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Der FC Bayern und die Bürde der Geschichte

Traditionspflege ist den Münchnern wichtig. Doch dass ein ehemaliger Präsident ein Jude war, wurde lange verschwiegen.

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© dpa

Von Christoph Ruf

Es passiert auch in München nicht oft, dass Vereinsoffizielle ihre Ultras loben. Kurz vor Weihnachten, bei der Eröffnungsveranstaltung der aus der Fanszene heraus gegründeten „Kurt-Landauer-Stiftung“, war es aber genau so. Bayern-Vorstand Karl-Heinz Rummenigge betonte, es sei den Ultras von der „Schickeria“ zu verdanken, dass der Rekordmeister wieder des jüdischen Ex-Präsidenten Kurt Landauer gedenkt. Als Verein habe man „da etwas versäumt“. Landauer sei eine „herausragende Persönlichkeit“, die „Weltoffenheit, Professionalität und Standfestigkeit in unseren Verein gebracht hat“.

Von 1919 bis 1933 und von 1947 bis 1951 – nach seiner Rückkehr aus dem Schweizer Exil – stand der 1884 geborene Landauer dem Verein vor. Und dennoch geriet der Ur-Bayer seit den frühen 1960er-Jahren zunehmend in Vergessenheit. Als der FCB 1975 sein 75-Jähriges feierte, erschien ein Buch über den Verein. In einem Satz kam Landauers Name vor. Auch 2000, beim runden Vereinsjubiläum, gab es nicht viel zu lesen, doch immerhin wurde erstmals erwähnt, dass Landauer Jude war.

Manche Scharmützel mit dem DFB

Dabei sehen viele in ihm den Pionier eines Weges, der die Bayern zum am professionellsten geführten Verein der Republik gemacht hat: Landauer, das weist Dietrich Schulze-Marmeling in seinem Buch „Der FC Bayern, seine Juden und die Nazis“ nach, trat früh für die internationale Öffnung des Vereins ein und lieferte sich manches Scharmützel mit dem Deutschen Fußball-Bund, der Spiele gegen ausländische Teams verbieten wollte.

Für den FC Bayern, der beste Beziehungen nach Wien, Prag oder Budapest unterhielt, ein Affront: „Wer gibt dem DFB das Recht, Spiele mit Professionalmannschaften überhaupt nicht zu genehmigen?“, fragte Landauer. „Wir Süddeutsche sind gerade mit unseren östlichen Nachbarn sportlich aufs Engste verbunden gewesen, diese Spiele gehörten immer mit zu den schönsten und lehrreichsten.“

Anfang 1933 betrug der Anteil der Juden an der Münchner Bevölkerung 1,2 Prozent – unter der Bayern-Mitgliedschaft waren es zehn Prozent. Während sich München allmählich von einer liberalen Künstler-Hochburg in eine NS-Modellstadt verwandelte, wirkte der FC Bayern noch einige Jahre „wie ein liberaler Fels in einer zusehends stärker werdenden antidemokratischen Brandung“, schreibt Schulze-Marmeling. 1932 errang der FCB mit einem jüdischen Präsidenten, einem jüdischen Trainer und einem jüdischen Jugendfunktionär seine erste Deutsche Meisterschaft.

Dann ging alles ganz schnell: Im März 1933 trat Landauer als Präsident zurück, um einem von den NS-Machthabern erzwungenen Rauswurf zuvorzukommen. 1938 verbrachte er 33 Tage in Dachau, wurde aber als ehemaliger Frontsoldat zunächst entlassen. Einige Monate später floh er in die Schweiz, wo er dem Schicksal seiner Geschwister entging: Vier seiner fünf Brüder und Schwestern wurden ermordet. 1947 kehrte er zurück und zeigte sich trotz des erlebten Leides bereit, zumindest denjenigen Nazis im Verein entgegenzukommen, die nicht an der Ermordung von Menschen beteiligt waren. „Wir wollen die vergangenen Jahre vergessen und Gnade walten lassen“, sagte Landauer. „Aus heutiger Sicht“, schreibt Schulze-Marmeling, sei diese Bereitschaft, die Vergangenheit unaufgearbeitet zu lassen, „nur schwer verständlich. Es wurde unterschieden zwischen Nazis, die anderen Vereinsmitgliedern geschadet hatten, und den anderen. Für einige von ihnen hat sich Landauer nach seiner Rückkehr eingesetzt.“ In der Nachkriegszeit habe das dem Zeitgeist entsprochen.

Darauf deuten auch die Aussagen des Spielers Wilhelm Simetsreiter hin. Der war 20 Jahre alt, als Landauer 1933 zurücktreten musste. Simetsreiter erinnert sich an einen „sehr netten“ und „anständigen“ Mann und an einen „sehr starken Redner“. Weitergehende Fragen über das Verschwinden der Juden stellte er sich allerdings offenbar nicht: Man habe im Mannschaftskreis über anderes geredet. Über „Fußball und Mädels. Mei, wir waren jung.“

Die Geschichts-Amnesie des FC Bayern entsprach außerdem dem Zeitgeist in den „Wirtschaftswunder“-Jahren, in denen die Gesellschaft bis zu den Umwälzungen von 1968 großzügig beschloss, die Vergangenheit solle ruhen. Erst 1993 besuchte mit Max Streibl erstmals ein bayerischer Ministerpräsident das Konzentrationslager in Dachau vor den Toren Münchens.

Beim DFB – an dem lange Zeit auch 1968 vorbeiging – fand im vorigen Jahrhundert die Geschichtsschreibung ohne Unrechtsbewusstsein statt. Der Anstoß für ein Umdenken kam Ende des vergangenen Jahrtausends „nicht von offiziellen Fußballinstitutionen, sondern von kritischen Wissenschaftlern und Journalisten, aber auch von Fan-Initiativen, denen dabei anfangs seitens der Verbände und Vereine jegliche Unterstützung verweigert wird“, schreibt Schulze-Marmeling. In München wurde die „Schickeria“ auf Landauers Schicksal aufmerksam. Mit Choreografien und einem jeden Sommer stattfindenden Freizeitturnier zu seinen Ehren brachte sie Landauer ab 2005 zurück ins kollektive Gedächtnis.

Die Vergangenheit sollte ruhen

Es folgte der Spielfilm „Landauer – der Präsident“ mit Josef Bierbichler in der Hauptrolle, den die ARD im Oktober 2014 zur besten Sendezeit zeigte. 2015 wurde der „Schickeria“ vom DFB der mit 10 000 Euro dotierte „Julius-Hirsch-Preis“ verliehen, mit dem Initiativen geehrt werden, die sich gegen Rassismus engagieren. Das Geld bildet den Grundstock für die „Landauer-Stiftung“, die eine interkulturelle Straßenliga für Freizeitteams finanziert oder Flüchtlinge und Fans im Stadion zusammenbringt.

Die Grabpflege bei Landauer, auf dessen Ruhestätte immer frische rote und weiße Blumen stehen, haben die Fans schon vor Jahren übernommen. Charlotte Knobloch, die Vorsitzende der israelitischen Kultusgemeinde in München, zeigt sich dankbar, dass die „Freunde von der Schickeria“ mit ihrem Engagement die Erinnerung an Landauer wieder zum Leben erweckt hätten. „Ich benutze für euch ganz bewusst das Wort ‚Freunde‘, herzlichen Dank.“