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"DDR-Enigmas" beim Ex-Klassenfeind

Im Kalten Krieg verschlüsseln Chiffriergeräte teils brisante Nachrichten. Kaum bekannt: Ost-Geräte waren 1990 auch im Westen in Betrieb.

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Die Drohnenaufnahme zeigt den westlichen Ausgang des ehemaligen westdeutschen Regierungsbunkers im Ahrtal. 1990 waren hier auch zwei DDR-Chiffriergeräte in Betrieb.
Die Drohnenaufnahme zeigt den westlichen Ausgang des ehemaligen westdeutschen Regierungsbunkers im Ahrtal. 1990 waren hier auch zwei DDR-Chiffriergeräte in Betrieb. © dpa/Thomas Frey

Von Jens Albes

Bad Neuenahr-Ahrweiler/Wandlitz. Legendäre Enigmas: Erst Anfang 2021 hat ein Taucher sechs dieser Chiffriermaschinen aus dem Zweiten Weltkrieg aus der Ostsee gefischt. Schon 2001 hatte der Kinofilm "Enigma - das Geheimnis" an diese Geheimtechnik erinnert. Auch in der DDR hatte die Enigma ("Rätsel") eine Nachfolgerin: die T-310 der Stasi, mit der noch 1990 verschlüsselte Nachrichten zwischen den zwei damaligen Regierungsbunkern in Ost und West ausgetauscht wurden.

Ein neues Buch von zweien ihrer Entwickler wirft ein Schlaglicht auf diese kaum bekannte deutsch-deutsche Episode. Einer der beiden Autoren, der Mathematiker Winfried Stephan in St. Augustin bei Bonn, sagt: "In der Wendezeit sollten die Polizeinetze von BRD und DDR verbunden werden." Dafür seien 1990 auch zwei der DDR-Geräte T-310 beim einstigen westdeutschen Klassenfeind im damaligen Regierungsbunker im rheinland-pfälzischen Ahrtal aufgestellt worden. Da der ostdeutsche Teilstaat seinerzeit noch Mitglied des Warschauers Vertrags war, durften laut Stephan keine Nato-Chiffriergeräte als Gegengeräte auf dem Gebiet der Noch-DDR verwendet werden.

Kühlschrankgroße Maschinen

Also gelangten zwei der kühlschrankgroßen, olivgrünen Verschlüsselungsmaschinen T-310 für Fernschreibverbindungen bei Bad Neuenahr-Ahrweiler unter die Weinberge des Ahrtals. Hier gab es rund 30 Kilometer südlich der damaligen Bundeshauptstadt Bonn eine Art Bunkerstadt für die Bundesregierung im Kriegsfall. Laut Jörg Diester, Autor mehrerer Bücher über dieses einst geheime riesige Bauwerk, standen die beiden T-310 dort wiederum in einem geheimen Raum, zu dem nur wenige Mitarbeiter Zutritt hatten. Diese Verschlüsselungstechnik werde noch heute von Experten als sicher eingestuft.

Auch im damaligen DDR-Regierungsbunker im brandenburgischen Wandlitz-Prenden wurden zwei T-310 aufgestellt, wie Stephan berichtet. Somit habe es von Mai 1990 an eine verschlüsselte Fernschreibverbindung zwischen den Innenministerien beider deutscher Staaten gegeben, die sich am 3. Oktober jenes Jahres vereinigten.

Das Bild zeigt einen Teil einer T-310-Chiffriermaschine
Das Bild zeigt einen Teil einer T-310-Chiffriermaschine © Jens Raeder/NVA-Austellung Harnekop/dpa

Unter Berufung auf einen Ex-Abteilungsleiter im DDR-Innenministerium schreiben Stephan und sein Co-Autor Wolfgang Killmann in ihrem neuen Buch "Das DDR-Chiffriergerät T-310: Kryptographie und Geschichte": "Nach seinen Informationen wurden noch mindestens bis Ende 1990 in Spitzenzeiten bis zu 500 Sprüche am Tag über diese Verbindung übertragen." Auch zwischen den beiden Verteidigungsministerien auf der Bonner Hardthöhe und im brandenburgischen Strausberg bei Berlin habe es 1990 eine verschlüsselte Kommunikation mit T-310-Geräten gegeben.

Von 1983 bis 1990 waren laut Stephan in der DDR 3800 dieser Verschlüsselungsmaschinen im Einsatz, etwa bei der Stasi, SED, Polizei und FDJ: "Man hatte damals an der Schnittstelle der beiden Gesellschaftssysteme ja ein hohes Sicherheitsbedürfnis." Wenn Corona es wieder zulässt, planen die zwei Buchautoren nach eigener Auskunft Vorträge über die T-310 im heutigen Museum des Ex-Regierungsbunkers im Ahrtal und auf einem einstigen Stasi-Bunker-Gelände beim brandenburgischen Gosen-Neu Zittau.

Das Ende in der Lkw-Garage

Während deutsche Enigma-Verschlüsselungen im Zweiten Weltkrieg von Spezialisten der Alliierten in mühsamer Detailarbeit geknackt wurden, beendete im wiedervereinigten Deutschland ein nüchterner Verwaltungsakt die jahrzehntelange Entwicklung und Nutzung der T-310. Die zuständigen Bundesbehörden setzten auf Nato-weit einheitliche Chiffriertechnik - für die einstigen Geräte der Stasi gab es keinen Bedarf mehr, sie wurden vernichtet. Einer der Väter der T-310, der Mathematiker Stephan, war daran beteiligt. Er musste nach eigenen Angaben nach der Wiedervereinigung Hunderte der Geräte in einer Lkw-Garage im brandenburgischen Dahlwitz-Hoppegarten entkernen.

Nur wenige T-310-Exemplare haben überlebt. Das Bonner Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) verweist auf die NVA-Ausstellung in Harnekop, einem Ortsteil der brandenburgischen Gemeinde Prötzel. Der Betreiber dieses coronabedingt derzeit geschlossenen Museums, Jens Raeder, sagt: "Ich habe fünf Exemplare. Wenn Besucher da sind, betreibe ich zwei T-310 als Vorführung." Der einstige NVA-Unteroffizier lobt die Maschinen noch heute: "Sie waren viel leichter zu bedienen als ihre Vorgänger." Aber groß seien sie gewesen, größer als die Chiffriergeräte des großen Bruders Sowjetunion: "Wir haben die T-310 das grüne Monster genannt." (dpa)

Das Buch: Winfried Stephan und Wolfgang Killmann Killmann, Das DDR-Chiffriergerät T-310: Kryptographie und Geschichte, Springer Verlag, 2021, 248 Seiten, ISBN 978-3-662-61896-7