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Der junge Papa

Radprofi Tony Martin schwärmt von seiner Tochter – und seinen neuen Aussichten im Rennsattel.

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© dpa

Von Ruben Stark und Silke Keul

Noch nie hat Tony Martin so viel Glück verspürt. Der vierfache Zeitfahr-Weltmeister ist am ersten Advent Vater einer Tochter geworden und wie beseelt von diesem Geschenk. „Das ist mein größter Erfolg. Da kommt kein WM-Titel und Gelbes Trikot ran“, sagte der Radprofi bei der Präsentation seiner neuen Mannschaft Katjuscha-Alpecin in Spanien. Er gibt aber auch zu: „Ich bin noch im Niemandsland und muss mich erst mal zurechtfinden.“

Die kleine Familie mit seiner Freundin Nina ist die große Herausforderung für ihn. Es sei „wunderschön, überraschend und anstrengend“ zugleich, aber eben auch das: „Es lässt alle Erfolge und Niederlagen vergessen.“ Gerade der 31-Jährige kennt das Auf und Ab aus der vergangenen Saison nur zu gut. Tief saß der Frust über Olympia in Rio de Janeiro, und umso süßer schmeckte dann der WM-Sieg in Katar: „Ich komme mit einem anderen Selbstbewusstsein in die Mannschaft.“

Es wirkt, als rausche der Wirbel um dieses neue und jetzt andere Rennstallprojekt Katjuscha-Alpecin, wie allseits beteuert wird, einfach so an ihm vorbei. Der Wahl-Schweizer, als einer der drei Teamkapitäne vorgestellt, sitzt wie ein ruhender Pol im Treiben in einem noblen Hotel an der Costa Blanca. Während der umstrittene Wjatscheslaw Jekimow sich als Generalmanager verabschiedet und ein letztes Mal auftreten darf, beschäftigt Martin sich lieber mit dem proklamierten Neuanfang.

Seine Entscheidung, ausgerechnet dahin zu wechseln, wo sich in der Vergangenheit viele Dopingfälle ereigneten, wurde mit gewissem Raunen aufgenommen. Doch Martin fühlt sich inzwischen bestärkt, erst recht nach einem ausführlichen Treffen mit den Mannschaftsärzten: „Es gibt so strikte Regeln, wie ich sie in meiner Karriere bisher nicht erlebt habe. Das sehe ich sehr positiv. Es wird auf sehr starke Überwachung gesetzt, was klar ein Eingriff in die Privatsphäre ist, aber die Sache transparenter macht. Ich stehe zu 100 Prozent dahinter.“

Die Fahrer bei Katjuscha-Alpecin dürfen keine Nahrungsergänzungsmittel und Vitamine zu sich nehmen – auch aufgrund der Gefahr einer Verunreinigung. Außerdem wird ihr Gepäck regelmäßig kontrolliert. Der Schweizer Sportrechtler Alexis Schoeb steckt hinter der Abkehr vom Schmuddelimage. Er holte Alpecin an Bord und überzeugte auch Martin. „Katjuscha“, sagte Martin, „will den Weg beschreiten, den Radsport noch sauberer zu machen.“

Sportlich steht das neue Jahr für den gebürtigen Lausitzer im Zeichen des Starts der Tour de France am 1. Juli in Düsseldorf: „Es wird der große Höhepunkt. Ich bin jetzt schon heiß darauf. Vor heimischem Publikum die Chance auf das Gelbe Trikot zu haben, das erlebe ich nicht wieder.“

Doch auch bis dahin „mache ich nicht Urlaub“. Nach seinen ersten Gehversuchen auf dem Klassikerterrain ist er auf den Geschmack gekommen und hegt vor allem in der „Hölle des Nordens“ Ambitionen: „Paris-Roubaix kommt mir am meisten entgegen. Da könnte und habe ich hoffentlich Erfolg.“ Schließlich ist da die WM im September in Norwegen mit der Chance auf den fünften WM-Titel. Das aber verblasst derzeit alles hinter den Vaterfreuden. (sid)