Sachsen
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Protestanten im Stresstest

Auf der Synode der Landeskirche wird sich der zurückgetretene Bischof erklären. Viele Reaktionen zeigen, wie aktiv die neue Religiöse Rechte ist. Ein Gastbeitrag.

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Ex-Landesbischof Carsten Rentzing bleibt für seine Kirche ein Problem.
Ex-Landesbischof Carsten Rentzing bleibt für seine Kirche ein Problem. © dpa

Von Arnd Henze

Die Debatte um die rechtsnationale Vergangenheit des sächsischen Bischofs Carsten Rentzing hat eine viel dramatischere Nachricht überlagert: Bei den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen hat fast ein Viertel der Kirchenmitglieder die AfD gewählt! Alle Hoffnungen, der christliche Glaube bilde eine immunisierende Kraft gegenüber den Verlockungen völkisch-nationalistischer und autoritärer Ressentiments, sind damit empirisch widerlegt. Im Raum der evangelischen Kirche formiert sich eine Religiöse Rechte, die überall dort Raum greift, wo ihr nicht entschieden Grenzen und überzeugende Alternativen entgegengesetzt werden.

Deshalb geht es in der Causa Rentzing auch nur mittelbar um die Frage, was er als Student vor dreißig Jahren in einer rechtsextremen Zeitschrift geschrieben hat. Vordergründig zurücktreten musste er, weil er seine rechte Vergangenheit bei der Bischofsbewerbung gegenüber der Synode verschwiegen und zuletzt in einem Interview mit der Leipziger Internet-Zeitung ausdrücklich verleugnet hat: „Mein ganzes Leben lang ist mir nationalistisches, antidemokratisches und extremistisches Denken immer fremd geblieben.“

Diese offensichtliche Lüge relativiert auch die bisher nur schriftliche Distanzierung von seinen früheren Texten. Mag sein, dass Carsten Rentzing in seinen eigenen Überzeugungen moderater geworden ist. Die prinzipielle Offenheit für ganz rechtes Denken hat er aber auch als Bischof zum Prinzip erhoben – und als Bemühen um die Einheit der Kirche verbrämt. Aber wer mit dem Leiter der „Bibliothek des Konservativismus“, Wolfgang Fenske, einen der prominentesten Vertreter der Neuen Rechten zur Amtseinführung einlädt, setzt ein Zeichen. Denn es geht um jenen Wolfgang Fenske, mit dem Rentzing einst gemeinsam die rechtsextreme Zeitschrift „Fragmente“ herausgab.

Diese Offenheit verordnete der Bischof seiner Kirche auch gegenüber der erstarkenden AfD. Während die benachbarte Landeskirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz (EKBO) mit ihrem Bischof Markus Dröge schon vor der Bundestagswahl 2017 ein klares Profil gegenüber den völkisch-nationalistischen Kräften entwickelte, pries Rentzing am Tag nach der Wahl den Einzug der AfD in den Bundestag als „Ausdruck der Vielfalt unserer Gesellschaft“, warnte vor einer „Stigmatisierung konträrer politischer Auffassungen“ und forderte, „für Begegnungen offen zu sein“. Kein Wort fand er dagegen darüber, dass Alexander Gauland am Abend vorher martialisch angekündigt hatte, man werde nun „Angela Merkel jagen“ und sich „unser Land zurückholen“.

Auch vor der Landtagswahl in diesem Jahr vermied die sächsische Kirchenleitung jegliche Abgrenzung gegenüber der sich stetig weiter radikalisierenden Partei. Als die AfD dann 27,5 Prozent der Stimmen erreichte, rief der Bischof dazu auf, mit der AfD und ihren Wählern „eine gemeinsame Sicht auf unsere gemeinsame Zukunft zu entwickeln“. Statt die demokratischen Parteien darin zu bestärken, die Brandmauer gegenüber den Verächtern der Demokratie zu stärken, forderte Rentzing also ausdrücklich zum Einreißen dieser Mauer auf.

Bei all dem ist unerheblich, ob Rentzing selbst Sympathien für die AfD hegt (wofür es keinen Beleg gibt) oder ob er aus Rücksichtnahme auf die politischen Machtverschiebungen in Sachsen gehandelt hat. Im Ergebnis legitimierte er völkisch-nationalistische Positionen als „Ausdruck der Vielfalt“ und delegitimierte eine scharfe Abgrenzung gegenüber Rechts als „Stigmatisierung“. Es war eine klassische Täter-Opfer-Umkehr: Wo es keine roten Linien geben durfte, standen nicht mehr die Verächter der Demokratie, sondern deren Verteidiger unter Rechtfertigungsdruck.

