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Alice Schwarzer wird 80: Kittelschürze kontra lila Latzhose

Alice Schwarzer wird 80 und hat viel erreicht. Doch Frauen im Osten irritierte einst die Humorlosigkeit und der Rigorismus der West-Feministinnen.

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Alice Schwarzer, Journalistin, Publizistin und Gründerin sowie Herausgeberin der Frauenzeitschrift Emma, wird am Sonnabend 80 Jahre alt und denkt gar nicht daran, leiser zu treten.
Alice Schwarzer, Journalistin, Publizistin und Gründerin sowie Herausgeberin der Frauenzeitschrift Emma, wird am Sonnabend 80 Jahre alt und denkt gar nicht daran, leiser zu treten. © Archivbild: dpa

Von Bettina Ruczynski

Alice Schwarzer feiert am Sonnabend ihren 80. Geburtstag. Die Frauen – und Männer – in der alten Bundesrepublik haben ihr, der Mutter Courage des Feminismus, viel zu verdanken. Das Land ist durch sie ein anderes geworden. Die Frauen – und Männer – in der untergegangenen DDR hingegen verdanken ihr nicht gar so viel. Dass das so ist, hat viele Ursachen, die in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Systemen in Ost und West inklusive unterschiedlichem Frauenbild wurzeln. Und im folgenreichen Einigungsvertrag von 1990. Der ebenso ignorant wie gnadenlos hastig über die kostbaren Errungenschaften der Frauen im Sozialismus hinweg gegangen ist, ja sie beerdigt hat – von der Straffreiheit beim Schwangerschaftsabbruch über Ganztagskinderbetreuung bis hin zu gleichem Lohn für gleiche Arbeit.

Dafür kann Frau Schwarzer nichts. Als die Wiedervereinigung kam, waren wir DDR-Frauen in unserer Selbstbestimmtheit und gelebten Gleichberechtigung längst weiter als die durchschnittliche Frau in den alten Bundesländern, der bis 1977 der Ehemann per Gesetz die Berufstätigkeit verbieten konnte. Das kannten wir im Osten nicht. Da war und blieb uns so manches suspekt.

Ost-Frauen fremdelten mit Alice und Co.

Genauso suspekt, wie wir umgekehrt den Schwarzer-Feministinnen drüben blieben, die nach dem Fall der Mauer recht wenig anfangen konnten mit ihren seltsamen Schwestern aus Neufünfland. Die in Vollzeit arbeiten gingen, ihre Kinder versorgten, sich mit dem Mann die Hausarbeit teilten, keinen Widerspruch zwischen Familie und beruflicher Verwirklichung sahen, sich gesellschaftlich engagierten, ein Theater-Abo hatten, mitredeten und gehört wurden. Und sich durchaus als gleichberechtigt und emanzipiert ansahen, ohne den Begriff Feminismus im Munde zu führen. Was die West-Schwestern ständig taten. Und wir Ost-Frauen wiederum fremdelten mit Alice und Co., vor allem mit deren flapsigem, arg propagandistisch-glatt geschliffenem Männerbild – bis Männerhass – und griffigen Sprüchen wie: „Wer sich nicht wehrt, kommt an den Herd!“ Gegen Herde hatten wir Weiber im Osten nichts.

Uns irritierte der eifernde Fanatismus der Lila-Latzhosen-Ladys von drüben. Gefangene wurden da nicht gemacht. Wie sie uns über den Mund fuhren, ohne es zu bemerken. Wie sie stets alles besser wussten; auch über uns und unser Leben: Wie sehr wir doch unterdrückt waren. Leidend unter dem Joch des Patriarchats unseren Vollzeitjobs nachgingen, während unsere Kinder in staatlicher Obhut gehirngewaschen wurden, statt in selbst verwalteten Kinderläden zu lernen, auf eigenen Beinen zu stehen. Uns Frauen im Osten irritierten die Humorlosigkeit und der moralische Rigorismus der feministischen West-Schwestern. Und wie sehr jene plötzlich – als wir dann nach der Wiedervereinigung ernsthaft mitspielen, mitarbeiten und mitverdienen wollten – uns weggebissen haben von den umkämpften Fleischtöpfen; uns die Zuneigung entzogen.

