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Der Neandertaler in uns

Leipziger Forscher finden in den Genen uralter Vorfahren eine erstaunliche Erklärung dafür, wer wir sind und wo wir herkommen.

Von Stephan Schön
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So soll er ausgesehen haben. Es ist die wissenschaftliche Rekonstruktion eines Neandertalers im Museum Mettmann.
So soll er ausgesehen haben. Es ist die wissenschaftliche Rekonstruktion eines Neandertalers im Museum Mettmann. © SZ/Stephan Schön

Leipzig. Die Erkenntnis kommt aus dem Labor. Und sie ist mehrere zehntausend Jahre alt, aber dennoch brandneu. In alten Genen der Neandertaler steckt die Information,  wer wir sind  wo wir herkommen. Am Donnerstagabend veröffentlichten Leipziger Forscher nun im Fachmagazin Current Biology dazu Daten, wie viel Neandertaler noch in unserem Kopf steckt.

Eva nennt sich das Leipziger Labor. Es ist das Max-Planck Institut für evolutionäre Anthropologie. Dessen Chef Svante Pääbo ist einer der Top-Spezialisten weltweit für alte Gene. Die wenigen Reste der noch erhaltenen Erbsubstanz von Neandertalern werden in seinem Institut unter Reinraum-Bedingungen mit Mini-Fräsen aus den am besten erhaltenen Knochen herausgebohrt, gereinigt, analysiert,  gedeutet. Winzige Knochensplitter geben somit Auskunft über unsere eigene Evolution. 

Diese Leipziger Genanalysen hatten bereits in den letzten Jahren immer wieder für Aufsehen gesorgt. Als erstmals feststand: Neandertaler und Neumenschen hatten Sex. Nicht nur zufällig einmalig in Europa. Beide Menschenarten lebten ein paar Zehntausend Jahre gemeinsam auf diesem Kontinent  vor mehr als 30.000 Jahren. Immer wieder hatten sie gemeinsame Nachfahren. In Genen der Europäer stecken noch heute 1,6 bis 2,4 Prozent Neandertaler. Das ist viel. Das ist etwa so viel, wie uns beispielsweise vom Schimpansen trennen. Diese verbliebenen Neandertaler-Gene helfen uns manchmal noch heute, gegen Krankheiten zum Beispiel. Sie stärken unser Immunsystem. Es gibt ein Gen vom Neandertaler, das unseren Cholesterinspiegel regulieren kann. Und was ist mit dem Kopf, dem Gehirn? 

Ein internationales Forscherteam wollte es genauer wissen: Was steckt in unserem Kopf noch vom Neandertaler drin?  Unter Leitung des Paläoanthropologen Philipp Gunz vom Eva in Leipzig und dem Genetiker Simon Fisher und Amanda Tilot vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik wurden die Genome von heute lebenden Menschen ausgewertet und parallel dazu deren Schädelform extrem präzise in 3-D vom MRT dokumentiert. Obwohl sich die Gehirnformen und die Schädelformen aller heutigen Menschen deutlich von denen der Neandertaler unterscheiden, gibt es doch erhebliche Unterschiede in der Form. Jeder Schädel ist faktisch ganz individuell.  Schließlich suchten die Forscher in den Gensequenzen der rund 4.500 Studien-Teilnehmer nach DNA-Fragmenten vom Neandertaler. Die entscheidende Frage dabei war: Beeinflussen noch DNA-Fragmente vom Neandertaler die Gehirngestalt eines heute lebenden Menschen? 

Das internationale Forscherteam fand schließlich Neandertaler-DNA auf den Chromosomen 1 und 18 heutiger Menschen vor allem dann , wenn diese eine etwas weniger runde Schädelform hatten.  Diese DNA-Fragmente verändern die Aktivität zweier Gene, UBR4 und PHLPP1, die bei wichtigen Aspekten der Gehirn- und Kopfentwicklung eine Rolle spielen.

Svante Pääbo ist Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig.  Der in Leipzig arbeitende Forscher zeigt hier einen der Neandertaler-Schädel. Pääbo erhielt in diesem Jahr den mit 750.000 Euro dotierten Wissenschaftspreis der Körber-Stiftung Foto: Friedrun Reinhold / Körber-Stiftung / dpa
Svante Pääbo ist Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig.  Der in Leipzig arbeitende Forscher zeigt hier einen der Neandertaler-Schädel. Pääbo erhielt in diesem Jahr den mit 750.000 Euro dotierten Wissenschaftspreis der Körber-Stiftung Foto: Friedrun Reinhold / Körber-Stiftung / dpa © Friedrun Reinhold / Körber-Stiftung
Eine 3-D Rekonstruktion eines typisch flachen Schädels vom Neandertaler. Abbildung: Philipp Gunz
Eine 3-D Rekonstruktion eines typisch flachen Schädels vom Neandertaler. Abbildung: Philipp Gunz
Eine 3-D Rekonstruktion eines typisch runden Schädels vom Neumenschen. Abbildung: Philipp Gunz
Eine 3-D Rekonstruktion eines typisch runden Schädels vom Neumenschen. Abbildung: Philipp Gunz
Rekonstruktion einer Jagdszene mit Neandertaler im  Museum Mettmann. Foto: SZ/Stephan Schön
Rekonstruktion einer Jagdszene mit Neandertaler im  Museum Mettmann. Foto: SZ/Stephan Schön

Was die Schädelform und die Fähigkeiten des Neandertalers betreffe, so könnten jedoch allein aus diesen Untersuchungen keinerlei Rückschlüsse auf die Denkleistung des Neandertalers gezogen werden.  "Der Fokus unserer Studie liegt auf einem besseren Verständnis der ungewöhnlichen Gehirnform des modernen Menschen", sagt Philipp Gunz. "Unsere Ergebnisse lassen keine Rückschlüsse auf die kognitiven Fähigkeiten der Neandertaler zu." Zumal jüngste archäologische Funde symbolische Verhaltensweisen bei Neandertalern dokumentieren, die bisher eigentlich ausschließlich dem modernen Menschen zugeschrieben wurden. Dazu zählen die geheimnisvollen Steinkreise, die tief in der französischen Bruniquel-Höhle aus Stalagmiten errichtet wurden. Und überraschend war auch die Neandertaler-Höhlenkunst auf der Iberischen Halbinsel.