Von Udo Lemke
Meißen. Diesen Anblick dürfte es eigentlich gar nicht geben. Ein Gewirr von Balken und Brettern, lose in den Angeln hängende Fenster und über allem der Blick in den offenen Himmel. Denn das Bild ist in der Fährmannstraße 1 aufgenommen worden. Das Wohnhaus steht unter Denkmalschutz, und laut Gesetz ist der Eigentümer verpflichtet, das Denkmal vor Schaden zu bewahren, also auch vor Verfall zu schützen. Der Eigentümer ist die Stadt Meißen, aber sie ist ihrer Pflicht nicht nachgekommen. Vielmehr pocht Oberbürgermeister Raschke darauf, dieses Haus, sowie die anschließenden Denkmale Fährmannstraße 2 und 3 und die nicht unter Denkmalschutz stehende Nummer 4 – alle in städtischem Besitz – abzureißen. Trotz Ablehnung seitens der Kreisdenkmalbehörde beharrt der OB auf diesem Ansinnen.
Während der Begehung in der Fährmannstraße am vergangenen Mittwoch – es nahmen Räte aller Stadtratsfraktionen teil – hatte der OB laut Aussagen von Teilnehmern erklärt, dass die Feststellung der Denkmalwürdigkeit der Fährmannstraße 1 bis 3 eher die Einzelmeinung des Kreisdenkmalpflegers Andreas Christl sei. Diese Aussage verkennt allerdings, dass Christl nicht als Privat-, sondern als Amtsperson in enger Abstimmung mit dem Landesamt für Denkmalpflege handelt. Christl soll am Mittwoch, dem 18. April, dem Meißner Bauausschuss die Position seines Amtes nochmals erläutern, wenngleich dieses seit dem Ablehnungsbescheid zum geplanten Abriss hinlänglich in der Stadt bekannt ist.
Im Augenblick scheinen die Dächer der Fährmannstraße 1 bis 4 dicht zu sein, „aber man sieht, dass es Zeiten gab, da das nicht der Fall gewesen ist“, schildert Heiko Schulze, der Vorsitzende der Fraktion Freie Bürger/SPD/Grüne im Stadtrat, seinen Eindruck von der Begehung. Ihn verwundert, dass es die Stadt zugelassen hat, dass die Leute aus den Wohnungen ausgezogen sind, ohne irgendetwas zu beräumen. „Es sieht aus, als wären sie eben aufgestanden.“ Als Laie falle es ihm nicht leicht, den Bauzustand der Häuser einzuschätzen, aber nach der Wende seien viel schlimmere Häuser saniert worden. Davon kann man sich noch heute ein anschauliches Bild machen. Die Touristinfo (www.touristinfo-meissen.de) führt auf ihrer Internetpräsenz 25 Gebäude in der Altstadt auf, die saniert worden sind. So sollte die Marktgasse 1, die nur noch ein Notdach hatte, 1990 abgerissen werden, heute schmückt sie das Stadtbild. Gleiches ließe sich etwa von der Fleischergasse 14 sagen, die 1988 zum Totalabriss vorgesehen war und nur durch den Einsatz von Meißner Bürgern gerettet werden konnte. Vor diesem Hintergrund mutet es seltsam an, dass heute, fast 30 Jahre später, denkmalgeschützte Häuser einfach abgerissen werden sollen. Zu fragen wäre, was dann mit den rund 40 leer stehenden Denkmalen in Meißen geschehen soll, die in teils schlechterem Zustand sind als die Fährmannstraßenhäuser.
Allerdings gibt es Zweifel an der Sinnhaftigkeit ihres Erhalts: „Aus meiner Sicht als Statiker ist die Sanierung der Gebäude mit einem erheblichen Kostenrisiko verbunden“, erklärt etwa Holger Metzig, Stadtrat in der Fraktion Unabhängige Liste Meißen/FDP. „Eine Option mit Teilabbruch und städtebaulich optimiertem Ersatzneubau sollte in die Überlegungen einbezogen werden.“
Allerdings stellt sich die Frage, warum die Stadt die Fährmannstraße 1 bis 4 nicht auf dem freien Markt anbietet, wenn sie sie eh nur abreißen will. Vielleicht findet sich ja ein Investor, der dort anpacken will? Nach SZ-Informationen hat die Stadt um 2011/12 die Häuser für 250 000 bis 270 000 Euro gekauft. Investoren bieten heute etwa 70 000 Euro dafür an. Fürchtet die Stadtverwaltung, dass dieses Minusgeschäft offenbar wird? Was ist eigentlich mit dem Gutachten geworden, mit dem der aktuelle Wert der Gebäude ermittelt werden sollte?