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Frank Schöbel: „Es tat weh, der Ostdödel zu sein“

Er mag nicht „Star“ genannt werden, sagt Schlagerstar Frank Schöbel. Dabei war er der erfolgreichste Sänger der DDR. Kurz vor seinem 80. Geburtstag blickt zurück auf seine Karriere und den Sozialismus.

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Frank Schöbel, eigentlich Frank-Lothar Schöbel, aufgenommen im Jahr 1967 in Chemnitz.
Frank Schöbel, eigentlich Frank-Lothar Schöbel, aufgenommen im Jahr 1967 in Chemnitz. © ddrbildarchiv.de/Manfred Uhlenhut

Einmal sitzt der sozialistische Schlagerstar ganz allein mit dem Chef der DDR-Staatssicherheit an einem großen runden Tisch. Plötzlich sagt Erich Mielke zu Frank Schöbel: „Na?“ Und Schöbel zu ihm: „Na?“ Und Mielke noch mal: „Na?“ Und Schöbel auch noch mal: „Na?“ Und damit war das Gespräch beendet. „Keiner hat zu viel verraten“, so fasst der Sänger das denkwürdige Aufeinandertreffen Jahrzehnte später zusammen.

Frank Schöbel beschreibt es in seiner neuen Autobiografie. Sie heißt „Danke, liebe Freunde!“ und erscheint an diesem Donnerstag – 60 Jahre nach dem Start von Schöbels Karriere. Es ist bereits die zweite Autobiografie des inzwischen 79-Jährigen. Diesmal beantwortet er 366 Fragen. Und es gibt ein Vorwort und ein Nachwort von ihm. Beide überraschen und berühren sehr.

„Hat’s die Stasi bei dir versucht?“ lautet Frage Nummer 89 im Buch. Die Antwort: „Das Verhör fand in einem hohen, schmalen Raum statt, so, wie man das aus schlechten Filmen kennt.“ Er sei von einem Herrn befragt worden, weil nach einer West-Tournee zwei seiner Musiker „drüben“ geblieben waren. Am nächsten Tag sei er wieder vorgeladen worden. Nun nahmen ihn zwei Herren freundlich in die Mangel: „Sie sind sehr beliebt, Sie kennen viele Musiker. Wir möchten Ihre Kenntnis ausnutzen, uns dann und wann treffen, und Sie erzählen ein bisschen.“

Schöbels Reaktion: „Nee, sagte ich und war stolz, dass ich das so sagen konnte. Ein paar Jahre zuvor hätte ich vielleicht, vor lauter Angst, einfach nur den Kopf runter gemacht.“ Seine Antwort: „Das wäre für mich das Allerletzte, jemanden zu verpfeifen und zu verraten, das ist nicht mein Ding. Ich will Musik machen.“

Frank Schöbel, Sohn einer Opernsängerin aus Leipzig, hatte schon als Jugendlicher gern gesungen und Gitarre gespielt. „Zwei Ähren im Wind“, hieß sein erstes eigenes Lied. Als 19-Jähriger wurde er Sänger und Gitarrist beim Leipziger „Tanzorchester der Sonderklasse Heinz Müller“. Doch zwei Jahre später schon stand er allein im Rampenlicht. Und die Karriere startete gleich mit mehreren Hits: Der erste Song „Looky, Looky“ sprang auf den 1. Platz der „tip-Parade“, die Nachfolger „Blonder Stern“ und „Party-Twist“ ebenso. Die „tip-Parade“ war eine Musikwertungssendung auf Radio DDR.

Erfolge auch im Ausland

Im Frühjahr 1971 erschien „Wie ein Stern“, vielleicht sein allergrößter Erfolg. Der Song war nicht nur in der DDR ein Hit. Auch in Polen, der Sowjetunion, der Tschechoslowakei, der Schweiz, in Ungarn, Österreich und auch in der Bundesrepublik konnte sich das Lied gut behaupten. Für Schöbel war es eine Art Neuanfang, nachdem seine junge Karriere mit kleineren Hits und Filmrollen nach fast zehn Jahren zu enden drohte. Dabei hätte er „Wie ein Stern“ beinahe abgelehnt. „Am Klavier fand ich den Titel ziemlich schnulzig, konnte aber nicht ahnen, was das spätere Arrangement daraus macht.“

Mehr als 600 Titel hat Schöbel bis heute gesungen. In der DDR war er der erfolgreichste Schlagersänger – einige Jahre lang im Traum-Duo mit seiner damaligen Frau Chris Doerk. Später dann gehörte er mit seiner Lebensgefährtin Aurora Lacasa und den Töchtern Odette und Dominique am Heiligabend zum festen Programmpunkt im DDR-Fernsehen. In „Weihnachten in Familie“ sangen die vier in ihrem Wohnzimmer. Das gleichnamige Album gilt als meistverkauftes der DDR-Plattenfirma Amiga. Schöbel und Lacasa trennten sich Mitte der 90er-Jahre.

Der nimmermüde Künstler moderierte aber auch die DDR-Rocksendung „Franks Beatkiste“. Er sei „kein reiner Schlagerheinz“, stellt Schöbel daher fest. Er komponierte zudem 365 Lieder, unter anderem für Gisela May, Harald Juhnke, Karel Gott – und für Union Berlin.

