Von Antje Steglich
Verschmähte Liebe, Wahnvorstellungen oder doch ein ganz böses Spiel? Klar ist nach diesem Prozess vor dem Amtsgericht Riesa nur eines: Die Anwohner des Karl-Liebknecht-Ringes in Nünchritz sind seit Monaten Zeugen einer undurchsichtigen Beziehungstragödie, müssen Ruhestörungen und Beleidigungen ertragen. Ob tatsächlich allein der Angeklagte Michael S. Schuld an dieser Situation hat, lässt sich an dem ersten Verhandlungstag für Amtsgerichtsdirektor Herbert Zapf nicht klären.
Die Geschichte beginnt im Sommer vergangenen Jahres mit dem Einzug von Nadine G. in den Plattenbau. Mit ihren Kindern – drei und neun Jahre alt – richtet sie sich in ihrer Drei-Zimmer-Wohnung ein und ist freundlich zu jedermann, „weil man das so macht. Ich kannte ja niemanden“, sagt sie vor Gericht. So grüßt sie auch Michael S., der nur zwei Eingänge weiter wohnt. Nadine G. meint später: „das war wohl ein Hallo zu viel. Da fing alles an.“
Mit Tränen in den Augen berichtet sie von den Nachstellungen des 40-Jährigen, die angeblich gleich am Tag nach dem ersten Hallo beginnen. Michael S. schickt unaufgefordert Blumen und Pizzen, will Nadine G. ausführen und die kleine Familie mit Geschenken überhäufen: von der Spielekonsole für die Kinder bis hin zum sexy Kleid für die junge Mutter. Das Schlimmste aber sei der dauerhafte Terror, sagt sie. Bis in die Nacht schellt der Angeklagte bei der Sekretärin, die deshalb bis heute die Wohnungsklingel abgestellt hat. Die Kinder haben Angstzustände, wollen nicht mehr allein in ihrem Zimmer schlafen, erzählt die 28-Jährige.
Darüber hinaus zählt sie Hunderte Anrufe des Angeklagten, allein an einem einzigen Tag im Juli sind es zum Beispiel 30 SMS und 47 Anrufe. Noch schlimmer wird es, als Michael S. ein Stelldichein auf dem Balkon zwischen einem fremden Mann und Nadine G. beobachtet. Beleidigungen folgen. Als ihr die Nachstellungen zu viel werden, ruft sie die Polizei und erwirkt schließlich sogar eine Verfügung, dass sich Michael S. ihr nicht weiter als bis auf zehn Meter nähern und keinen Kontakt mehr zu ihr herstellen darf.
Der arbeitslose Mann sieht sich selbst als Opfer. In dem Prozess um Nachstellung und Beleidigung beteuert er mehrmals, dass sich die Geschichte ganz anders zugetragen habe. „Die Hälfte von dem stimmt nicht. Die Leute müssen ja denken, ich habe eine Vollmeise“, echauffiert er sich. Stattdessen hat Nadine G. seine romantischen Gefühle anfangs sogar erwidert.
Gab es gemeinsame Spaziergänge?
Es gibt laut Michael S. gemeinsame Spaziergänge und intime Gespräche im Wohnzimmer von Nadine G. – was die allerdings vehement bestreitet. Auch Hilfe will sie von dem schlanken Mann mit dem Schnauzer nie angenommen haben. „Ich habe ihm mehrfach zu verstehen gegeben, dass ich nichts von ihm will. Er bildet sich das alles nur ein“, sagt sie.
Die Sache scheint klar. Und Herbert Zapf sieht den Tatbestand der Nachstellung bereits erfüllt, sagt er zu Michael S.: „Als Sie Besuch von der Polizei hatten, hätte Ihnen ein Licht aufgehen sollen, dass mit der Dame nichts mehr läuft. Danach sind Sie gewaltig über die Grenze hinaus geschritten, die der menschliche Anstand und das Gesetz zieht“, so der Amtsgerichtsdirektor. Doch dann kommt Andreas R. als Zeuge.
Er wird gehört, weil er – damals noch mit Nadine G. liiert – von Michael S. beleidigt wurde. Der entschuldigt sich prompt und sieht in ihm plötzlich sogar einen Verbündeten. Denn Andreas R. stützt die Aussagen des Angeklagten, dass es tatsächlich so etwas wie eine Beziehung zwischen Michael S. und Nadine G. gab. „Ich habe sie mal spazieren gehen sehen und habe gedacht, dass da mehr ist“, so der Zeuge.
Richter Herbert Zapf will nun in der Verhandlung am nächsten Donnerstag, 18. April, Nachbarn und Familienmitglieder in den Zeugenstand rufen. An diesem Tag soll auch das Urteil gefällt werden. Für Michael S. wird es aber womöglich nicht der letzte Termin vor Gericht sein. Es gibt bereits ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen ihn, weil er die gegen die Abstandsverfügung verstoßen hat.
Seine Liebe zu Nadine G. scheint das nichts anhaben zu können. Noch kurz vor dem ersten Gerichtstermin verfasst Michael S. erneut zwei Liebesbriefe. Die Telefonanrufe hätten darüber hinaus zwar aufgehört, dafür verschwinde angeblich regelmäßig Post aus dem Briefkasten von Nadine G., sagt sie.