Von Ronja Münch
Marcel Schneider war selber nicht so ganz sicher, was er tun soll. Als er an einem Montagmorgen Ende November an der Haltestelle Ecke Bautzner/Rothenburger Straße ausstieg, lag dort ein junger Mann, angelehnt an die Häuserwand, und schlief. Er zitterte, kein Wunder: Die Außentemperatur betrug etwa null Grad Celsius und der junge Mann trug nur T-Shirt und Hose. Schneider beobachtete kurz, was andere Passanten machten: Die eilten schnell vorbei, auf dem Weg zur Arbeit. „Einige Schüler haben ihn ausgelacht.“ Dabei sei der am Boden liegende Mann gut gekleidet gewesen, offensichtlich nicht obdachlos und er habe auch nicht bedrohlich gewirkt. Schneider tat dann das, was eigentlich auch andere hätten machen sollen: Er versuchte, den Mann aufzuwecken. Als ihm das nicht gelang, rief er den Rettungsdienst. „Nach drei Minuten waren Krankenwagen und Notarzt da.“ So lange kann auch warten, wer schnell zur Arbeit muss.
Wer in einem solchen Fall nichts tut, kann sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig machen. „Dessen sollte sich jeder bewusst sein“, so Polizeisprecherin Ilka Rosenkranz. So geschehen im Fall des alten Mannes in einer Essener Bankfiliale, über den mehrere Menschen hinwegstiegen und der anschließend starb. Gegen vier Bankkunden läuft dort ein Strafverfahren wegen unterlassener Hilfeleistung. Auch Marcel Schneider dachte an diesen Fall, als er der SZ von dem jungen Mann an der Straßenbahnhaltestelle erzählte. „Ich habe selber einen Sohn. Was ist, wenn der mal irgendwann nach dem Feiern auf der Straße einschläft. Da will ich auch, dass ihm jemand hilft.“ Im Fall des jungen Mannes an der Haltestelle gibt es keine Anklage.
Schneider hat sich genau so verhalten, wie auch die Polizeisprecherin das rät. Man solle zuerst gucken, ob jemand ansprechbar ist. Es sei dabei „nie verkehrt, einen gewissen Abstand einzuhalten“. Da müsse jeder vor Ort selber einschätzen, ob er beispielsweise versucht, eine Person wachzurütteln. Den Notruf zu wählen sei aber immer richtig. „Lieber einmal mehr Hilfe rufen als einmal zu wenig“, sagt Rosenkranz. Da werde auch niemand belangt, wenn es dann doch nicht so akut sei.
Der an der Haltestelle liegende Mann war 30 Jahre alt. Aus Datenschutzgründen gibt die Feuerwehr nicht mehr bekannt. Was aus ihm geworden ist und ob Marcel Schneider ihm womöglich das Leben rettete, ist daher nicht bekannt.