Der Knochenjob auf der Intensivstation

Leisnig. Die mittlerweile grauen Haare stehen ihm etwas wild vom Kopf ab. Doch kämmen muss er sich fürs Foto nicht extra. Nein, Matthias Cyrnik ist nicht eitel. Er hat sich keinesfalls darum gedrängelt, von seiner Arbeit auf der Intensivstation (ITS) der Leisniger Helios-Klinik zu berichten.
Trotzdem tut er es – und der Einblick, den er gewährt, lässt den Respekt vor dem Pflegepersonal wachsen. Respekt, der eigentlich selbstverständlich sein sollte – vor jedem, der seinen Job ordentlich erledigt. Selbst die Hausmeister hätten zu den wegen Corona nötigen Änderungen in der Klinik ihren Anteil beigetragen, erzählt der 53-Jährige.
Vollschutz verlangt einiges ab
Doch zurück zur Intensivstation. An diesem Nachmittag hat Matthias Cyrnik Feierabend. Die Schutzmontur hat er abgelegt. Die hüllt den Körper nahezu vollständig in Plastik ein. Was es heißt, unter Vollschutz zu arbeiten, können am ehesten wohl die Feuerwehrleute nachvollziehen. Doch der Chef der Intensivstation sieht seinen Leuten die Anstrengungen an. Er erkennt, wenn sie sich nach siebenstündigem Dienst auf den Heimweg machen, dass sie erschöpft und dehydriert sind.
Essen und Trinken ist auf der ITS nicht erlaubt. Auch den Gang zur Toilette verkneift sich mancher, wenn es möglich ist. Denn: „Nach jedem Verlassen der Station muss die Schutzkleidung getauscht, neue angezogen werden“, erklärt der 53-Jährige, der auf der ITS knapp 30 Mitarbeiter um sich hat. Deshalb würden die meisten Kollegen versuchen, sich einzuschränken.
Doch das ist nicht alles, was den Job auf den Corona-Stationen in Leisnig gerade anstrengend macht. Patienten mit einem schlimmen Verlauf der neuartigen Lungenerkrankung müssen die meiste Zeit auf dem Bauch liegen, damit sich die Lunge wirklich erholen kann.
Sie mehrfach am Tag in die richtige Position zu bringen, ist bei Personen häufig um die 100 Kilogramm Gewicht – und manchmal auch mehr – ein enormer Kraftakt für vier Mitarbeiter und einen Arzt. Selbst mit vorhandenen Hilfsmitteln.
Immerhin sind die Patienten nicht bei Bewusstsein, können das Drehen beziehungsweise Umlagern also in keiner Weise unterstützen. „Trotz aller Anstrengungen stehen die Kollegen zur nächsten Schicht wieder motiviert auf der Matte. Der Krankenstand ist nicht höher als sonst auch. Hut ab“, sagt Matthias Cyrnik anerkennend.

Stolz auf sein Team
Dass er auf sein Team stolz ist, daran lässt der Familienvater aus Grunau, einem kleinen Ortsteil von Roßwein im Tal der Striegis, keinen Zweifel. Als sich die Klinikleitung auf die Situation eingestellt habe, seien alle ITS-Beschäftigten gefragt worden, ob sie für den Einsatz auf den Corona-Stationen zur Verfügung stehen. „Nicht einer hat Nein gesagt“, berichtet der Chef.
Ob er und seine Mitarbeiter Angst haben, sich mit dem Virus zu infizieren, darauf kann er in erster Linie für sich antworten. Nein, sagt er und es klingt überzeugend. „Wir haben uns lange darauf vorbereitet, in vielen Gesprächen mit den Ärzten konnten anfängliche Ängste abgebaut werden“, so Matthias Cyrnik. Er denkt und hofft, dass es auch die Mitarbeiter so sehen. Alle haben sich testen lassen, bei allen war das Ergebnis bisher negativ.
Dazu habe aus Sicht des ITS-Chefs sicher beigetragen, dass sich das gesamte Personal auf dem Klinikgelände an Schutzvorkehrungen halten und beispielsweise einen Mund- und Nasenschutz tragen muss. „Auch bei allem, was weiterführt, haben wir uns im täglichen Alltag immer wieder beobachtet und bei Schwachstellen sofort gegengesteuert, um den größtmöglichen Schutz zu erreichen“, veranschaulicht Matthias Cyrnik.
Er denkt in diesen Corona-Tagen aber auch an die Patienten und deren Angehörige. „Die mit dem Virus Infizierten sehen bei ihrer Behandlung, wenn sie bei Bewusstsein sind, die gesamte Zeit nur unsere Augen, ansonsten wegen der Schutzausstattung weder Mimik noch Gestik“, beschreibt der 53-Jährige die Patientensicht. Das stelle er sich zunächst erschreckend und auch danach wenig angenehm vor.

