Merken

Der letzte Leipziger

In den sechs Jahren seit der Gründung von RB kommen und gehen 70 Spieler. Nur Benjamin Bellot ist immer geblieben.

Teilen
Folgen
© Sebastian Willnow

Von Daniel Klein

Schon der Dialekt ist eine Besonderheit. Wer sich mit Benjamin Bellot unterhält, muss nicht, wie so oft bei RB Leipzig, die Aussagen aus dem Österreichischen übersetzen. Bellot spricht Sächsisch, kein breitgetretenes wie an der Elbe, sondern das Feine von der Pleiße. Der Torhüter ist in Leipzig geboren, aufgewachsen, zur Schule gegangen und hat nie in einer anderen Stadt Fußball gespielt. Das hört man.

Und das macht ihn bei den Rasenballern zu einer Rarität. Aber er ist nicht nur der einzige Leipziger bei den Leipzigern, sondern auch der Einzige, der übrig blieb von der Mannschaft der ersten Stunde. Bellot kann sich noch gut an seinen ersten Arbeitstag vor sechs Jahren beim damaligen Fünftligisten im Stadion Am Bad in Markranstädt erinnern. „Als ich in die Kabine kam, lagen da einige Stapel mit Trainingssachen rum. Ich schaute in viele neue Gesichter, alles war ein bisschen chaotisch.“

Wenn er von den Anfängen 2009 erzählt, von den Bedingungen in der Kleinstadt vor den Toren Leipzigs, der Geschäftsstelle, die in engen Containern untergebracht war, dann klingt das nach einer völlig anderen Zeitrechnung.

Eine Vision, aber keine Garantie

Jetzt zieht er sich in einem 35-Millionen-Neubau um, der neben den Trainingsplätzen und der Red-Bull-Arena steht. „Das“, sagt Bellot und blickt auf den Komplex aus Kabinen, Ruheräumen, Nachwuchsinternat, Cafeteria und Fitnesscenter, „ist der Wahnsinn, das hätte ich mir nie träumen lassen.“

Der rasante Aufstieg des Brause-Klubs wird aus heutiger Sicht gerne als unabwendbares Schicksal beschrieben. Bei Bellot, der davor für die Leipziger Traditionsklubs VfB/Lok und FC Sachsen/Chemie gespielt hatte, dominierte in der Gründerzeit aber die Ungewissheit. „Ich stand vor der Wahl, ob ich beim FC Sachsen bleibe oder etwas Neues wage. Damals konnte niemand wirklich sagen, wie sich das mit RB entwickelt“, erinnert er sich. „Es gab eine Vision, aber das ganze Projekt war doch eine große Unbekannte.“

Und das Projekt erlebte einige Rückschläge. In der Regionalliga klappte es erst im dritten Anlauf mit dem Aufstieg. Im April 2013 reiste die Mannschaft zur U23 von Union nach Berlin, trat auf einem Kunstrasenplatz am Bruno-Bürgel-Weg an – vor 324 Zuschauern. Bellot konnte als Bankdrücker die „herumflatternden Absperrbänder“ beobachten. Eine Atmosphäre wie beim Dorfkick.

Keine zweieinhalb Jahre später ist das ehemalige Zentralstadion beim Zweitligaheimspiel gegen den FC St. Pauli mit knapp 42 000 Zuschauern ausverkauft. Der Ur-Leipziger sitzt wieder auf der Bank, sieht die Choreografie der Fans und bekommt „eine leichte Gänsehaut“. Kein anderer im Verein kann das wahrscheinlich so sehr schätzen wie der letzte übrig Gebliebene aus den Gründertagen. Rund 70 Spieler hat er in den sechs Jahren kommen und wieder gehen sehen, drei Sportdirektoren, und Ralf Rangnick ist bereits sein sechster Trainer. Wenn der Erfolg ausbleibt, wird das Personal gewechselt – diese Formel gilt überall im Profi-Fußball, bei RB aber wird sie besonders konsequent angewendet.

Bellot durfte immer bleiben. Der 25-Jährige spricht von einem gewissen Stolz, schränkt aber sofort ein: „Man setzt Stolz oft mit Zufriedenheit gleich, was ja suggeriert, dass man nichts mehr erreichen will.“ Er hat aber noch Ziele. Von der fünften bis zur zweiten Liga bekam er immer seine Einsätze, jetzt fehlt noch die Bundesliga in seiner persönlichen Sammlung. Sein Vertrag läuft bis 2018, die Chancen stehen also nicht so schlecht.

Momentan ist er die Nummer zwei hinter dem Schweizer Fabio Coltorti. Zwar hatte RB in der Sommerpause den Ungarn Peter Gulacsi von der Filiale in Salzburg geholt, doch der fiel bisher nur durch einen Platzverweis in einem Spiel der zweiten Mannschaft auf. Bellot hat gelernt, geduldig zu sein und auf seine Chance zu warten. So wie in der vergangenen Saison, als er von Verletzungen profitierte, insgesamt 13-mal im Tor stand und gute Noten bekam. Dann musste er wieder weichen. Es ist ein bekanntes Phänomen im Profi-Fußball, dass die Altgedienten im Verein oft unter mangelnder Anerkennung leiden.

Bei den Fans dagegen ist Bellot beliebt – erst recht, nachdem Stürmer und Publikumsliebling Daniel Frahn gehen musste. Der Ersatzkeeper ist die letzte Identifikationsfigur in einer Mannschaft, die ihr Gesicht im Halbjahres-Rhythmus ändert. Bellot spricht vom schönen Gefühl, wenn die Anhänger nach einem Spiel seinen Namen skandieren. „Die Bindung zu den Fans ist ein bisschen eine andere“, findet er.

Natürlich meint er die eigenen. Die gegnerischen sehen in RB oft den Untergang der Fußballkultur und artikulieren ihren Hass teilweise auf drastische Weise. „Jede Mannschaft stößt bei Auswärtsspielen nicht auf viel Gegenliebe, aber wenn man aus zwei Meter Entfernung angespuckt wird, hat das nichts mehr mit Verteidigung der Tradition oder Ähnlichem zu tun“, erklärt Bellot, der Sportmanagement studiert – natürlich in Leipzig.

Die Treue zum Verein hat bei ihm auch viel mit Liebe zur Heimat zu tun, mit einer ausgeprägten Bodenständigkeit. Er fühle sich wohl in seiner Stadt, die Familie lebt hier, alle seine Freunde. „Es gibt bestimmt Leute, die mehr den Drang haben, die Welt zu bereisen als ich“, sagt er. „Das kommt bei mir vielleicht ein bisschen später.“

Seine Biografie macht ihn zu einem ausgewiesenen Leipzig-Kenner. Frank Aehlig, Ende der 90er-Jahre Geschäftsführer bei Dynamo Dresden und jetzt Sportkoordinator bei RB, rät Neuzugängen generell, sich bei Fragen an Bellot zu wenden. Neulich kam Willi Orban, bis vor Kurzem noch Innenverteidiger in Kaiserslautern, und erkundigte sich nach einem guten Fischrestaurant. „Klar konnte ich da helfen“, sagt Bellot. Und wieder klingt Stolz mit, der letzte Überlebende zu sein, ein Unikum.