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Der Bibliothekar geht

Bretnig hat künftig keine eigene Bücherei mehr. Die Räume seien baulich in zu schlechtem Zustand.

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© Matthias Schumann

Von Reiner Hanke

Bretnig. Bücher begleiten Manfred Röntzsch schon sein Leben lang. Das werden sie weiterhin tun. Wenn auch nicht mehr so wie in den vergangenen 16 Jahren. In dieser langen Zeit betreute er die Bretniger Bibliothek. Am Donnerstag öffnet er sie zum letzten Mal. So ein bisschen atmet die Bibliothek in der blauen Halle in Bretnig den Charme der Vergangenheit. Das DDR-Regal neben der Tür biegt sich unter der Last des geballten Wissens des Brockhaus-Lexikons. Jenes mit den aktuellen Zeitschriften ist schon weitgehend leer. Wasserschäden an der Decke sind unübersehbar. Am Schreibtisch ist noch eine Inventurmarke von 1976 auszumachen, aus DDR-Zeiten. Ebenso wie die Sessel mit Blumenmuster. Hier gibt es keinen Computer, sondern nur Karteikästen und Datumsstempel. Die Einträge in den Büchern kontrolliert Manfred Röntzsch jetzt zum letzten Mal, wenn die Leser ihre Bücher kurz vor der Schließung abgeben. Aber Straf- oder Mahngebühren habe es bei ihm ohnehin nie gegeben. Das sei den Aufwand gar nicht wert gewesen. Er habe die Säumigen angerufen. Dann habe das schon funktioniert. Alle Bücher seien zurückgekommen.

Blaue Halle in schlechtem Zustand

Die blaue Halle ist schon seine dritte Station mit der Bibliothek, erzählt der Bücherfreund. Die teilt er sich mit dem Bauhof. Auch wenn der eigene Bretniger Bestand wohl schon etwas angestaubt ist, habe es ihm nie an aktueller Literatur gefehlt. Die Kreisergänzungsbibliothek habe das möglich gemacht. Über sie habe er die Wünsche der Leser erfüllen können. Rund 260 sind es Ende 2017 gewesen. Die Zahl sei in den vergangenen Wochen allerdings zusammengeschmolzen, seitdem das Ende absehbar war.

Seit August 2001 hält er die Stellung in der Bretniger Bibliothek. Damals wurde ein Betreuer gesucht. Sein Nachbar war auf der Gemeinde beschäftigt und berichtete davon. „Ich hatte daheim viele Bücher, lese gern und habe ja auch Buchdrucker gelernt.“ So passte alles zusammen, er habe zugesagt. Zuerst sei es eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme gewesen. Nun sei er aber schon seit 2003 Rentner und inzwischen 75 Jahre alt. Das laufe jetzt alles nur noch ehrenamtlich, von einer kleinen Aufwandsentschädigung abgesehen. Aber bis heute betreue er die Bibliothek gern, auch um sich geistig im Rentenalter fit zu halten.

Er beende sein ehrenamtliches Engagement aus Altersgründen, hieß es aus dem Rathaus. Mancher Leser will das nicht so recht glauben. Vielleicht stecken ja auch Kostengründe dahinter, dass die Bücherei geschlossen werden soll. Mit den Altersgründen, das sei schon richtig, sagt Röntzsch, aber nur eine Seite der Medaille. Er wollte aufhören, wenn er fühle, dass die Zeit gekommen ist. Und er habe gefühlt, dass er der Stadt mit dem Entschluss zu diesem Zeitpunkt auch entgegenkomme, formuliert er vorsichtig. Schon im vergangenen Winter sei die Bibliothek wegen der Heizungskosten geschlossen gewesen. Die seien erheblich, wegen der schlechten baulichen Substanz, bestätigt die Stadt und bedankt sich zugleich bei Manfred Röntzsch für sein Engagement, durch das die Bücherei lange Jahre öffnen konnte. Den Abschied vom Ehrenamt habe der Ortschaftsrat von Bretnig-Hauswalde zum Anlass genommen, die Gegebenheiten vor Ort zu prüfen, schreibt Stadtsprecherin Anja Kurze. Gerade Nachfragen zum Beispiel beim Seniorentreff in Bretnig hätten außerdem einen geringen Bedarf ergeben, heißt es. Hinzu komme der schlechte Bauzustand. „Aufgrund der geringen Nutzerzahl und der Substanz des Gebäudes hat sich der Ortschaftsrat für eine Schließung der Bibliothek entschieden“, so die Begründung durch die Stadt. Zugleich macht die Stadt auf die weitaus moderner ausgestattete Bibliothek in der Großröhrsdorfer Kulturfabrik aufmerksam. Die werde bereits von vielen Bürgern aus Bretnig und Hauswalde genutzt, so Anja Kurze. Der Bretniger Bücherbestand sollen je nach Bedarf an die Stadtbibliothek, Kindertagesstätten und Schulen verteilt oder bei einer Bücherbörse verkauft werden. Die Zukunft der Halle sei offen.

Von der und den Lesern nimmt Manfred Röntzsch nun schon seit einigen Wochen Abschied, seitdem das Aus bekannt wurde: „Wir wünschen uns alles Gute, die Leser bedanken sich und bedauern, dass es nun zu Ende gehe“, sagt der Senior. Für Ines Engert ist das ein deutlicher Verlust. Sie bringt einen ganzen Stapel Bücher mit – Reiseliteratur und Krimis zum Beispiel, von der ganzen Familie. Eltern seien mit ihren Kindern auf dem Weg von der Kita nach Hause gern vorbeigegangen – andere Leute, wenn sie im Markt gegenüber einkaufen waren, berichtet sie. Manfred Rötzsch setzt unterdessen Haken hinter die Einträge in der Bücher-Kartei. Ordnung muss sein, auch kurz vor Schluss. Ein Büchlein mit Aphorismen und einem Schokoigel als Dankeschön, hat Ines Engert mitgebracht. “ Manfred Röntzsch ist gerührt.

Es war ein Treffpunkt

Am Schreibtisch von Manfred Röntzsch hat sich eine kleine Schlange gebildet. „Jammerschade, dass es zu Ende geht“, bedauert auch Harald Willy: „Es war so bequem und ein Treffpunkt.“ Er werde nach Großröhrsdorf wechseln. Gerade den Älteren falle das schwerer, sagt Manfred Röntzsch. Je näher der Abschied rücke, werde er schon ein bisschen sentimental, gesteht er. In der Bibliothek habe es immer etwas zum Schwatzen gegeben. Fußball sei ein Thema gewesen. Aber auch Kommunalpolitisches, wie die Gemeindefusion mit Großröhrsdorf. Zuletzt war vor allem die Bibliothek selbst ein Thema und ihr  baldiges Aus. Aber auch danach wird Manfred Röntzsch den Büchern treu bleiben.