Ganz anders Abschied nehmen
Außerdem: Besuche in der Klinik sind verboten. Die Familien hätten im Moment nur die Möglichkeit, übers Telefon mit den Ärzten in Verbindung zu bleiben und sich nach dem Befinden des Patienten zu erkundigen. So könnten sie nicht mit eigenen Augen sehen, ob sich der Gesundheitszustand bessert oder eben nicht. Das sei für viele Angehörige schwierig.
Das trifft Cyrnik zufolge auch auf die Palliativstation zu. Das Abschiednehmen in den letzten Tagen des Lebens sei in Zeiten der Pandemie schlichtweg unmöglich und das Verabschieden nach dem Tod laufe ganz anders als noch bis Februar dieses Jahres ab. Es darf keine Berührungen, keinen Haut-zu-Haut-Kontakt geben. „Eine neue und für viele schmerzliche Situation“, sagt der gelernte Krankenpfleger.
Auf mehr als 30 Jahre Berufserfahrung kann Matthias Cyrnik inzwischen zurückblicken. An Krankheiten vergleichbaren Ausmaßes kann er sich nicht erinnern. „Wahrscheinlich ist das Coronavirus jetzt auch deshalb so präsent, weil es seit Wochen im Fokus sämtlicher Medien steht“, vermutet der Chef der Leisniger ITS. Situationen, die die Kliniken vor Herausforderungen stellt, die habe es allerdings schon immer gegeben.
Dabei erinnert er an die multiresistenten Keime, die vor wenigen Jahren für Wirbel sorgten, die Schweinegrippe oder die Influenza, an der jedes Jahr immer noch verhältnismäßig viele Menschen sterben.
„Wohl vor allem deshalb hatten wir anfänglich Angst oder zumindest Bedenken, der eine mehr, der andere weniger. In jedem Fall haben wir desinfiziert, sterilisiert und mittlerweile gehört der Umgang damit zum Alltag“, schätzt der 53-Jährige ein. „Wichtig ist, dass wir vor all dem nicht den Respekt verlieren, weiterhin Grundregeln etwa der Hygiene beachten“, findet er.
Deshalb ist sich der Grunauer sicher, dass einiges bleibt, selbst wenn das Coronavirus nicht mehr im Vordergrund steht, zumindest für den Großteil der Menschen. „Das Desinfizieren der Hände zum Beispiel, das wird es in Supermärkten und anderen Einrichtungen weiter geben und sollte auch genutzt werden“, empfiehlt Cyrnik. Für medizinisches Personal werde Corona wohl noch so lange eine etwas größere Rolle spielen, bis ein Impfstoff gefunden worden ist.
Eine Herausforderung ist es im Moment gerade, eine Strategie zu entwickeln, wie das Einschleppen des Virus auf andere Stationen verhindert werden kann, wenn auch in den Klinikalltag wieder ein Stück Normalität einkehrt.
Aber sei es nun unter normalen oder schwierigen Umständen – für Matthias Cyrnik und eine Vielzahl seiner Kollegen ist es weniger etwas Besonderes, als vielleicht für manchen Außenstehenden: „Wir machen hier so gut es geht unseren Job“, sagt er und meint damit alle Klinik-Mitarbeiter vom Küchen- und Pflegepersonal über die Ärzte bis hin zu den technischen Kräften.
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