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Der ewige Spuk um Opa Rodenwald

Rund 150 große Partien hat Kammersänger Hajo Müller gesungen. Doch mit seiner Filmrolle ist er unsterblich geworden.

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© Christian Juppe

Von Nadja Laske

Sie scheinen für die Ewigkeit gemacht zu sein: die schaurig-witzigen Spuk-Geschichten aus dem DDR-Fernsehen. Mal spielten sie im Hochhaus, mal unterm Riesenrad, und in der dritten Staffel kam der „Spuk von draußen“. Inzwischen sind die Serien auf DVDs verewigt, so wurde auch Opa Rodenwald unsterblich – mal abgesehen davon, dass er das als Roboter sowieso schon immer war. Im erzgebirgischen Städtchen Bärenbach bringt er Kindern das Gruseln bei und wird von ihnen ins Herz geschlossen. Das gilt für die Fans der Spuk-Geschichten ganz allgemein.

Opa Rodenwald ist in Wirklichkeit kein Technikwunder der Marke RO-101, wie er im Film heißt, sondern ein Dresdner aus Fleisch und Blut. Wem er nicht als Schauspieler bekannt ist, der schätzt ihn als Kammersänger Hajo Müller. Rund 40 Jahre lang hat er an der Semperoper gesungen, weit über das Rentenalter hinaus blieb er Gast und stellt heute beinahe amüsiert fest: „Viel bekannter als durch meine Rollen an der Oper werde ich als Opa Rodenwald bleiben.“ Denn den Film schauen Eltern mit ihren Kindern und Großeltern mit den Enkeln. Die Opernbegeisterten von einst indes sterben über kurz oder lang, und Inszenierungen geraten in Vergessenheit.

Es ist noch gar nicht so lange her, dass bei Hajo und Hiltgund Müller die Klingel schrillte. Es war ein Fan, der nur wenige Tage in der Stadt war und auf ein Autogramm hoffte. Solche Begegnungen sind zwar selten geworden. Mit seinen 87 Jahren kommt Hajo Müller nur noch selten aus dem Haus. Doch vielen Menschen ist er noch gut bekannt – als imposanter Bass und als Außerirdischer mit dem dritten Auge. Ob er seinerzeit ein Star war? Ohne zu zögern und zeitgleich antwortet Hajo: „Nein!“, Hiltgund aber: „Ja!“ Ihr wird recht zu geben sein. Hingen die Dresdner damals doch noch mehr als heute an den Ensemblemitgliedern ihrer Theater und besuchten die Vorstellungen, um ihre jeweiligen Helden auf der Bühne zu sehen.

Die stimmliche Entwicklung zum Heldenbariton hatte Hajo Müller bereits vor seiner Zeit in Dresden vollzogen. Als Sohn zweier verhinderter Sänger fand er schon als Junge das größte Verständnis seiner Eltern, die sein Talent und die Liebe zum Gesang unterstützten. „Sie durften selbst nicht als Künstler arbeiten, das galt damals noch als unschicklich“, erzählt Hajo Müller. So verdiente sein Vater als Lehrer sein Geld, und die Mutter gab Klavierstunden. Ihrem Sohn ließen sie eine Gesangsausbildung zukommen, 25 Mark pro Unterrichtsstunde sparten sie sich dafür ab.

Nach drei Jahren Unterricht bekam Hajo Müller sein erstes Engagement als Gast am Theater Döbeln, wo er auch aufgewachsen war, und gab in der Zauberflöte den Sarastro. Bald wechselte er für zwei Jahre an die Chemnitzer Oper. „Das war eine tolle Zeit mit einer großartigen Förderung junger Kollegen“, sagt er. Der Beruf führte ihn nach Plauen und Schwerin, wo er für sein Alter sehr große Partien sang. „Gerade in Schwerin hatten wir eine beglückende Zeit.“ Ebenso in Weimar. Dort wurde Hajo Müller der Ehrentitel Kammersänger verliehen. Während er sich zuvor von einem Haus zum anderen selbst beworben hatte, holte ihn die Intendanz der Semperoper schließlich nach Dresden. „Ich hatte dort als Gast gesungen und offenbar überzeugt“, sagt er.

Insgesamt 150 Partien hat Hajo Müller während seiner Karriere gesungen und war in rund 3 500 Vorstellungen zu erleben. Viele Werke wurden bejubelt, „Aus einem Totenhaus“ von Leos Janácek jedoch verschwand schon nach der Premiere für immer von der Bühne. Die moderne Oper hatte den Mächtigen des Staates nicht gefallen. Für zu kritisch und reaktionär hielten sie sie. „Die Csardasfürstin in der Inszenierung von Peter Konwitschny überstand zehn Jahre nach der Wende nur wenige Vorstellungen“, erzählt Hajo Müller. Ein Teil des Publikums war so empört darüber, dass es lärmte, bis die Vorstellung abgebrochen werden musste – ein echter Theaterskandal. „Der Regisseur hatte die Operettenhandlung in eine Kriegszenerie verlegt, das kam nicht gut an.“ Eine Enttäuschung nach harter Probenarbeit.

Bescheiden und doch stolz erzählt Hajo Müller von Glück und Erfolg seines kunstpreisgekrönten Berufs. Wenn er jedoch auf den tragischen Bühnenunfall zu sprechen kommt, bei dem er sich mit den Füßen in Kulissenteilen verfing und schwer stürzte, gerät er ins Stocken. Bis heute setzt ihm das Erlebnis zu, bis heute hat er gesundheitlich mit den Folgen zu kämpfen. Denn der Oberschenkelhalsbruch von damals ist zwar verheilt, sorgte aber fortan für Schwierigkeiten beim Laufen. „Wenn das alles nicht passiert wäre, würde ich wahrscheinlich noch immer auf der Bühne stehen“, scherzt er.

Doch wie wurde Hajo Müller Opa Rodenwald? Günter Meyer, der Regisseur der Spuk-Reihe, sah ihn in seinem frühesten Film, „Hilde, das Dienstmädchen“, fand ihn klasse und engagierte ihn. Die Crew drehte in den Defa-Ateliers Babelsberg, im erzgebirgischen Thum und natürlich im Filmhaus, in dem Rodenwald wohnt. Der Spuk von einst behält seinen Charme und besticht auch junge Leute mit seiner besonderen Atmosphäre. Das hat Hajo Müller bei der Begegnung mit einem kleinen Fan erlebt. Der Sohn einer Pflegerin des Arbeiter-Samariter-Bundes, die ihn regelmäßig versorgt, ist begeistert von Hajo Müller. Der Knirps hat alle seine Filme gesehen und wollte ihn unbedingt kennenlernen. „Es war eine Freude, sich mit dem jungen Mann zu unterhalten.“