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Uschi Brüning: Erfolgreiche Flucht aus dem Gerichtssaal

Vor 75 Jahren ging das DDR-Label Amiga an den Start. Zum Jubiläum gibt es das Beste von Uschi Brüning auf zwei CDs und weitere Gründe zum Feiern.

Von Andy Dallmann
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Uschi Brüning. Sänger bei einem Konzert mit Manfred Krug. Ein Duett mit dem Schauspieler findet sich jetzt auch auf dem neuen Doppelalbum der Sängerin.
Uschi Brüning. Sänger bei einem Konzert mit Manfred Krug. Ein Duett mit dem Schauspieler findet sich jetzt auch auf dem neuen Doppelalbum der Sängerin. © imago stock&people

Es ist schon clever, das runde Jubiläum einer Plattenfirma mit dem einer besonderen Künstlerin für eine Veröffentlichung zu verknüpfen. Die Wahrscheinlichkeit, dabei etwas wirklich Bedeutendes zu stemmen, ist so schließlich überdurchschnittlich groß. Weil also der 75. Jahrestag der Gründung des einstigen DDR-Staatslabels Amiga perfekt zum 75. Geburtstag von Uschi Brüning passt, liefert ein Doppelalbum jetzt quasi den doppelten Tusch.

Aus den Amiga-Archiven kommt ein großer Teil der musikalischen Perlen, die die respektable Karriere der 1947 in Leipzig geborenen Sängerin widerspiegeln. Im Vorjahr stand bereits ein Jubiläum an, da hatte Uschi Brüning ihr 50. Bühnenjahr vollendet. Das nehmen nun auch die beiden CDs auf und präsentieren Aufnahmen aus den Jahren 1971 bis 2021, nagelneuer Stoff ist also nicht dabei. Völlig neu ist aber diese Zusammenstellung, die zudem geschickt ein Vorurteil attackiert.

Anfang März feierte sie ihren 75. Geburtstag, im vergangenen Jahr hatte sie 50-jähriges Bühnenjubiläum: Uschi Brüning bei einem Konzert Ende der 70er-Jahre.
Anfang März feierte sie ihren 75. Geburtstag, im vergangenen Jahr hatte sie 50-jähriges Bühnenjubiläum: Uschi Brüning bei einem Konzert Ende der 70er-Jahre. © Verlag

Was Uschi Brüning Anfang der Siebziger sang und sich damals bereitwillig in die Rubrik Schlager einsortieren ließ, rettet dem Genre jetzt den Kragen. Es muss nämlich weder ein depperter Text voller ausgelutschter Kalenderspruchzitate sein, noch ist schlichte Melodieführung auf einem banalen Bumbum vorgeschrieben. Allein schon Uschi Brünings erster großer Hit aus dem Jahre 1972 beweist das eindrücklich.

Schlanke Poesie trifft bei "Dein Name" auf eine ausgefeilte Komposition, die zwischen Bombast und wahrhaftig packender Emotionalität balanciert. Manches Land wäre froh, eine Nationalhymne auf vergleichbarem Niveau zu haben.

Jazznoten unter den Schlagern

Uschi Brüning sah es ganz nüchtern und sagte im SZ-Interview zu diesem Stück: "Für mich war das eindeutig Schlager." Mit ihrem Mann, dem Saxofonisten Ernst-Ludwig "Luten" Petrowsky sei sie jedoch einmal bei Till Brönner eingeladen gewesen und habe dieses Lied gesungen. "Und Till war begeistert, weil das so eine herrliche Gospelnummer sei. Tja, so kann’s kommen. Ich singe das Lied ja heute noch gerne. Aber etwas anders als früher."

Auf der ersten CD von "Tagesträume" ist die Version von 1972 drauf, zudem finden sich dort weitere 19 Lieder, die allesamt deutsche Texte haben. Vieles stammt aus den Siebzigern, ist aber – aus heutigem Verständnis heraus – noch weit weniger Schlager als "Dein Name". Komponisten wie Reinhard Lakomy, Ulrich Gumpert, Eberhard Weise oder Günther Fischer hoben jede Menge Jazznoten unter die vordergründig äußerst eingängigen Nummern.

