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Der Chemie-Doktor und sein Seelenverwandter

Dr. Christian Rocktäschel kaufte 1992 die Fluorchemie Dohna. Rainer Niepel führte lange die Geschäfte. Jetzt trafen sie sich wieder.

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© Dirk Zschiedrich

Von Heike Sabel

Dohna. Kai Dettmar hat am Freitag seinen Job gewechselt. Statt dafür zu sorgen, dass die Produktion in der Fluorchemie in Dohna läuft, ist er mit der Kamera unterwegs und sorgt dafür, dass jeder Moment festgehalten wird. Er macht Schnappschüsse seiner ehemaligen und jetzigen Kollegen. Die begrüßen sich mit „Hallo, mein Kleiner“, „Lange nicht gesehen“ und „Schön, dass du da bist.“ Sie alle sind eingeladen, die Privatisierung des Unternehmens vor 25 Jahren zu feiern. Am Rande gibt es auch eine Begegnung des ehemaligen und jetzigen Dohnaer Bürgermeisters. Es ist nicht zu übersehen, dass Friedhelm Putzke und Ralf Müller keine großen Freunde sind. Doch das spielt an diesem Tag keine Rolle.

Dettmar schaut immer wieder etwas unruhig in Richtung Eingangstor. Dann ein Raunen und viele schauen einem Auto mit Bergheimer Kennzeichen hinterher, dass direkt neben dem Verwaltungsgebäude parkt. „Der Doktor“, heißt es verschwörerisch. Die Fluorwerker wissen Bescheid. Der kleine Herr im dunkelblauen Anzug und grauen Haaren ist Dr. Christian Rocktäschel. Er hat 1992 kurz vor der Pleite die Fluorchemie gekauft. Er nimmt ein Glas Sekt, – mit den Worten „Da komme ich besser in Fahrt“ – und geht schnurstracks auf Müller zu. „Sieht doch gut hier aus, ich komme auch noch mal auf Sie zu.“ Rocktäschel erzählt kurz die Geschichte, wie er den damaligen sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf als Aufsichtsrat für Dohna wollte. Biedenkopf wollte nicht, Rocktäschel hat Dohna trotzdem voran gebracht. Müller hört zu. „So ist er“, sagt er und Rocktäschel begrüßt schon die Nächsten. Dettmar ist ihm auf den Fersen.

Rocktäschel spricht in der Feststunde für seine 80 Jahre und seine Erfahrungen überraschend kurz. Kollegen kennen es auch anders. Am Freitag erzählt er nur eine Episode. Alle Flusssäure-Produzenten müssen ihre Abgaswerte an die europäische Gruppe der Hersteller nach Paris melden. Mit deren Vorsitzenden unterhielt sich Rocktäschel. Der Chef war ganz aus dem Häuschen, ein Unternehmen habe doch tatsächlich Null gemeldet. Wer das gewesen sei, fragte Rocktäschel. „Die Nummer 9.“ – „Und wer ist das?“ – „Das seid ihr.“ Das sind Geschichten, die Rocktäschel gern erzählt und die Dohnaer gern hören. Ihr Beifall ist kein Anstandsklatschen.

Rainer Niepel und Christian Rocktäschel haben sich viel zu erzählen. Niepel führte jahrelang die Dohnaer Geschäfte, auch für Rocktäschel. Der nennt ihn seinen Seelenverwandten, Niepel habe es nicht immer leicht mit ihm gehabt – vor allem, wenn er nach ihm reden musste, so wie am Freitag. Die Dohnaer lachen, sie wissen, wie das gemeint ist.

Die beiden Männer verkörpern die ältere Generation, der heutige Geschäftsführer vor Ort, Harald Werner, die mittlere und für die jüngere steht Johannes Scheruhn, Rocktäschels Schwiegersohn. Ihm und seiner Tochter hat er die Fluorwerke übertragen. Er hat das Sakko ausgezogen, es braucht immer einen, der anfängt. Scheruhn lobt die Dohnaer, die einen guten Job machen. Darauf wird dann das Fass Bier angezapft, das die bayrischen Kollegen am Freitag mitbrachten.

Er habe irre Dinge gemacht, sagt der 80-Jährige. Jetzt sitzt er nachts bis 1 Uhr am Schreibtisch und kündigt ein weiteres irres Ding an. „Das wird die Welt in Sachen Energie revolutionieren.“ In Dohna zweifelt keiner daran, dass der Doktor das schafft. Kai Dettmar hat nach den zweit Tagen Hunderte Fotos gemacht. Nun kehrt er wieder dorthin zurück, wo die Fluorchemie auch die nächsten 25 Jahre das Geld verdient und er sich seit seiner Lehre 1980 doch am wohlsten fühlt: in der Produktion.