Merken

Der Geschichten-Entwickler

Schauspieler Utz Pannicke vernetzt sich immer mehr mit Kamenz. Und kitzelt manches aus den Menschen hier heraus.

Teilen
Folgen
© René Plaul

Von Ina Förster

Kamenz. Wir haben die Wurst nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an sie zu verändern.“ Der das von sich gibt, ist Professor Dr. Eckhard Bock. Oder besser gesagt dessen Alter Ego Utz Pannicke. Schauspieler, Berufs-Spinner, Herzens-Mensch. Und vor allem Geschichten-Entwickler. In seiner neuesten kommt er als Sonderling daher, der sich mit roter E-Gitarre und Wägelchen zusammen mit den Kamenzern auf den Weg macht, um der berühmten Knackwurst auf den Grund zu gehen. Und wie immer nähert er sich den Problemen dieser Welt mit einer einzigen großen Improvisation.

Will heißen, Utz Pannicke aus Dresden weiß vorher überhaupt nicht, was ihm da unter kommen wird an diesem 25. März in Kamenz. In zwei besonderen Stadtrundgängen will er die Gäste verführen, genauer hinzuschauen, sich einzulassen. Mit dem nötigen Augenzwinkern versteht sich. „Seit wir wissen, dass im Wasser jahrtausendealte Informationen aufgehoben sind und wir unser gesamtes Wissen auf Silizium-Kristallen speichern, erkennen wir, dass materielle Stoffe und Strukturen für unser Bewusstsein und unsere Geschichte ein riesiges Potenzial besitzen. Denn all unsere Erlebnisse sind in der uns umgebenden Welt gespeichert. Herr Professor Dr. Bock wird diese Informationen extrahieren und die großen Augenblicke ins Bewusstsein bringen in denen sich Geschichte und Kamenzer Wurst sind. Momente großer Schönheit, voller Fantasie und Leben entstehen so unmittelbar vor unseren Augen“, kündigt er schon einmal im Vorgang an. Wer sich auf die Einladung einlässt, wird sicherlich eine vergnügliche Stunde erleben an jenem hoffentlich schon frühlingshaftem Einkaufssonntag.

Kleine Liebelei mit der Lessingstadt

Utz Pannicke ist Kamenz nicht fremd. Er spielte schon mehrfach für den Buchsommer der Bibliothek, legte einen „Nathan zu dritt“ zu den Lessingtagen im Stadttheater hin. Bei der letzten Einkaufsnacht im November fühlte er den Kamenzern in der Alten Poststation auf den Zahn und bündelte ihre Ideen fürs Gebäude an eine alte Wand. Seit Jahren verbindet den Schauspieler eine kleine Liebelei mit der Lessingstadt. „Ich finde, dass es hier viel Potenzial gibt. Aber es ist auch ein Ort auf der Suche – nach einer richtigen Identität vor allem“, sagt er. Der 55-Jährige hat viele Städte gesehen. Und in ihnen Theater gespielt. Mal jahrelang im festen Ensemble, mal vogelfrei. Und wie Kamenz war auch er immer auf der Suche. Nach einem Platz für sich. Wo Kreativität etwas zählt, aber auch das Etwas-Bewirken und Vorwärtskommen.

Als Utz Pannicke ein kleiner Junge war, lebte er mit seinen Eltern in einem Offizier-Ghetto, wie er es heute nennt. Der Vater diente dem Land, die Familie zog mit. Eine Zeit, die ihn geprägt hat, weil er sie irgendwie auch ziemlich gruselig fand. Der feinsinnige Junge mit Hang zu Literatur, eigenartiger Musik und dem dramatischen Zirkel des nahen Kalksandsteinwerkes in Niederlehne, fühlte sich lange Zeit fehl am Platz. Das Verhältnis zum Vater war schwierig. Etwas klingt heute noch nach. Doch im dramatischen Zirkel entdeckte er die Leidenschaft zur Schauspielerei. „Das war wie eine Offenbarung für mich. Hier war ich zu Hause. Ich konnte etwas ausleben, das bisher undenkbar war“, erinnert er sich.

Fernab von den eigentlichen Wünschen

Nebenbei schreibt er Geschichten, manchmal Gedichte. Für sich und andere. Lernt Gitarre spielen. Für sich und die Mädchen, die sich plötzlich für ihn interessieren. Mit einem versonnenen Lächeln erzählt er von seiner Jugend im kargen Brandenburg. Von dem Versuch, dazuzugehören und doch so anders zu sein. Von dem Beruf mit Abitur. Maschinenbau – so fernab von den eigentlichen Wünschen. Dann drei Jahre Armee. „Ich weiß heute nicht mehr, wie ich das aushielt“, sagt er. Dann der Schritt nach Berlin. Utz Pannicke studiert an der Schauspielschule Ernst Busch. Er holt sich dort das Rüstzeug für alles, was folgt: Theaterengagements in Rudolstadt, Bremen, Paderborn, Radebeul. Dazwischen kostet er immer wieder von der Literatur. Er versucht sich bei Zeitungen und am Literaturinstitut. Oder in vielen theaterpädagogischen Projekten. Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen fasziniert ihn immer mehr. Sinnkrisen wechseln kreative Hochzeiten ab. Irgendwann landet er in Dresden. Freischaffend und frei. Seit 1999.

Und damit nun auch in Kamenz. „Das Performative und Volkstheatrale reizt mich. Ich möchte Dinge ausprobieren, mit dem Publikum arbeiten“, sagt er. Da entwickeln sich immer die besten Geschichten. Die Kamenzer Wurst ist es ihm wert, genauer betrachtet zu werden. Dafür trifft er sich im Vorgang mit Historiker Norbert Portmann. Oder auch mit Jörg Bäuerle, der am Saumarkt wohnt. Und er hält zum Start in den 1. Würstchenmarkt Schlag 12 Uhr auf dem Markt die „Wurst-Laudatio“. Genau so etwas sollte man nicht verpassen!