Uschi Brüning bei einem gemeinsamen Auftritt mit ihrem Mann, dem Saxofonisten Ernst-Ludwig "Luten" Petrowsky.
Uschi Brüning bei einem gemeinsamen Auftritt mit ihrem Mann, dem Saxofonisten Ernst-Ludwig "Luten" Petrowsky. © Verlag

Obwohl Uschi Brüning einst zu DDR-Zeiten und ab 2015 wieder äußerst erfolgreich live zusammen mit Manfred Krug unterwegs war, gibt es nur ein Duett auf dem Album, Krugs deutsche Variante des Frank-Loesser-Hits "Baby, It’s Cold Outside". Eingespielt hatten beide das Stück 2014. Im Vergleich zu älteren Aufnahmen klingt

Uschi Brünings Stimme definitiv kein bisschen dünner. Ulf Drechsel feiert sie zu Recht im Booklet so: "Uschi ist umwerfend. Eine Künstlerin ohne Show, ohne große Geste, ohne Klimbim. Uschi Brüning singt. That’s it! Seit über fünf Jahrzehnten. Und wie ein Single-Malt-Whisky, der viele Jahre im Sherry- oder Eichenfass lagert, wird auch ihre Stimme immer besser, kräftiger, reifer." Besonders auf der zweiten CD, die ausschließlich englischsprachige Nummern und eine Prise mehr Dampf bietet, wird diese Einschätzung belegt. Fette Big-Band-Bläser, grobkörniger Blues, Gospel, sanfte Balladen – das Spektrum ist dem von Uschi Brünings Stimme perfekt angepasst.

Gefeiert von einem Dichter

Diese Frau, einst eine der wichtigsten Stimmen des DDR-Jazz und spätestens mit ihrer Nominierung für den Jazz-Echo 2017 gesamtdeutsch entsprechend wahrgenommen, hat bis heute ein Problem mit dem Ruhm. "Ein ausverkauftes Konzert mit ganz viel Beifall und spürbarer Zuneigung freut mich sehr. Doch am nächsten Tag ist es weg. Es bleibt nichts haften. Das ist bei meinem Mann ähnlich", sagt sie. "Die vielen Komplimente kann ich in meinem Kopf nicht vermehren, da ist irgendwas fehlgeleitet. Ich bin jetzt noch viel bescheidener als früher, im Sinne von demütiger."

Dabei feierte sie bereits 1973 Ulrich Plenzdorf in seinem Buch "Die neuen Leiden des jungen W.". Er ließ seinen Titelhelden Edgar Wibeau schwärmen: "Old Lenz und Uschi Brüning! Wenn die Frau anfing, ging ich immer kaputt. Ich glaube, sie ist nicht schlechter als Ella Fitzgerald oder eine. Sie hätte alles von mir haben können, wenn sie da vorn stand mit ihrer großen Brille und sich langsam in die Truppe einsang."

Uschi Brüning hatte zunächst eine Ausbildung zur Gerichtssekretärin gemacht und nur nebenbei gesungen. Dann holte sie 1969 Klaus Lenz in seine legendäre Band. Ab Mitte der Siebziger tourte Uschi Brüning mit eigener Band und später auch im Duo mit "Luten" Petrowsky. Für das 2014 mit Manfred Krug aufgenommene Album "Auserwählt" bekam sie den German Jazz Award in Platin. Angela Merkel hatte Uschi Brüning zu einer Veranstaltung eingeladen und sogar mit ihr gesungen. Anfang 2017 erschien wiederum der Mitschnitt von zwei gemeinsamen Konzerten mit der Berliner Blues-Combo Engerling. Nur zwei Beispiele für die Flexibilität der Sängerin.

Blieb nach einer derartig erfolgreichen Flucht aus dem Gerichtssaal überhaupt noch ein Gedanke an die einst angestrebte Karriere? "Ja, daran habe ich immer gedacht", so Uschi Brüning. "Immer, wenn es wenig Auftritte gab, meist Anfang eines Jahres, kamen regelmäßig Zweifel, ob ich als Sängerin tatsächlich leben kann. Und Jura ist ja nicht uninteressant. Unterm Strich blieb die Leidenschaft für die Musik jedoch immer größer als die Zweifel."

Uschi Brüning heute.
Uschi Brüning heute. © Steven Haberland

Dennoch stellt Ulf Drechsel die völlig berechtigte Frage: "Warum ist Uschi Brüning eigentlich kein Weltstar?" Seine Antwort ist eindeutig und absolut korrekt: "Sie hat doch alle künstlerischen Voraussetzungen dafür! Ja, aber sie stand und steht sich manchmal selbst im Weg. Sie drängt sich nicht auf, ist zurückhaltend und bescheiden, geht freundlich mit Menschen um, ohne Ellenbogen zu benutzen. Sie sagt nicht: Hier bin, ich kann das! Sie sagt nicht: Ich will! Sie ist glücklich, wenn sie darf. Sie macht, was sie macht. Mit großer Leidenschaft und Hingabe. Nie halbherzig und immer professionell."

Das Doppelalbum: Uschi Brüning, Tagesträume 1971–2021. Sechzehnzehn/Buschfunk

Uschi-Brüning-Konzerte in der Region: 16. Juli, Großenhain, Kulturschloss; 12. November, Dresden, Ostra-Dome (Jazztage Dresden)