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Von Alfons Zitterbacke bis Zonen-Gaby

Ein Buch versucht, mit originellen Begriffen aus dem Alltag die DDR zu erklären. Doch das wirkt ziemlich konstruiert.

Von Peter Ufer
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Szene aus der Neuverfilmung von "Alfons Zitterbacke" mit Tilman Döbler (M.) in der Titelrolle sowie Alexandra Maria Lara: als Mutter und Devid Striesow: als Vater Zitterbacke.
Szene aus der Neuverfilmung von "Alfons Zitterbacke" mit Tilman Döbler (M.) in der Titelrolle sowie Alexandra Maria Lara: als Mutter und Devid Striesow: als Vater Zitterbacke. © Edith Held

Auf dem großen Haufen der DDR-Rückblenden landet jetzt ein neues Buch: „Von Alfons Zitterbacke bis Zonen-Gaby“. Im Untertitel heißt es: „Die DDR in Elf 99 Kapiteln“. Dabei handelt es sich um eine Anspielung auf die TV-Jugendsendung „Elf99“ und soll nicht nur ein Hinweis auf das erstmals im September 1989 ausgestrahlte Programm, sondern auf 110 Kapitel in dem Buch sein.

Kai Witzlack-Makarevich, Lektor an der Universität Ostrava, Nadja Wulff, Juniorprofessorin an der Pädagogischen Hochschule Freiburg, sowie Coretta Storz, Dozentin an der TU Chemnitz, versprechen eine unterhaltsame Länderkunde sowie Wissenswertes aus der DDR-Alltagskultur. Damit möge vieles von einst wieder erkannt oder der Osten Deutschlands besser verstanden werden. Dabei aktivierte die Herausgebergruppe 33 Autorinnen und Autoren, die in kurzen Geschichten auf insgesamt 230 Seiten ihre Erinnerungen von „Arbeiterschließfächern“ über „Delikat-Läden“, „Jugendweihe“, „Kaufhalle“ bis „Westbesuch“ wiedergeben.

Titanic-Titelseite mit Zonen-Gaby.
Titanic-Titelseite mit Zonen-Gaby. ©  Archiv

Mit „Alfons Zitterbacke“ weckt der Titel einen Anspruch auf den Millionenseller des Schriftstellers Gerhard Holtz-Baumert über einen zehnjährigen Lausbuben, dessen Scheitern ihn so sympathisch machte. Diese Geschichten waren originell und beschrieben auf intelligente Weise den Alltag eines Heranwachsenden und seiner Familie. Doch der Hinweis darauf verspricht marketingclever viel mehr, als das Buch halten kann. Denn die Auswahl der Begriffe wirkt so beliebig wie zufällig. Unter der Überschrift „Alle Vögel sind schon da“ werden beispielsweise die Mopeds „Spatz“, „Star“, „Sperber“, „Habicht“ und „Schwalbe“ beschrieben. Tatsächlich wirkt es ziemlich absurd, die Zweiräder unter der Textzeile eines der bekanntesten deutschen Frühlings- und Kinderlieder aus dem Jahre 1835 zu versammeln, denn selbst wenn die Zweiräder Vogelnamen trugen, wurden sie nie derartig besungen.

Unentschieden in der Ausrichtung

Ein Kapitel heißt „Hurra, hurra, der Bus ist da. Wir fahren an den FKK!“ und verhandelt die Urlaubsreisen der Menschen in der DDR. Ein paar Seiten weiter geht es ganz ernsthaft um den „Jugendwerkhof“. Die Vokabel „Dostoprimetschatjelnosti“ dient als Hinweis auf die Brieffreundschaften mit sowjetischen Jugendlichen. Das Sammelsurium der einerseits geflügelten Worte und andererseits sachlichen Begriffe soll vermutlich originell sein und gleichzeitig Hintergründe erklären. Aber der Inhalt bleibt unentschieden, ist weder ein lexikalisches Nachschlagewerk noch ein unterhaltsamer Kurzgeschichtenband.

Der ewige Dampfplauderer Wolfgang Lippert - hier sein DDR-Berufsausweis - passt mit seinen TV-Wiederholungen zu diesem Buch.
Der ewige Dampfplauderer Wolfgang Lippert - hier sein DDR-Berufsausweis - passt mit seinen TV-Wiederholungen zu diesem Buch. © privat

So konstruiert wie der Gedankensprung vom TV-Format Elf99 zu den 110 Kapiteln ist die Idee, Redewendungen, Liedzeilen oder kuriose Begriffe wie „Roter Elvis“, „Grüne Wiese“, „Blauer Würger“ oder „Sudel-Ede“ als Assoziationen zu nutzen, um 30 Jahre nach der Friedlichen Revolution ein Land zu erklären, das wesentlich vielfältiger und mehrdimensionaler war als eben diese Verballhornungen. Anzuerkennen ist ohne Zweifel der Versuch der Herausgeber, auf unterhaltsame Weise Alltagsgeschichte zu schreiben, aber das Ganze bleibt an der Oberfläche und wirkt wie die hundertste MDR-Wiederholung von Ausschnitten aus dem „Kessel Buntes“ mit Wolfgang Lippert als ewig dampfplauderndem Moderator.

Woanders wird besser differenziert

Längst existiert ein differenziertes Bild über die Lebensverhältnisse der DDR-Heimat zwischen Suhl und Rostock. Entstanden ist das durch subjektive Sichten von Autorinnen wie Christa Wolf (Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud), Jana Hensel (Zonenkinder) oder Jutta Voigt (Im Osten geht die Sonne auf) und Autoren wie Thomas Brussig (Am kürzeren Ende der Sonnenallee), Ingo Schulze (Simple Storys) oder Durs Grünbein (Die Jahre im Zoo). Zudem entstanden in den vergangenen Jahren unzählige Lexika und Sachbücher wie beispielsweise von Wolfgang Engler (Die Ostdeutschen). Die DDR ist inzwischen publizistisch so intensiv beackert, dass sich neue Titel nur dann von der Massenware abheben, wenn sie tatsächlich einen neuen Ansatz oder neue Erkenntnisse liefern. Die sind von diesem Buch nicht zu erwarten.

Kai Witzlack-Makarevich, Coretta Storz, Nadja Wulff: Von Alfons Zitterbacke bis Zonen-Gaby – Die DDR in Elf 99 Kapiteln, Edition Noack & Block, 240 S., 18 Euro