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Der Fall Ines Geipel

Sie rannte aus Frust. Mit 14 Jahren ist Ines Geipel zu Hause in Dresden rausgeflogen, wurde von ihren Eltern auf ein Russisch-Internat nach Thüringen geschickt. Weil sie dort Langweile hatte, startete sie bei Spartakiaden.

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© WITTERS

Sie rannte aus Frust. Mit 14 Jahren ist Ines Geipel zu Hause in Dresden rausgeflogen, wurde von ihren Eltern auf ein Russisch-Internat nach Thüringen geschickt. Weil sie dort Langweile hatte, startete sie bei Spartakiaden und wurde als 17-Jährige vom SC Motor Jena entdeckt. Zusammen mit Marlies Göhr, Bärbel Wöckel und In-grid Auerswald schaffte Geipel im Juni 1984 in Erfurt über 4 x 100 Meter mit 42,20 Sekunden die schnellste Zeit, die eine Vereinsstaffel je lief – und mit der sie noch bei Olympia in Athen 2004 Silber gewonnen hätte. Was sie erst später erfuhr: Dieser Fabellauf war durch Doping zustande gekommen, das räumte später ihr Trainer Horst-Dieter Hille ein.

Deshalb ließ sie 2005 ihren Namen aus der Rekordliste des Deutschen Leichtathletik-Verbandes streichen. Sie habe den Staffel-Weltrekord schließlich nur durch ihre unfreiwillige Einbindung in das ostdeutsche Zwangsdopingsystem erreicht. Dass sie diese Konsequenz erst so spät gezogen hat, begründete sie mit einem Loyalitätskonflikt mit ihren drei Staffel-Kolleginnen. Die seien jedoch in den Ruhmeshallen des Sports abgetaucht – und stehen immer noch in der Bestenliste, aber anstelle von Ines Geipel nur ein Sternchen.

Die Weltklasse-Sprinterin war bereits 1985 aus dem DDR-Sport verbannt worden – aus politischen Gründen. Nachdem sie sich in einem Vorbereitungslager auf Olympia in einen mexikanischen Geher verliebt hatte, wollte sie aus der DDR fliehen. Ihre Pläne wurden jedoch von der Staatssicherheit vereitelt. Erst 1989 gelang Geipel über Ungarn die Flucht.

Heute lebt die 57-Jährige in Berlin, arbeitet als Schriftstellerin und Professorin an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“. Doch die Vergangenheit lässt sie nicht los. Schon im Jahr 2000 war sie Nebenklägerin im Prozess gegen die Verantwortlichen des DDR-Zwangsdopings. Geipel ist als Dopin-opfer anerkannt und Vorsitzende des Dopingopfer-Hilfevereins. Sie wirbt in der Politik, bei Sportverbänden und Medien um Unterstützung für die Athleten, die unter gesundheitlichen Spätfolgen leistungssteigernder Mittel leiden. Für ihr Engagement wurde Ines Geipel 2011 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. (SZ)