Ende Oktober standen zahlreiche Menschen vor dem Landeskirchenamt in Dresden auf "Mahnwache" für Carsten Rentzing. 
Ende Oktober standen zahlreiche Menschen vor dem Landeskirchenamt in Dresden auf "Mahnwache" für Carsten Rentzing.  © Ronald Bonß/dpa

Viele in der sächsischen Landeskirche haben sich in den Rentzing-Jahren resigniert zurückgezogen. Andere, wie eine Gruppe Leipziger Pfarrerinnen, Pfarrer und Kirchenvorstände, haben im Bemühen, noch Gehör zu finden, zu drastischen Mitteln wie der Online-Petition „Nächstenliebe braucht Klarheit“ gegriffen. Darin fordern sie den Bischof auf, sich der Diskussion zu seiner Mitgliedschaft in einer pflichtschlagenden Verbindung, seinem Vortrag in der Bibliothek des Konservativismus und den ambivalenten Aussagen zur AfD zu stellen. Das heftige Echo reicht von „Inquisition“ über „Kesseltreiben“ bis „kleingeistige Blockwartmentalität“.

Gilt diese Polemik nun eigentlich auch gegenüber dem Hannover’schen Landesbischof Meister, der Rentzings Schweigen ungewöhnlich deutlich kritisiert hat: „Auch eine seit Jahrzehnten revidierte Position zu diesen Texten muss gründlich öffentlich erklärt werden.“ Rentzings Anspruch, die schon seit DDR-Zeiten sehr polarisierte Kirche zusammenzuhalten, musste scheitern – nicht obwohl, sondern weil er den Streit um ein verbindliches Fundament kirchlicher Einheit verweigert hat. In diesem Vakuum ging die Trennschärfe zwischen konservativ und rechtsextrem zunehmend verloren. Schon lange vor Aufkommen der AfD hatte die Polemik gegen die Anerkennung homosexueller Lebensformen den harten Kern der evangelikalen Szene geeint und definiert. Als Rentzing 2015 zum Bischof gewählt wurde, war er auch der Kandidat dieser Hardliner – die ihm danach jegliche Kompromissbereitschaft in dieser Frage als Verrat auslegten. Die Muster des ressentimentgeladenen Fundamentalismus ließen sich auf die neuen Feindbilder Islam, Merkel und EKD übertragen.

Prominente Angehörige der radikal-evangelikalen Szene wie der frühere Jugendmissionar Theo Lehmann suchten die Nähe zu AfD und Pegida. In seiner Person verkörpert sich auch das perfide Narrativ, demzufolge die Religiöse Rechte heute das Erbe des Widerstands gegen das NS-Regime und die SED-Diktatur angetreten hat. Schon 2004 schrieb er: „Was wir brauchen, sind bibelfeste und notfalls auch feuerfeste, KZ-fähige Christen“. Für einen Auftritt bei der AFD-Jugend wurde Lehmann als „Widerstandspfarrer“ angekündigt.

Eine bittere Ironie

Die AfD griff diese Widerstands-Erzählung im Juni 2019 mit einem strategischen Angriff gegen die EKD auf. In der Broschüre „Unheilige Allianz“ behauptet der vom Verfassungsschutz beobachtete „Flügel“ um Björn Höcke eine nahtlose Kontinuität von den „Deutschen Christen“ in der NS-Zeit über eine Kumpanei mit dem SED-Regime bis zur Komplizenschaft mit dem „rot-grünen Zeitgeist“ und den „Mächtigen“. Im Spiegelbild zieht die AfD eine direkte Linie von der „Bekennenden Kirche“ über die „Widerstandspfarrer“ in der DDR zu denen, die sich den heutigen Kirchenleitungen entgegenstellen und mit dem Segen der AfD eine neue Bekennende Kirche bilden sollen. Spätestens hier hätte niemand lauter widersprechen müssen als Carsten Rentzing, saß doch auch der sächsische AfD-Chef Jörg Urban mit Björn Höcke und dem brandenburgischen Fraktionschef Andreas Kalbitz auf dem Podium, als die Kampfschrift in Berlin präsentiert wurde.