Am 11. Dezember wird Frank Schöbel, geboren 1942 in Leipzig, 80 Jahre alt. Zeit, ans Karriereende zu denken?
Am 11. Dezember wird Frank Schöbel, geboren 1942 in Leipzig, 80 Jahre alt. Zeit, ans Karriereende zu denken? © dpa/Sebastian Kahnert

1985 veröffentlichte er die Quartett-Single „1. FC Union“. 1974 sang er zur WM für die DDR-Auswahlmannschaft das Lied: „Ja, der Fußball ist rund wie die Welt“. Für seinen Lieblingsfußballklub nimmt er nun noch ein neues Lied auf. Das Song „Unzerstörbar, Unkaputtbar“ sei schon fertig gewesen und sollte im September erscheinen. „Als ich ihn aber bei einem Auftritt mit Gregor Gysi im Distel-Kabarett vorstellte, sagten die Leute: Das ist was für Union“, erzählte Schöbel neulich in einem Interview. Er habe sich dann mit dem Kommunikationschef des erfolgreichen Bundesliga-Clubs getroffen, um ein paar Zeilen anzupassen. Nun ist es seine neueste Single geworden. Von Union heißt es, dass das Lied sicher auch einmal im Stadion laufen werde. Die offizielle Hymne, die vor dem Anpfiff gespielt wird, bleibe aber das klassische „Eisern Union“ von Nina Hagen.

Die Bezeichnung „Star“ möge er nicht, sagt Schöbel. „Das klingt so weit weg von den Menschen, für die ich singe.“ Er ist für seine Fans einfach nur Fränkie, meist in Jeans und Lederjacke. Nach dem Mauerfall lehnte er mal einen Auftritt in einem Grandhotel ab. Der Grund: Die Schickimicki-Atmosphäre sei nicht seins. „Ehrlich, eine Festzelt-Mugge ist mir lieber. Zu Stadtfesten gehe ich gern, zu den einfachen Menschen. Da fühl‘ ich mich wohl.“

Unter anderem aus Treue zu seinem Publikum sei er damals auch in der DDR geblieben. Obwohl er sich dort über so manches ärgerte. „Es tat sehr weh, immer der „Ostdödel“ zu sein und nur hin und wieder zu TV-Sendungen in den Westen fahren zu dürfen“, schreibt er. Besonders ärgerte ihn, dass er Einladungen zur ZDF-Hitparade, der wichtigsten Sendung für deutschsprachige Unterhaltungsmusik, ausschlagen musste. Die Polit-Ideologen im Zentralkomitee (ZK) der SED hätten entschieden: „Da fahren wir nicht hin!“, schildert er.

Disziplin und Köpfchen

Schöbel hat früher mal erzählt, was ihm stattdessen widerfuhr: „Im April 1972 lud Walter Ulbricht ins Staatsratsgebäude ein. Der Staatsratsvorsitzende saß die ganze Zeit, er war schon sehr gezeichnet. Erich Honecker stand frisch daneben. Man wünschte sich ,Wie ein Stern‘, ich sang aber im Refrain relativ leise, weil ich dachte, jeder laute Ton ist zu viel für den alten Mann. Am Ende kam er, bedankte sich mit seiner fistelnden, hohen Stimme, schaute mich an, und ich spürte, er wusste nicht genau, wer ich bin.“

Sicher frage sich mancher heute, wie er all das damals ertragen habe. „Tja, man ist so aufgewachsen und wusste, dass man reglementiert wird, fand sich zurecht und richtete sein Leben ein.“ Sein Bruder war 1965 in den Westen gegangen, seine Mutter als Rentnerin 1973. „Für mich war klar: Ich bleibe.“ Auch ein West-Auto sei ihm nicht so wichtig gewesen. „Ich bin Wartburg gefahren und fand das in Ordnung.“

Auch nach dem Mauerfall verfiel der Sänger nicht dem Konsumrausch. „Eine Jeans, `n Shirt, ein Paar Turnschuhe im Jahr, und die Welt ist in Ordnung“, schreibt der vierfache Vater, der im Osten Berlins in einem eigenen Holzhaus mit Garten lebt. „Geld rauszuschmeißen ist leicht, sparen braucht Disziplin und Köpfchen.“

In einigen Wochen, am 11. Dezember, wird der Entertainer mit dem dichten dunkelblonden Haar und fast faltenfreien Gesicht 80 Jahre alt. Er habe vor Corona noch 80 bis 100 Auftritte im Jahr gehabt, erzählt er. In der Pandemie habe er dann gemerkt, „wie schön es sein kann, wenn man nicht mehr den Hitparaden nachjagt, wenn man nicht in immer dümmer werdenden, oft hinter den Kulissen verlogenen Sendungen sein muss, wenn man in Ruhe Freunden zuhören kann und nicht schon wieder auf der Jagd zur nächsten Mugge ist“.

Im Nachwort seines Buches wird er noch konkreter: In seinem Leben sei er durch die Arbeit kaum zum Nachdenken gekommen. „Singen und mit freundlichen Menschen zusammenzukommen hat mich mein ganzes Leben lang begleitet.“ Irgendwann werde er aufhören. „Ich werde mich dann ganz leise und herzlich verabschieden, weil ich nicht auf der Bühne sterben will, auch wenn ich das mal gesagt habe.“ Und: „Mensch, es war irre schön mit euch! Versteht doch bitte, ich möchte auch mal einfach nur zu Hause sein und das Leben genießen.“ (dpa)