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Der letzte Kürschnermeister

Jörg Bäuerle begeht dieser Tage in Kamenz sein 25-jähriges Betriebsjubiläum. Seine Zunft aber stirbt wohl aus.

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© Bernd Goldammer

Bernd Goldammer

In Kamenz kennt ihn jeder. Und er dürfte der „grünste“ Kürschnermeister sein, den die Lausitz je gesehen hat. Und der letzte seiner Zunft ist er sowieso. Dabei hatte Jörg Bäuerle nach dem Abitur ganz andere Pläne. Als Sohn eines Handwerksmeisters mit eigenem Geschäft durfte er Abi erst auf dem zweiten Bildungsweg ablegen. Sein Vater Rolf Bäuerle sah in ihm den perfekten Geschäftsnachfolger. Für den Seniorchef waren die Siebziger brenzlige Jahre. Ständig musste er sein Geschäft gegen die sozialistischen PGH- Gründer verteidigen. Bäuerle aber wollte als Handwerksmeister unbedingt selbstständig bleiben. Er hatte gute Gründe. Sein Ruf war erstklassig und sein Geschäft befand sich an exponierter Stelle. Nach einer gründlichen Aussprache zwischen Vater und Sohn wurde mitten im real existierenden Sozialismus die langfristige Linie für die private Kürschnerei abgesteckt.

Alte Handwerkstradition

Bäuerles Kürschnerei-Geschäft schöpfte seine Perspektive aus alter Handwerkstradition. Darauf wollten sich auch die Kunden verlassen können. Sie brachten Pelzmäntel, Pelzkappen, und Fellkragen nach Kamenz, die hier bereits in der Ära des Alt- Kürschnermeisters Otto Maultzsch gefertigt worden sind. Der hatte das Geschäft im Jahre 1871 gegründet.

Außerdem wussten die Kunden, dass gut gearbeitete Pelze bei guter Pflege sehr wertbeständig bleiben. Großeltern vererbten die teuren Stücke an Töchter und Enkel weiter. Egal, welches System gerade herrschte, die erforderlichen Größenanpassungen und notwendige Reparaturen vertrauten sie lieber der privaten Kürschnerei an. Das half Altmeister Rolf Bäuerle, geschäftlich zu überleben.

Als er den Betrieb 1990 in die Hände seines Sohnes Jörg Bäuerles legte, gehörte die Werkstatt immer noch zum Serviceangebot. „In der Nachwendezeit gab es dann eine gigantische Nachfrage nach fertigen Kürschnerwaren aller Art“, erinnert sich Jörg Bäuerle an die Anfangszeit. Viele Meister glaubten damals, dass sie künftig nur noch vom Warenverkauf leben könnten.

Geschäftsmann Jörg Bauerle sah das anders. Er wusste, dass Aufschwüngen immer auch Abschwünge folgen werden. Also schwamm er gegen den Strom. Während überall Verkaufsräume erweitert wurden und man die eigenen Werkstätten abschaffte, hielt der junge Kamenzer Kürschnermeister an den alten Traditionen fest. „Pelze aus unserem Hause sind keine Wegwerfartikel“, lautet das Motto. Also blieb das Geschäftsprofil so, wie es schon sein Vater 1950 übernommen hatte. Es sollte sich als eine weitsichtige Entscheidung erweisen. Mehr noch: Die über hundertjährige Handwerkstradition am althergebrachten Standort ist zum Marketinginstrument geworden. Generationen von Geschäftsleuten ließen sich hier ihre Pelzmäntel anfertigen und die alten Bauern, Kleintierhalter und Jäger der Umgebung ließen die Felle ihrer geschlachteten Tiere gerben und verarbeiten. Bäuerles machten modische Artikel aus ihnen.

Stadtrat und Naturschützer

In dieser Tradition sieht sich Jörg Bäuerle immer noch. Können zählt mehr als Herumgerede. Er hatte den Meisterbrief schon in der Tasche, als er im Forstfestmonat August im Jahre 1990 den Betrieb übernahm. Vor dem diesjährigen Forstfest blickt er nun auch mit Stolz zurück. „Die D-Mark war gerade erst eingeführt worden. Überall war eine euphorische Aufbruchstimmung zu spüren.“ Das war die Zeit, die sich Jörg Bäuerle immer gewünscht hatte. Er übernahm demokratische Verantwortung, kandidierte für die CDU und wurde mit großer Mehrheit zum Stadtrat gewählt. Demokratische Streitbarkeit ist nichts für schwache Nerven. Das lernte er auch bald. Als bürgerliche Initiativen Alternativen zu den Parteien aufzeigten, schloss er sich den Freien Wählern an. Denn er wollte seine christliche Grundüberzeugung leben und trotzdem seine Heimatstadt mitgestalten. Heute sitzt er für die Freien Wähler am Kamenzer Stadtrats-Tisch. Hier wurde er auch zum OB-Stellvertreter gewählt.

Und außerdem zählt Jörg Bäuerle immer noch zu den aktivsten Naturschützern von Kamenz. Er darf auch weiterhin als grünster Kürschnermeister der Lausitz bezeichnet werden, auch wenn sein Berufsstand inzwischen auszusterben droht. In seiner Umgebung hatte er früher sehr viele Kollegen. Inzwischen ist er der Einzige. Das merkt er an den zahlreichen Neukunden aus der Lausitz. Die Innung der Kürschnermeister hat sich auch schon längst aufgelöst. Jörg Bäuerle ist der letzte von ihren aktiven Mitgliedern. Eigentlich schade ...