Von Manfred Müller
Großenhain. Sollen die Eltern die Schulbücher ihrer Kinder bezahlen? Eigentlich sind Lara (16), Elisa (15), Gabriel (18) und Antonio (16) ja einer Meinung: Das sollen sie nicht. Aber bei einer Debatte braucht es Befürworter und Gegner; deshalb hat sich das Quartett sich in zwei Großenhain/Fellbacher Lager aufgespalten. Mädchen gegen Jungs. „Das ist ja der Sinn des Debattierens“, erklärt Martina Jahn.
„Die Argumente der Diskussionspartner ernst nehmen, sie geistig durchdringen und respektvolle Entgegnungen finden.“ Da könne man schon mal eine Meinung vertreten, die der eigenen Überzeugung widerspricht. Die Gymnasial-Lehrerin aus Dresden leitet den Kurs „Debating“, der seit Dienstag im Rathaussaal über die Bühne geht. 16 Schüler aus Sachsen und Baden-Württemberg haben hier gelernt, wie man Argumente austauscht, sie auseinandernimmt und am Ende trotzdem einen Ertrag verbuchen kann.
Martina Jahn ist Landesbeauftragte fürs Debattieren. In einer Zeit, in der man sich in den sozialen Netzwerken die jeweiligen Meinungen nur noch um die Ohren haut, kann es nicht von Schaden sein, Schülern einen niveau- und kulturvollen Schlagabtausch beizubringen. Debattier-Kurse haben sich deutschlandweit an vielen Bildungseinrichtungen etabliert. In Sachsen gibt es sechs Verbünde mit 22 Schulen, wo sie angeboten werden. „Ich hoffe, das Großenhainer Gymnasium kommt auch noch dazu“, sagt Martina Jahn.
Debatten laufen, anderes als Diskussionen, nach festen Regeln. Und es gibt eine klare Zeitbegrenzung für die Redner. Wenn die überschritten wird, klingelt ein Glöckchen. Das haben Teilnehmer am Debattierkurs im Großenhainer Rathaussaal in den vergangenen Tagen ausgiebig trainiert. Es wurden verschiedene Themen ausprobiert – jedes mit einem gewissen Aufregungspotenzial. Sollte man verpflichtende Gesundheits-Checks für Autofahrer über 60 einführen? Sollte ein Gesetz verabschiedet werden, das zur Teilnahme an Wahlen verpflichtet? Sollte die Handy-Nutzung im Unterricht erlaubt sein?
„Die Teilnehmer sollen den Mut aufbringen, sich mit wichtigen Themen zu beschäftigen, und lernen, ihren Standpunkt sachlich zu begründen“, sagt Martina Jahn. Lara, Elisa, Gabriel und Antonio schlagen sich ziemlich gut bei der Schaudebatte im brechend vollen Rathaussaal. Wobei die Mädchen-fraktion eindeutig im Vorteil ist – schließlich hat sie das soziale Gewissen auf ihrer Seite. Neuntklässlerin Elisa vom Großenhainer Gymnasium entpuppt sich dabei als echtes Debattiertalent.
Die Debattierer im Rathaussaal gehören zu den rund 400 Teilnehmern an der Schülerbegegnung „Musik und Kunst“. Sie findet einmal im Jahr am Vorabend des Tages der Deutschen Einheit statt – abwechselnd in Sachsen und Baden Württemberg und immer an einem anderen Ort. Dieses Jahr hat Großenhain den Joker gezogen. In mehrtägigen Workshops bereiten die jungen Leute Kunstausstellungen, Konzerte und Theateraufführungen vor. Und weil sie den ganzen Tag zusammenarbeiten und proben, Ausflüge machen und feiern, werden bei dieser Gelegenheit viele Freundschaften geschlossen.
Obwohl der Freistaat Sachsen schon seit seiner Gründung gute Beziehungen zu Baden-Württemberg pflegt, hat sein Ruf im „Ländle“ stark gelitten. Das Bild der Schwaben wird beherrscht von den Schlagzeilen über die fremdenfeindlichen Exzesse in Dresden, Heidenau oder Pirna. „Auf geht´s ins Naziland“, ist Gabriel von etlichen Kumpels verabschiedet worden. Einige seiner Schulkameraden sagten ab, weil die Eltern Vorbehalte gegen eine Reise in den Osten hatten.
„Ich selbst bin in Großenhain überhaupt nicht dumm angemacht worden, obwohl man mir meinen libanesischen Vater ja ansieht“, sagt er. „Ich denke, Sachsen wird größtenteils zu Unrecht in ein schlechtes Licht gerückt.“ Aber das Bild sei nun einmal in den Köpfen, bestätigt Lara, und werde mit jeder neuen Provokation aus der rechten Szene verfestigt. In Gesprächen mit den Gasteltern und den jungen Leuten aus Großenhain habe sie diesen Eindruck etwas gerade rücken können.
Die beiden Schüler vom Fellbacher Schiller-Gymnasium nehmen jedenfalls keinen schlechten Eindruck von der Röderstadt mit nach Hause. Der weite Blick, die hübschen Häuserfassaden, die freundlichen Menschen – und jede Menge neue Bekannte. Auch der Debattierkurs wird ihnen in guter Erinnerung bleiben. Vor allem Lara, die bei den Jusos aktiv ist und sich ein Studium in Richtung Politik oder Journalismus vorstellen kann. Oder dem Strogaer Antonio, der öffentliche Auftritte liebt. „Ich bin ein sehr guter Redner“, erklärt er selbstbewusst. „Meine Eltern sagen immer: ‚Du wirst bestimmt mal Politiker.‘“