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Der geschwächte Terrorfürst

Lange war spekuliert worden, ob IS-Chef al-Bagdadi getötet wurde. Jetzt gibt er ein Lebenszeichen. Und verrät in einem Video etwas über die Strategie der Extremisten.

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Der Screenshot des Videos, das am 29. April 2019 über Al-Furkan, einen Medienkanal der IS, verbreitet wurde, zeigt den Anführer der IS-Terrormiliz Abu Bakr al-Bagdadi.
Der Screenshot des Videos, das am 29. April 2019 über Al-Furkan, einen Medienkanal der IS, verbreitet wurde, zeigt den Anführer der IS-Terrormiliz Abu Bakr al-Bagdadi. © Al-Furkan /dpa

Istanbul. Fast fünf Jahre liegen zwischen den beiden Videos - und sie verraten viel über den Niedergang des Anführers der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Als sich Abu Bakr al-Bagdadi im Juli 2014 erstmals öffentlich zeigte, trat ein Mann auf, der Energie und Stärke ausstrahlte. Seine Kämpfer hatten gerade die nordirakische Stadt Mossul überrannt und die Welt in Schrecken versetzt. Al-Bagdadi stieg in Mossuls altehrwürdiger Al-Nuri-Moschee zur Freitagspredigt auf die Kanzel und schaute von oben auf seine Anhänger herab. Er sprach mit fester Stimme und bestimmtem Ton. Er hob den Zeigefinger zur Mahnung. Zu sehen war ein Mann auf dem Höhepunkt seiner Macht.

Fünf Jahre später ist von dieser Aura wenig geblieben. In dem am Montagabend verbreiteten neuen Video mit Abu Bakr al-Bagdadi hockt ein Mann im Schneidersitz auf dem Boden, der gealtert ist. Das Gesicht fülliger, fast aufgedunsen, der Bart grau und beinahe ungepflegt, die Stimme eher weich als energisch. Ob der mehrfach tot gemeldete IS-Chef unter Verletzungen leidet, ist nicht zu erkennen. Aber auch so lässt sich sagen: Abu Bakr al-Bagdadi, Ende 40, wirkt geschwächt, als er zu drei unbekannten Männern neben ihm spricht. Als einzige Insigne der Stärke lehnt hinter ihm eine Waffe an der Wand.

Alle Indizien sprechen dafür, dass es sich tatsächlich um Abu Bakr al-Bagdadi handelt. Das Gesicht - vor allem die kräftigen Augenbrauen - und die Stimme gleichen dem Mann aus der Moschee in Mossul. Zudem wurde das rund 18 Minuten lange Propagandavideo des IS-Medienarms Al-Furkan über die üblichen Wege im Internet verbreitet.

Den größten Raum nimmt eine Botschaft ein, mit der sich Al-Bagdadi an seine eigenen Anhänger wendet. Sie lautet: Bleibt standhaft, gebt nicht auf. Wie eine Selbstvergewisserung in einer schweren Krise. Man könnte auch sagen: Durchhalteparolen einer geprügelten Miliz.

Denn das Reich des selbst ernannten "Kalifen" liegt mittlerweile in Trümmern. Der IS hat sein Herrschaftsgebiet in Syrien und im Irak vollständig verloren, seitdem Truppen unter kurdischer Führung im Frühjahr dessen letzte syrische IS-Bastion Baghus einnahmen. Tausende IS-Anhänger starben.

Der irakische IS-Experte Haschim al-Haschimi sieht in dem Video ein Zeichen der Schwäche, nicht der Stärke: "Al-Bagdadi versucht, dem Zorn und dem Schmerz, unter dem die Mitglieder der Organisation leiden, ein Ventil zu geben."

Dazu dienen ihm auch die Terroranschläge auf Kirchen und Hotels in Sri Lanka, die der IS-Chef als "Rache für Baghus" bezeichnet. Auffällig ist, dass er in diesem Teil des Videos nicht zu sehen, sondern nur seine Stimme zu hören ist. Das spricht dafür, dass er nachträglich aufgenommen wurde. Aber auch die restlichen Passagen sind aus jüngerer Zeit, denn er erwähnt aktuelle Ereignisse. So will Al-Bagdadi alle Spekulationen ausräumen, er sei längst nicht mehr am Leben.

Mit dem Video dürfte er auch das Ziel verfolgen, einen Zerfall der Terrormiliz zu verhindern und sich selbst als deren unangefochtener Chef zu präsentieren, als Kopf und Symbolfigur einer globalen Bewegung. Viel ist darüber spekuliert worden, ob er den IS noch anführt. Ein Bericht sprach sogar von einem Putschversuch.

Die klare Botschaft des Videos laute aber, "dass der Islamische Staat noch lebt und Al-Bagdadi weiter das Kommando hat", sagt der Analyst Aron Lund von der in Washington ansässigen Denkfabrik Century Foundation.

Unklar bleibt weiterhin, wo sich Al-Bagadadi aufhält, der mit einem von den USA ausgesetzten Kopfgeld von 25 Millionen Dollar (rund 22 Millionen Euro) zu den meist gesuchten Terroristen der Welt zählt. Die meisten Experten vermuten, dass er in den Wüstengebieten des Iraks oder Syriens untergetaucht ist. Um nicht aufgespürt werden zu können, verzichtet er angeblich auf elektronische Geräte. Mit der Außenwelt soll er nur über enge Vertraute kommunizieren. IS-Experte Al-Haschimi geht davon aus, dass die Fahnder die Schlinge um ihn trotzdem immer enger ziehen. Andererseits muss sich Al-Bagdadi sicher fühlen, wenn er jetzt der Welt erneut sein Gesicht zeigt.

Auch die üblichen Drohungen gegen den Westen - die "Kreuzfahrer" und "Ungläubigen" - stimmt Al-Bagdadi an. Der heutige Kampf sei ein "Abnutzungskrieg" und lange nicht vorbei: "Der Feind muss wissen, dass der Dschihad bis zum Tag des jüngsten Gerichts weitergeht." Sieg oder Niederlage sollen dabei keine Rolle spielen: "Gott hat uns den Dschihad befohlen, nicht den Sieg", belehrt er seine Anhänger.

So lässt sich aus dem Video auch die jetzige Strategie herauslesen, die weitestgehend auf Terrorangriffe ausgerichtet sein dürfte. Al-Bagdadi will dabei den Kampf offensichtlich weiter globalisieren.

Als wäre er der Chef eines international agierenden Konzerns, überreichen ihm die drei Unbekannten am Ende des Videos mehrere schmale Hefter, bei denen es sich um "Monatsberichte" aus "Provinzen" des IS handeln soll: Irak, Syrien, aber auch West-Afrika, Zentral-Afrika, Khorasan (Afghanistan/Pakistan), Somalia, Jemen, Kaukasus, Türkei. Der Fokus des IS scheint sich auf andere Regionen zu verlagern. Dafür könnte schon der muslimische Fastenmonat Ramadan ein Test sein, der in der kommenden Woche beginnt. In früheren Jahren nutzte der IS ihn häufig für blutige Terrorangriffe. (dpa)