Die bittere Ironie: Nach dem Rücktritt folgt die öffentliche Solidarisierung mit dem Bischof genau diesem Drehbuch. So unterstellt Klaus-Rüdiger Mai in der „Tagespost“ eine „Umwandlung der Kirche Jesu Christi in eine politische Vorfeldorganisation.“ Ein leitendes Amt dürfe „in der Kirche anscheinend nur antreten, wer bereit ist, eine rot-grüne Confessio abzulegen“. Den enttäuschten Rentzing-Anhängern ruft Mai zu, „sich als kritische Christen zu versammeln im Sinne einer Bekennenden Kirche, die das Bekenntnis zu Gottes Wort in den Mittelpunkt stellt“.

Auch für die evangelische Nachrichtenagentur Idea, die AfD und die von beiden massiv geförderte Petition zugunsten des zurückgetretenen Bischofs ist prägend: Sie relativieren Rentzings völkisch-nationalistische und antidemokratische Texte in ihrer Bedeutung und versuchen, sie als legitime konservative Position darzustellen.

Unser Autor Arnd Henze ist WDR-Journalist und Theologe. Unlängst erschien von ihm das Buch „Kann Kirche Demokratie? Wir Protestanten im Stresstest“ (Herder-Verlag, 176 S., 18 €)
Unser Autor Arnd Henze ist WDR-Journalist und Theologe. Unlängst erschien von ihm das Buch „Kann Kirche Demokratie? Wir Protestanten im Stresstest“ (Herder-Verlag, 176 S., 18 €) © privat

Diese institutionell und medial stark verzahnte religiöse Rechte ist längst nicht auf das Vogtland und die Sächsische Schweiz beschränkt. Sie pauschal als rechtsextrem abzustempeln, wäre überzogen. Aber die Grenzen nach ganz rechts sind weit offen. Nach dem Rücktritt des Bischofs hat das nun auch die sächsische Landeskirche in bemerkenswerter Klarheit erkannt. Der Präsident der Synode, Otto Guse, erklärte, die Kirche müsse nun die Frage klären: „Was ist rechtsextrem und was ist ein wertekonservativer Christ?“ Hier brauche es klare Abgrenzungen. „Das ist bis jetzt nicht gewesen, das ist meines Erachtens auch ein Teil des Problems“, gab Guse unverblümt zu. Carsten Rentzing hat sich in einer seiner dürren schriftlichen Stellungnahmen gegen die Instrumentalisierung „vor allem von rechts“ verwahrt. Gerade er könnte mit seiner eigenen Biografie helfen, die Trennlinie zwischen konservativ und rechtsextrem zu definieren. Mit seinem Schweigen in der Sache lässt er aber weiter zu, von der religiösen Rechten als Opfer einer linksgrünen Kampagne stilisiert zu werden.

Für die Nachfolge im Bischofsamt braucht es nun Bewerber und Bewerberinnen, die deutlich machen, dass der Unterschied zwischen konservativ und rechtsextrem kein gradueller, sondern ein kategorischer ist: Das Konservative definiert sich eben nicht über Ressentiments gegenüber der Demokratie, dem Rechtsstaat und der sozialen und kulturellen Vielfalt unserer Gesellschaft, sondern durch ein Verwurzeltsein in zutiefst menschenfreundlichen Werten. Ein solcher Konservativismus braucht in der Evangelischen Kirche wieder eine kräftige Stimme, auch in seiner evangelikalen Ausprägung.

Ohne ein solches Angebot wird die Religiöse Rechte weiter das Vakuum füllen und in ihren regionalen Hochburgen zunehmend die Deutungshoheit in Gemeinden beanspruchen. Was in den USA und Brasilien unter anderen Bedingungen bereits Realität ist, könnte sich auch in Deutschland als Machtfaktor verfestigen, innerhalb oder außerhalb der verfassten Kirche.

Für Liberale, Linke und Reformer in der Evangelischen Kirche bedeutet das, genauer hinzusehen, die menschenfreundlichen Konservativen als unverzichtbare Partner zu erkennen und ihnen Raum zu geben. Manch altes Lagerdenken wirkt angesichts der Angriffe von rechts außen nur noch rechthaberisch und kleinkariert. Die Causa Rentzing und die Wahlergebnisse in Sachsen, Brandenburg und Thüringen sind zwei Seiten einer Medaille. Spätestens jetzt sollte klar sein: Die Kirchen sind mittendrin im Stresstest für die Demokratie. Und niemand möge glauben, das sei nur ein regionales Problem in Ostdeutschland.

Der Text erschien zuerst auf der Internetseite www.feinschwarz.net.