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Der Kampf gegen die Essstörung

Über ein Prozent aller zwölf bis 25-jährigen jungen Menschen leiden an Anorexia nervosa. Wie schwer der Kampf gegen die Krankheit ist, davon berichtet Caro.

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„Irgendwann dachte
ich, dünne Menschen
sind beliebt. Also
habe ich immer mehr
abgenommen.“
Essstörungen betreffen
häufiger Mädchen
als Jungen.
„Irgendwann dachte ich, dünne Menschen sind beliebt. Also habe ich immer mehr abgenommen.“ Essstörungen betreffen häufiger Mädchen als Jungen. © pixabay.com/Pexels (Symbolfoto)

Wenn Caro an die Zeit ihrer Erkrankung denkt, kann sie sich kaum an etwas erinnern. „In der Essstörung war mir alles egal – Freunde, Schule, Sport – nichts war mehr wichtig“, sagt sie. Die Zahl auf der Waage, morgen noch ein bisschen weniger essen als heute, ein flacher Bauch wie die Models im Fernsehen – das war das Einzige, was noch zählte. 

Seit vier Jahren ist die Magersucht Caros ständige Begleiterin und die Behandlung, wie so oft, ein jahrelanger Prozess, der nicht mit der Entlassung aus der Klinik abgeschlossen ist. „Essstörungen und speziell die Anorexie sind schwere psychische Erkrankungen mit einer hohen Rückfall- und Chronifizierungsrate“, sagt Prof. Stefan Ehrlich, Leiter des Zentrums für Essstörungen der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Leiter des Bereichs für Psychosoziale Medizin und Entwicklungsneurowissenschaften am Universitätsklinikum Dresden. 

Gerade deshalb sind die Therapie und die Betreuung dieser Patienten oft langwierig und intensiv. Das Universitätsklinikum setzt sich deshalb für eine leitlinienbasierte Behandlung von Patienten mit Essstörungen ein. Dafür arbeitet das Klinikum über das von ihm gegründete „Netzwerk Essstörungen Sachsen“ mit verschiedenen Einrichtungen in Sachsen zusammen. Die Mediziner und Wissenschaftler begleiten dabei die Arbeit in zwei Wohngruppen, in denen junge Patientinnen und Patienten nach der ambulanten oder stationären Therapie auf den Alltag vorbereitet werden. 

Caro lebt mittlerweile in der Wohngruppe Awhina, die von der Produktionsschule Moritzburg betreut und vom Netzwerk unterstützt wird. 14 Bewohnerinnen und Bewohner im Alter ab 16 Jahre ohne Altersbegrenzung haben hier ein Zuhause auf Zeit gefunden. Sie lernen hier, den Alltag mit und gegen die Essstörung zu bewältigen. Sozialpädagogen und Ernährungsberater helfen dabei. Es ist ein schwerer Weg. Oftmals haben die Betroffenen schon Jahre mit der Krankheit gelebt, falsche Denkmuster zum eigenen Gewicht haben sich verfestigt. „Es fing an, als ich 14 Jahre alt war. Damals hatte ich keine Freunde, fühlte mich allein und ausgegrenzt. Dann kam mir der Gedanke: Dünne Menschen sind beliebt“, erzählt Caro. „Am Anfang habe ich abgenommen, um beliebt zu sein. Später habe ich abgenommen, um abzunehmen.“

Erkenntnis nach drei Jahren

Erst drei Jahre später während Caros drittem Klinikaufenthalt kam ihr die Erkenntnis, dass nicht sie selbst die Entscheidungen trifft, sondern dass es in ihrem Kopf noch eine zweite Stimme gibt – die Essstörung. Unbehandelt führen Essstörungen oft zu schweren körperlichen Folgen und zum Tod. In den meisten Fällen sterben Betroffene an Herzversagen, Lungenentzündung oder Nierenversagen. Bis dahin können sie aufgrund des Verzichts auf wichtige Nährstoffe, Vitamine und Kalorien an Osteoporose, Mangelerscheinungen, Herz-Rhythmuserkrankungen und Zahnschäden erkranken. 

„Eine Essstörung entwickelt sich meist im frühen Jugendalter. Wenn dann beim Erwachsenwerden Probleme in der Pubertät sowie neue Freiheiten aber auch Pflichten der Volljährigkeit dazu kommen, sind die Patienten überfordert“, sagt Dr. Franziska Ritschel, Koordinatorin im „Netzwerk Essstörungen Sachsen“. Das Netzwerk wurde 2016 durch die Kliniken für Psychosomatik und Psychotherapie, für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie sowie die Psychosoziale Medizin und Entwicklungsneurowissenschaften des Uniklinikums Dresden gegründet. „Nach einer Therapie sollten auch volljährige Patienten nicht allein leben – aber auch die Rückkehr in das Elternhaus ist meist schwierig. Die Eltern fühlen sich meist ohnmächtig, wollen helfen und stoßen dabei an Grenzen“, sagt sie. Deshalb sind Wohngruppen wie die in Moritzburg so wichtig. 

Mindestens ein Jahr bleiben die Betroffenen hier und lernen, den Alltag selbstständig zu bewältigen. So beginnt Caro mit der Unterstützung der WG-Mitarbeiter im Herbst eine Ausbildung zur Sozialassistentin und macht damit erste Schritte hin zu einem eigenständigen, selbstbestimmten Leben. (Annechristin Bonß)

Dieser Beitrag erschien in der "Medizin heute" 04/2019.