Andreas Körner.
  • Der Film „Die stillen Trabanten“ läuft unter anderem in der Dresdner Schauburg.