Merken

Der kleine Piks

Windpocken und Keuchhusten breiten sich in Dresden aus. Ärzte raten zur Impfung – doch zu viele verweigern.

Teilen
Folgen
© dpa

Von Julia Vollmer

Husten bis zum Erbrechen, 30 Sekunden lange Krämpfe. Mit bis zu 50 dieser Anfälle am Tag kämpfte die vierjährige Anna. Sie hatte sich im Frühling mit Keuchhusten angesteckt, auf dem Spielplatz wahrscheinlich. Fünf Wochen lang konnte sie nicht in die Kita gehen, war zu schlapp, da sie nachts wegen der Anfälle nicht richtig schlafen konnte. Die Johannstädter entschieden sich bewusst gegen eine Keuchhusten-Impfung für die Tochter. „Wir haben so viel gelesen über die gefährlichen Zusatzstoffe und die Nebenwirkungen“, begründet Mutter Ivonne, die ihren Nachnamen lieber nicht in der Zeitung lesen will. Die Entscheidung der Eltern kostete die Kleine viele schlaflose Nächte.

Keuchhusten und Windpocken sind wieder auf dem Vormarsch in Dresden. Bis Juli wurden für 2016 schon rund 60 Keuchhustenfälle an das Gesundheitsamt gemeldet. Im gleichen Zeitraum im vergangenen Jahr gab es nur 27 Fälle. Ähnlich sieht es bei den Windpocken aus. Bis Juli wurden 191 Fälle in der Stadt registriert. Im ersten Halbjahr 2015 waren es 163. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2010 gab es nur fünf Windpocken-Fälle. Auch das Robert-Koch-Institut schlägt Alarm. In Deutschland gab es in diesem Jahr schon rund 6 200 Fälle von Keuchhusten. Bei den Windpocken ist die Zahl bundesweit noch alarmierender. Allein in diesem Jahr gibt es schon 16 100 Fälle. 2013 gab es 9 600 im kompletten Jahr.

Im vergangenen Jahr rollte eine Masernwelle durch die Stadt. 154 Menschen erkrankten. Besonders schlimm traf es damals die freie Waldorfschule in der Neustadt. Bei den Masern gibt das Gesundheitsamt aber bislang Entwarnung. Nur fünf Fälle gibt es im aktuellen Jahr bisher.

Babys könnten sterben

Typisch für Keuchhusten ist der starke, vor allem bei Erwachsenen oft über Wochen anhaltende Husten, erklärt Ärztin Dorothee Steuer vom Diakonissenkrankenhaus. Säuglinge können im schlimmsten Fall während eines Anfalls sterben. Die Übertragung von Mensch zu Mensch geschieht durch Tröpfcheninfektion, das heißt beim Sprechen, Niesen oder Husten. Eine Impfung schützt, darauf drängt die Medizinerin. Diese empfiehlt sie für ungeimpfte Schwangere in der 27. bis 36. Schwangerschaftswoche und für alle Kinder ab dem dritten Monat. Erwachsene sollten die Spritze alle zehn Jahre auffrischen. Windpocken werden durch Viren (Varizella-Zoster-Virus) ausgelöst. Sie sind sehr ansteckend. Die Übertragung findet wie beim Keuchhusten durch Tröpfcheninfektion statt. Die Symptome sind Fieber und Hautbläschen, in schweren Fällen erkrankten die Patienten an einer Hirnentzündung. Die Windpockenviren bleiben nach der Infektion lebenslang im Körper und können später die sehr schmerzhafte Gürtelrose verursachen. Dorothee Steuer aus dem Diako empfiehlt für alle Kinder die Windpocken-Impfung.

Sowohl das Robert-Koch-Institut als auch das Gesundheitsministerium warnen eindringlich davor, auf Impfungen zu verzichten. Nur bei einer hohen Durchimpfquote lassen sich Krankheiten dauerhaft eindämmen. Doch immer mehr Eltern entscheiden sich gegen eine Impfung für ihre Kinder. Auch bei sich selbst sind sie nachlässig. Über einen ausreichenden Impfschutz gegen Keuchhusten verfügen nur 7,6 Prozent der Erwachsenen. Doch woher kommt die Impfmüdigkeit der Menschen? Dresdner Heilpraktiker und Homöopathen verbuchen großen Zulauf mit ihren Seminaren zum Thema Impfen und geben den Patienten oft Kritisches mit auf den Weg.

Die Dresdnerin Heilpraktikerin Karoline Hengst warnt vor den Zusätzen in den Impfstoffen, diese können die sogenannten Impfschäden verursachen, sagt sie. Zugesetzt seien Aluminium und Phenole als Konservierungsstoffe, kritisiert die Heilpraktikerin. Viele Impfstoffe werden auf Hühnereiweiß angezüchtet, die Reste des Eiweißes in der Impfdosis könnten dann Allergien bei den Kindern auslösen, so Hengst. Sie rät ihren Patienten nicht prinzipiell vom Impfen ab, sondern will zu mehr Aufklärung aufrufen. Viele Kinderärzte in der Stadt nehmen sich nicht genug Zeit für Gespräche mit den Eltern, raten ohne ein Beratungsgespräch per se zur Spritze, beklagt Hengst. Doch das Robert-Koch-Institut gibt Entwarnung. „Anerkannte Impfschäden sind absolute Einzelfälle“, so Sprecherin Susanne Glasmacher. Impfungen würden nur empfohlen, wenn der Nutzen größer ist als das Risiko eines Impfschadens, heißt es.

Annas Mutter ist inzwischen wieder schwanger. Ein Junge wird es. Sie sieht Impfungen immer noch kritisch. Aber gegen Keuchhusten will sie ihr Neugeborenes dann auf jeden Fall immunisieren lassen. Zu sehr haben sich die Erinnerungen an die Hustenanfälle ins Gedächtnis eingebrannt.