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Der Chef

Die Suche hat ein Ende. Die Oberschule in Merzdorf hat wieder einen Leiter: einen Ur-Riesaer. Die SZ besuchte ihn.

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© Sebastian Schultz

Von Britta Veltzke

Riesa. Die Oberschule Am Merzdorfer Park hat ein Problem weniger: Nach einer mehr als zweijährigen Suche und insgesamt vier Ausschreibungsrunden ist der Chefsessel wieder besetzt. Und wenn nichts Unvorhergesehenes dazwischen kommt, wird das die nächsten Jahrzehnte wohl auch so bleiben. Denn die Gefahr, dass der neue Schulleiter schwach wird, sobald eine Stelle in Leipzig oder Dresden frei wird, dürfte gegen null tendieren. Im Schulleiterbüro am Merzdorfer Park hat sich ein echter Riesaer eingerichtet – mit ambitionierten Zielen. Wobei der Begriff „eingerichtet“ eher im übertragenen Sinne zu verstehen ist. „Viel verändert habe ich nicht“, sagt Jürgen Gläsel und schaut sich um. Zwei Spruchbilder an der Wand sind neu, auf dem Tisch steht ein zartes Pflänzchen, das vor Übereifer gleich erst einmal den Geist aufgeben wollte. „Das habe ich zu meinem Start hier von meinen Eltern geschenkt bekommen. Inzwischen geht es ihm schon wieder etwas besser.“ Um welche Pflanze es sich genau handelt, weiß er nicht. Aber Gläsel ist ja auch kein Biolehrer. Sport und Englisch sind seine Fächer.

Der Posten als Schulleiter am Merzdorfer Park ist die erste Stelle, die Jürgen Gläsel in seiner Heimatstadt antritt – von seinem Vorbereitungsdienst vor mehr als 20 Jahren einmal abgesehen. Für die Stelle hat sich der 51-Jährige ganz bewusst entschieden. „Ich will meine Netzwerke nutzen, um die Schule voran zu bringen“, erklärt er. Dass Gläsel in Riesa über viele Kontakte verfügt, würde ihm sicher niemand absprechen. Für die CDU sitzt er seit 2011 im Stadtrat, er ist Vorsitzender des Museumsvereins und früher spielte er Fußball in seinem Geburtsort.

„Keine Kopfnote schlechter als drei“

Dass er jetzt auch in Riesa arbeitet, versteht Gläsel als ein Stück Engagement für seine Heimat: „Ich will erreichen, dass die Kinder eine gute Ausbildung bekommen und anschließend hier bleiben.“ In Riesaer Firmen seien Facharbeiter schließlich gefragt – bei Feralpi, im Reifenwerk oder BuS Elektronik. Doch finden die Personaler häufig nicht die Bewerber, die sie gerne hätten. „Die Firmen vermitteln mir, wen sie gebrauchen können: zuverlässige Absolventen, die keine Kopfnote schlechter als drei haben.“ Gläsel sieht es als seine Aufgabe, die Schüler auf diesen Stand zu bringen.

Und was braucht es dafür? „Ein Gleichklang im Handeln. Damit meine ich Prinzipien, die alle Kollegen vertreten. Die Schüler sollen nicht den Eindruck gewinnen, dass sie bei dem einen Lehrer weiter gehen können als bei dem anderen.“ Wichtig sei ihm Pünktlichkeit, dass gegrüßt wird und Pflichten, wie Hausaufgaben, erfüllt werden. Nicht an allen Schulen werde gleichermaßen Wert darauf gelegt. Und davon hat Gläsel im letzten Vierteljahrhundert genug von innen gesehen. „Je näher die Schule an einer Großstadt liegt, desto schneller kommen Trends an. Auch was Drogen angeht.“ Rauschmittel seien an jeder weiterführenden Schule Thema. „Hier hält sich das zum Glück in Grenzen. Drogen spielen nur eine geringe, untergeordnete Rolle.“

Die längste Zeit verbrachte Gläsel als Lehrer in Lommatzsch. Zwischendurch kehrte er dem Lehrersein auch mal den Rücken. Für das Sächsische Bildungsinstitut, das dem Kultusministerium untergeordnet ist, fuhr er über die Lande, um die Schulqualität zu prüfen. Aber: „Mir haben die Kinder gefehlt.“ Also ging es zurück in den Schuldienst. Zuletzt arbeitete Gläsel als stellvertretender Schulleiter in Radebeul. „Da habe ich dann auch gemerkt, dass ich mir den Chefposten zutraue.“ Als Schulleiter am Merzdorfer Park will er nun endlich das leidige Thema Schulgebäude „zu einem glücklichen Ende“ bringen. „Letzte Woche kam unser Musiklehrer in den Fachraum, da lagen die Lampen auf dem Boden. Sie sind in der Nacht einfach von der Decke gekracht. Ich bin heilfroh, dass das nicht einige Stunden später passiert ist.“ Das marode Gebäude hatte seine Vorgängerin Brigitte Putzger schon jahrelang beschäftigt, die 2014 in Rente ging.

Zwischenzeitlich schien sich das Thema erledigt zu haben. Die Schule sollte in das geplante Schulzentrum in Weida einziehen. Doch als die Stadt das Projekt wegen fehlender Fördermittel beerdigen musste, wurden die Hilferufe vom Merzdorfer Park wieder lauter. Dort gehen die Schüler noch auf Toiletten aus dem Baujahr der Schule und schauen durch ebenso alte Fenster. Klimaschützer sollten sich beim Anblick der energetischen Werte lieber die Augen zuhalten. Doch Jürgen Gläsel ist optimistisch, nicht mehr allzu lang Hausherr einer sanierungsbedürftigen Schule sein zu müssen. Die ersten Baumaßnahmen wurden in die Wege geleitet. Erst letzte Woche beschloss der Bauausschuss, Geld für die Planung einer neuen Brandmeldeanlage und Fluchtwege freizugeben – das allernötigste also.

Die komplette Sanierung der Schule ist ab 2018 vorgesehen. Wenn es tatsächlich so weit ist, bedeutet das für Jürgen Gläsel, seine Kollegen und die Schülerschar: Sachen packen. Denn während die Oberschule Am Merzdorfer Park saniert wird, soll das Gebäude der Grundschule Am Storchenbrunnen Obdach für die Mittelschule bieten. Die Grundschüler werden im kommenden Sommer an den Standort Magdeburger Straße umgelenkt. So hat es der Stadtrat im Juni beschlossen.

Das zarte Pflänzchen auf Gläsels Schreibtisch sollte bis zu dem Umzug weder eingehen – noch zu viel Zeit zum wachsen haben.