Dass er das Zeug zum Arbeiterführer hat, bewies Bernard Thibault schon als 15-jähriger Mechanikerlehrling: Damals verlangte er bei der französischen Staatsbahn SNCF ein Gespräch mit dem Betriebsleiter, weil ihm und seinen Kollegen das Essen in der Werkskantine nicht schmeckte. Dennoch ist der heutige Chef der traditionsreichen Gewerkschaft CGT keineswegs ein „Betonkopf“. Im unpopulären Eisenbahnerstreik gegen die Pläne von Präsident Nicolas Sarkozy, die Frührente in Staatsbetrieben abzuschaffen, setzt er auf Verhandlungen. Doch damit beißt er bei der Basis auf Granit.
Der 48-Jährige mit dem markanten Pilzschopf war in den vergangenen Tagen fast täglich in Fernseh-Interviews zu sehen. Angesichts der Härte, mit der Sarkozy die Anpassung der Sonderrenten der Staatsbetriebe an das allgemeine Rentensystem durchpeitschen will, sah er sich zu der Feststellung genötigt: „Die Regierung will den Konflikt, um ein Exempel zu statuieren.“
Thibault wurde 1999 zum Generalsekretär der Confédération Générale du Travail (CGT) gewählt. Sie ist nach Mitgliederzahlen die zweitgrößte Arbeitnehmervertretung Frankreichs, hat ihre Hochburgen aber gerade in den von der Reform betroffenen Staatsbetrieben. Lange galt die CGT als Klassenkampfmaschine der Kommunistischen Partei, deren Mitglied auch Thibault ist. 1995, als die Regierung schon einmal die Frührente kippen wollte, wurde Thibault zur Führungsfigur der Proteste – und lehrte die konservative Regierung das Fürchten. Nach dreiwöchigen Streiks zwang er Premierminister Alain Juppé damals dazu, den Angriff auf das „Regimes Speciaux“ abzubrechen.
Doch inzwischen gilt der Gewerkschaftsboss als Pragmatiker. Schon Ende der 90er Jahre plädierte er dafür, die „Nabelschnur zur Kommunistischen Partei“ zu kappen. Seit seiner Wahl muss sich Thibault immer wieder mit den „Hardlinern“ in der Gewerkschaft herumschlagen, die seinen Modernisierungskurs ablehnen. Für Wirbel in der CGT sorgte nun, dass Thibault noch vor Streikbeginn am Mittwoch ein bedeutendes Zugeständnis an die Regierung machte: Er zeigte sich bereit, über die Rente Unternehmen für Unternehmen zu verhandeln, nachdem die bisherige CGT-Linie nur Gespräche für alle Branchen vorsah. Aus Sicht vieler Eisenbahner hat Thibault mit diesem Schwenk den Protest ohne Zwang geschwächt.
Mit der Konzession wollte Thibault offenbar verhindern, dass die CGT es sich mit den Beschäftigten im Privatsektor verscherzt, die schon lange 40 Jahre bis zur Rente arbeiten müssen – während 1,6 Millionen Beschäftigte bei der Eisenbahn und bei staatlichen Energiekonzernen im Schnitt zweieinhalb Jahre weniger in die Rentenkasse einzahlen. Thibault geht damit ein erhebliches Risiko ein, denn für die CGT-Basis bei der Bahn sind solche Taktierereien mitten im wichtigsten Arbeitskampf seit Jahren nicht nachvollziehbar. Sie erteilte ihrem Chef die Quittung und streikte erst einmal unbeeindruckt weiter.