Von Maria Fricke
Ganz auf ein Auto verzichten kann auch Matthias Wagner nicht. Ein eigenes hat der 46-Jährige, der für Bündnis 90/Die Grünen Mittelsachsen als Kandidat für die Wahl des Bundestags ins Rennen geht, trotzdem nicht. Für längere Strecken greift der gebürtige Bad Kissinger auf die Bahn zurück oder auf Carsharing. Das heißt, er mietet sich für gewisse Zeit ein Auto, zahlt dafür einen pauschalen Preis pro Monat sowie eine Stundengebühr. „Das klappt sehr gut. Allerdings nur an Orten, wo es auch entsprechende Stationen gibt“, sagt Wagner. Und ein weiterer Nachteil: Das Auto muss immer zurück zur Ausgangsstation.
Vor etwa anderthalb Jahren hat Wagner sein eigenes Auto verkauft. „Der große Sohn ist raus, die Tochter allein unterwegs. Da brauchte ich es nicht mehr“, erklärt der studierte Physiker. Doch es sei auch eine Entscheidung aus politischer Überzeugung heraus gewesen. Schließlich gehört Wagner seit 2012 den Grünen an. Zur Arbeit fährt er täglich mit dem Rad. Sollte das einmal nicht möglich sein, gehe er die Strecke auch zu Fuß. Rund 30 Minuten ist er bis zu seinem Arbeitgeber Solarworld unterwegs. Dort ist er einer der Abteilungsleiter im Physiklabor. „Von den derzeitigen Kündigungen bin ich nicht betroffen. Ich habe das Gefühl, auch weiter bei Solarworld eine Chance zu haben“, sagt Wagner. Zu Firmeninterna äußere er sich nicht. Infolge einer Insolvenz werden derzeit bei Solarworld zahlreiche Stellen abgebaut. Im Dezember 2006 erhielt Matthias Wagner das Angebot, bei Solarworld zu arbeiten. Eine günstige Zeit, denn mit seiner Tätigkeit als Juniorprofessor an der TU Bergakademie Freiberg war er damals nur bedingt zufrieden.
Die Bergstadt war für ihn die erste Station in Deutschland nach vier Jahren in Schweden. Dort hatte Wagner seine Promotion abgelegt. In dem Land kamen auch seine Kinder auf die Welt. Nach Deutschland zurück gelockt hat ihn 2003 unter anderem die Idee der Juniorprofessur. „Das Konzept der rot-grünen Regierung war spannend. Es ermöglichte, ohne Habilitation wissenschaftlich zu arbeiten“, so Wagner. Er bewarb sich in Freiberg und Darmstadt. Aufgrund seiner familiären Situation – Wagner war zu dem Zeitpunkt alleinerziehend mit zwei Kindern im Alter von drei und sechs Jahren – entschied er sich für Freiberg, da er dort Familie und Beruf besser zu vereinbaren glaubte. Nach drei Jahren stieg er jedoch aus der Professur aus, auch weil es mit den Kindern schwierig gewesen sei. Es habe jedoch noch weitere Gründe gegeben.
Zur Person
Sechs Fragen an: Matthias Wagner (Bündnis 90/Grüne)
Zu Freiberg hatte Wagner zuvor keine Beziehung. Lediglich die TU als Einrichtung sei ihm bekannt gewesen. Sachsen hatte der gebürtige Unterfranke schon während seines Studiums Anfang der 90er kennengelernt. Bewusst hatte er sich damals eine Zeit lang in Leipzig einschreiben lassen. „Für mich war das ein großes Abenteuer“, sagt Wagner. Er sei in eine völlig andere Welt gekommen. „Es gab kein Telefon. Das nächste war 300 Meter weit weg die Straße runter. Ein Münztelefon“, schildert er. Ein Jahr blieb Wagner in Leipzig.