Alice Schwarzer (v.l.) l Regisseurin Nicole Weegmann und Schauspielerin Nina Gummich, die Alice Schwarzer spielt, bei der Preview des Films "Alice".
Alice Schwarzer (v.l.) l Regisseurin Nicole Weegmann und Schauspielerin Nina Gummich, die Alice Schwarzer spielt, bei der Preview des Films "Alice". © dpa

Für die weltgewandte Alice, damals Anfang 50, müssen wir weiblichen Ossis eine arge Enttäuschung gewesen sein: In unseren Kitteln, Schürzen und Kittelschürzen – von Hand mutig modisch gekürzt, mit luftiger Dauerwellfrisur namens Softie, und neugierig auf all das Neue, das da über uns kam. Dennoch wohl wissend, was wir wollten und was nicht. DAS jedenfalls nicht eins zu eins: Alices Wunderland. Denn Helmuts Wunderland hat uns schon überfordert; das von Alice blieb uns fremd – gegenseitige Missverständnisse inklusive. Der Schwarzer-Feminismus ward dennoch, weil aus dem Westen kommend, zur Norm der Emanzipation und uns als solche ungefragt übergestülpt. Aber dies war ja längst nicht das Einzige, was uns in den neuen Ländern ungefragt übergestülpt wurde – und bei Weitem nicht das Schlimmste.

Alice Schwarzers Weg zur Ikone der Frauenbewegung in der alten Bundesrepublik war kein leichter. Kaum eine Frau im Westen hat so stark polarisiert wie sie, keine Frau wurde wegen ihrer Überzeugungen, wegen ihres Kampfes für die Rechte der weiblichen Hälfte der Welt so geschmäht, verlacht und verteufelt wie sie. Im Laufe ihres Lebens hat Schwarzer viel einstecken müssen – und viel erreicht. Zum Glück konnte und kann sie dank ihres scharfen Verstandes und ihrer rhetorischen Begabung auch gut und publikumswirksam austeilen.

Schlagfertige, zuweilen neckisch-kokette Auftritte

Ihr schriftstellerisches Werk ist beachtlich: „Der kleine Unterschied“, „PorNo“, „Romy Schneider. Mythos und Leben“, „Lebenswerk“.Bis heute mischt sie sich ein und hält den Kopf hin für ihre Überzeugungen – oft genug gegen die Mächtigen des Mainstreams. Die zwar gern betonen, dass sie natürlich Feministen sind – aber bloß nicht mit Frau Schwarzer in einen Topf geworfen werden wollen. Schwarzers schlagfertige, zuweilen neckisch-kokette Auftritte in TV–Shows und Talkrunden brachten ihr und ihrem Anliegen Popularität, streichelten gleichzeitig ihr großes Ego und versöhnten TV-Deutschland im Laufe der Jahre mit der Übermutter des deutschen Feminismus.

Die Historikern Miriam Gebhardt allerdings resümierte 2012: „Die deutsche Frauenbewegung war einmal vielstimmig, aufregend und international führend. Doch inzwischen ist der deutsche Feminismus zusammengeschrumpft auf eine einzige Medienfigur – Alice Schwarzer. Jede gesellschaftliche Frage findet seit Jahrzehnten nur eine einzige feministische Antwort, nämlich die Antwort von Alice Schwarzer. Mit ihrer ideologischen Unbeweglichkeit hat sie viele Frauen der Bewegung, die eigentlich für ihre Rechte streiten sollte, entfremdet.“

Und dennoch: Schon in sehr jungen Jahren offenbarte Alice Schwarzer in einem Brief ihre Überzeugung: „Der Motor meines ganzen Handelns ist die Gerechtigkeit. Gerechtigkeit in meinem persönlichen Leben, in dem Land, in dem ich lebe, in der Welt. Ein Leben, in dem ich nicht alles in meiner Macht Stehende getan hätte, um dieses Ideal zu verwirklichen, wäre für mich ein verpasstes Leben.“ Man darf Alice Schwarzer zu einem gelungenen Leben gratulieren.