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Leipzig erinnert an die friedliche Revolution

Ex-Boxer Vitali Klitschko spricht zum Jahrestag der entscheidenden Montagsdemo in Leipzigs Nikolaikirche über den Erhalt der Demokratie.

Von Sven Heitkamp
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Leipzigs OB Burkhard Jung (l-r, SPD), Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen, und Vitali Klitschko, OB von Kiew, stellen Kerzen in eine überdimensionale ·89 auf dem Nikolaikirchhof.
Leipzigs OB Burkhard Jung (l-r, SPD), Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen, und Vitali Klitschko, OB von Kiew, stellen Kerzen in eine überdimensionale ·89 auf dem Nikolaikirchhof. ©  dpa/Jan Woitas

Leipzig. Am Samstagabend gegen 19 Uhr tritt ein ehemaliger Boxchampion mit Krawatte und dunkelblauem Anzug an das Pult der Leipziger Nikolaikirche: Vitali Klitschko, 50, Schwergewichtsmeister, Gründer der demokratischen Reformpartei UDAR, Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt Kiew mit drei Millionen Einwohnern.

In sehr gutem Deutsch mit starkem Akzent kommt Klitschko schnell zur Sache. „Ich kann sagen, dass Boxen und die Demokratie eines verbindet: Ohne Kampf, Wunden und Enttäuschungen, ohne echten Kampf, gibt es keinen wirklichen Sieg.“ Klitschko bemüht das Bild mit Blick auf die aktuelle Situation in der Ukraine und in Europa, aber auch im Gedenken an die Leipziger Montagsdemos: 32 Jahre zuvor waren mehr als 70.000 Menschen mit Kerzen in der Hand um den Leipziger Innenstadtring gezogen und hatten sich ohne Blutvergießen gegen die SED-Staatsmacht durchgesetzt.

Einen Monat später fiel die Mauer. Die entscheidende Demonstration sei ein Wunder gewesen, sagt Superintendent Sebastian Feydt. Auch heute sollten die Menschen noch an Wunder glauben. Alljährlich erinnert Leipzig an jenen Montag, des 9. Oktober 1989 mit einem Lichtfest, dem Friedensgebet und einer festlichen Rede zur Demokratie, die dieses Jahr Vitali Klitschko vorbehalten war. Kiew ist die Partnerstadt von Leipzig.

Vitali Klitschko hält die Rede zur Demokratie
Vitali Klitschko hält die Rede zur Demokratie © dpa/Jan Woitas

Um den Erhalt der Demokratie müsse gerungen werden, sagt Klitschko. „Um zu gewinnen, musst du durchhalten, hart arbeiten, niemals aufgeben und an dich selbst glauben.“ Das ukrainische Volk habe einen hohen Preis für das Recht zum Aufbau einer Demokratie gezahlt. Auch in Zukunft würden die Ukrainerinnen und Ukrainer einen modernen, starken Staat auf Grundlage europäischer Werte aufbauen, von dem sie träumten. „Ich sehe jedoch Tendenzen, die mich beunruhigen.“ In der Ukraine werde die kommunale Selbstverwaltung erschwert und versucht, „eine starre Macht wiederaufzubauen“. Russland versuche, die Ukraine in sein Einflussgebiet hineinzuzwingen. Zugleich appellierte der Gastredner an die europäische Gemeinschaft, die Ukraine auf ihrem Weg zu einer reifen demokratischen Gesellschaft zu unterstützen. Unter den Gästen in der Nikolaikirche waren neben zahlreichen Bürgerrechtlern auch Landtagspräsident Matthias Rößler und Ministerpräsident Michael Kretschmer (beide CDU) sowie Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD).

Wie wichtig der Kampf ist, hatte Ina Rumiantseva am Beispiel von Belarus überdeutlich gemacht. Sie sprach von der Unterdrückung friedlicher Proteste, Inhaftierungen der Oppositionellen und Folter in Gefängnissen. „Wie groß das Ausmaß der Repressionen ist, lässt sich nur schwer in Worte fassen, ich versuche es mit einer Zahl: Am heutigen Tag gelten 801 Menschen als politische Gefangene anerkannt in Belarus. Und wir können davon ausgehen, dass es in Wahrheit Tausende sind.“ Die Bedingungen in den Gefängnissen könne man sich in Europa kaum vorstellen. „Belarus“, sagte Rumiantseva unter Tränen, „braucht Ihre Unterstützung.“ Die Volkswirtin, 1976 in Ostberlin geboren, und ist mit einem Mann aus Minsk verheiratet und engagiert sich in der deutschen Interessenvertretung der Belarussen „Razam“ – „gemeinsam“.

Menschen halten auf dem Augustusplatz im Rahmen einer Videoinstallation Papptafeln in die Höhe, auf die historische Fotos projiziert werden.
Menschen halten auf dem Augustusplatz im Rahmen einer Videoinstallation Papptafeln in die Höhe, auf die historische Fotos projiziert werden. © dpa/Jan Woitas

Nach der Feststunde in der Nikolaikirche strömten Tausende Menschen zu Lichtinstallation in der Innenstadt. Unter dem Tenor „Das Licht breitet sich in der Stadt aus“ hatten sich Künstler aus Ungarn, Spanien und Deutschland an unterschiedlichen Kunstprojekten beteiligt. Auf dem Augustusplatz wurden Archivaufnahmen auf weiße Plakate projiziert, im Nikolaikirchhof wurde eine mehrere Meter große „89“ mit Kerzen erleuchtet, die die Menschen dort abstellen durften.