In Freiberg ist der Politiker nun sesshaft geworden. „Ich fühle mich hier sehr wohl. Das merke ich immer wieder“, sagt Wagner. Besonders beeindruckend sei für ihn damals die Aufnahme im Volleyball-Team des SV Siltronic Freiberg gewesen. Um einen besseren Anschluss in der neuen Heimat zu finden, organisierte sich Wagner 2003 einen Babysitter für die beiden Kinder. So konnte er am Training der Mannschaft teilnehmen. Sein Einstand endete mit dem Besuch im Krankenhaus. Beim Spielen war ihm ein Band gerissen. „Einige Spieler haben am nächsten Tag meine Kinder in die Kita geschafft“, berichtet Wagner von der Herzlichkeit, die ihm die Mannschaft damals entgegengebracht habe. Ein halbes Jahr musste er aussetzen. „Die Volleyballer sind inzwischen mein wertvollster Freundeskreis geworden“, sagt Wagner.
Dass er in Freiberg sesshaft geworden ist, zeigt sich auch in seinem politischen Engagement. 2012 kommt er zu den Grünen, wird 2015 Vorstandssprecher des Freiberger Stadtverbandes. Politisch aktiv sei er aber schon früher gewesen. „Mit 13 war ich bei den Friedensdemos in Neu-Ulm und Stuttgart mit dabei“, erzählt er. Im Oktober 1983 hatte sich zwischen den beiden Städten eine Menschenkette als Abschluss einer bundesweiten Friedenswoche gebildet. Ziel der Demos war es, die Umsetzung des Nato-Doppelbeschlusses zu verhindern, in dem unter anderem die Aufstellung neuer, mit Atomsprengköpfen bestückter Raketen und Marschflugkörper festgehalten worden ist. Wagner stammt aus einer kirchlichen Familie. Der Vater war Pfarrer, die Mutter Pfarrerin. Sie leitete einst in Berchtesgaden ein Asylbewerberheim. Seine Erfahrungen aus dieser Zeit prägen Wagner bis heute. „Die Vorurteile gegenüber den osteuropäischen Flüchtlingen von damals sind genau die gleichen wie wir sie heute haben. Das macht mich sprachlos“, sagt der Physiker.
Die Asylpolitik soll nicht das zentrale Thema Wagners werden. Er konzentriert sich politisch auf den Klimaschutz und die Energiepolitik. „Die Energiewende vorantreiben, das ist mein Herzenswunsch“, sagt er. Sein Ziel dabei sei, seinen Kindern eine Welt zu hinterlassen, in der man auch noch leben könne, betont der Direktkandidat. Selbst die Flüchtlingswelle stehe in Zusammenhang mit dem Klimawandel. „Drei Jahre vor dieser hatte es eine Dürre in Syrien gegeben. Die Leute sind daraufhin in die Städte gezogen. Assad hat das nicht in den Griff bekommen“, sagt Wagner.
Den Bezug zu den Naturwissenschaften habe er schon in der Kindheit gehabt. Sein Opa habe bei der Wacker Chemie AG gearbeitet. „Ich habe schon als Teenager mit ihm darüber diskutiert, dass Photovoltaik die Zukunft ist“, sagt Wagner. Hinzugekommen sei ein guter Physiklehrer in der Schule. Nur kurz habe Wagner während seines Zivildienstes überlegt, Sozialpädagogik zu studieren. Er hatte für 20 Monate beim sozialen Betreuungsdienst München gearbeitet und war als Busfahrer eines Schulbusses für verhaltensauffällige Kinder im Einsatz. „Ich bin dort sehr gut zurecht gekommen. War sogar für zwei bis drei Monate Hilfserzieher in der Gruppe, weil jemand ausgefallen war“, erzählt der 46-Jährige. Aber er hat auch festgestellt, dass die Arbeit ein „hartes Brot“ sei. „Wenn die Kinder am Wochenende zu Hause gewesen sind, haben die Erzieher am Montag wieder von vorn angefangen. Noch schlimmer war es nach den Ferien. Das war frustrierend“, schildert Wagner.
Sollte er es schaffen, via Direktmandat in den Bundestag einzuziehen, würde er mit Freude nach Berlin gehen. „Dort könnte ich wirklich was bewegen“, hofft er. Seine Kinder fänden es „total cool“, dass er sich jetzt politisch so engagiere. Beruflich gehe er damit nicht hausieren. „Das muss man auseinanderhalten“, betont der Grüne, der beim Einkaufen durchaus darauf achtet, dass Produkte aus fairem Handel in seinem Wagen landen, wie er es auch politisch fordert.