Merken

Der Schatz aus Nummer 70

Ein Kamenzer restauriert mit Nachbarn ein Haus an der Pulsnitzer. Und findet dort nicht nur ein uraltes Holzfenster.

Teilen
Folgen
© Matthias Schumann

Von Ina Förster

Hemd und gute Hose aus. Baukluft an! Jens Krüger hat den Feierabend ersehnt. Endlich! Er ist zwar mit Leib und Seele Lehrer am Kamenzer Lessing-Gymnasium. Aber das hier ist noch ein Zacken schöner – herumwerkeln, im Baudreck wühlen, Holz bearbeiten, planen, etwas schaffen mit den eigenen Händen. Seit fast zehn Jahren ist er Hausbesitzer an der Pulsnitzer Straße. Erst möbelte er das Heim der Schwiegereltern auf, um dort mit der Familie zu wohnen. Anschließend erwarb er das Nachbarhaus dazu. In Szenekreisen wird das seitdem „de Siebzig“ genannt. So lautet nämlich auch die Hausnummer.

Das „Schneewittchenzimmer“ mit altem Bett in der oberen Etage ist eines von drei Pensionszimmern, die Jens Krüger seit Kurzem auch vermietet. Liebevoll haben die Männer sie gemeinsam eingerichtet.
Das „Schneewittchenzimmer“ mit altem Bett in der oberen Etage ist eines von drei Pensionszimmern, die Jens Krüger seit Kurzem auch vermietet. Liebevoll haben die Männer sie gemeinsam eingerichtet. © Matthias Schumann
Dartpfeile in Omas Küchen-Buffet zeugen davon, dass es sich hier um kein Museum handelt. Die Nachbarn der Pulsnitzer nutzen ihr Kleinod schon recht oft, um den schönen Dingen zu frönen. Wer viel arbeitet, darf auch viel feiern!
Dartpfeile in Omas Küchen-Buffet zeugen davon, dass es sich hier um kein Museum handelt. Die Nachbarn der Pulsnitzer nutzen ihr Kleinod schon recht oft, um den schönen Dingen zu frönen. Wer viel arbeitet, darf auch viel feiern! © Matthias Schumann

„Eigentlich hatten wir schon mit unserer Nummer 68 genug zu tun“, erzählt er. Aber dann bin ich zum Nebengelass gekommen, wie die Mutter zum Kind“, lacht er. Selbiges war ziemlich alt, auch der Garten dahinter. Im Sommer wuchs hier das Gras kniehoch. „Ich habe einfach meinen Rasenmäher herausgeholt und dort mitgemäht. Die ehemaligen Besitzer, alte Leutchen, waren ins Heim gezogen. Und es stand lange Zeit leer. Eines Tages sahen mich Spaziergänger dabei und ich dachte mir: Rufst du besser mal bei den Kindern an und erklärst, warum du hier auf ihrem Grundstück herumwirbelst“, lacht der 47-Jährige. Und das war gut so. Vor allem für das uralte Gemäuer. Denn man kam ins Geschäft miteinander. „De Siebzig“ wanderte ordnungsgemäß in die Hände von Jens Krüger und einem anderen Nachbarn. „Denn wir haben es zuerst gemeinsam gekauft, weil es ja schon eine nicht kleine Investition war. Außerdem hatten wir so unsere Pläne und Träume damit“, erzählt er.

Eine kleine Freizeitoase

Da man ja nun nicht unbedingt noch mehr Wohnraum brauchte, wollten sie das Haus nämlich in eine kleine Freizeit- und Hobbyoase umbauen. Dart-Ecke, Skat-Stube, ein kleiner Fetenraum – das schwebte ihnen vor. Gesagt, getan. Alle packten mit an – vor allem die männliche Nachbarschaft und es ging Schritt für Schritt vorwärts. Jeder kannte sich mit etwas aus. Der eine konnte klempnern, der andere Elektroleitungen verlegen. Ein Cousin probierte sich malerisch aus. Jens Krüger selbst bevorzugt die Holzarbeiten.

Gerade letztere fielen umfangreich aus. Vor allem das Erdgeschoss war in ziemlich desolatem Zustand. Enthüllte aber nach und nach seine ganze Pracht! „Wie alt das Gemäuer ist, weiß keiner so richtig. Wir vermuten, dass es im 17. Jahrhundert gebaut wurde. Hier in der Pulsnitzer Vorstadt ist nicht viel verbrieft. Die Häuser brannten aber beim letzten großen Stadtbrand nicht mit ab 1842“, so Krüger. „Ich habe schon viele Unterlagen gewälzt, Kontakt mit dem Kamenzer Geschichtsverein aufgenommen und sogar den Stadtarchivar eingeladen. Aber festlegen will sich keiner!“

Eine echte Rarität

Letzterer machte ihn dann aber auf einige historisch wertvolle Dinge aufmerksam. Wie auf ein uraltes Holzfenster, welches schon vor Jahrzehnten zugemauert worden war, aber bei den Bauarbeiten freigelegt wurde. „Es ist eines der letzten erhaltenen Holzfenster der Stadt überhaupt, so viel konnte der Stadtarchivar auf jeden Fall sagen“, so Jens Krüger stolz. Es könnte aus dem 16. Jahrhundert stammen. Eine echte Rarität also. Die Holzwürmer konnten dem dicken Rahmen jedenfalls nichts anhaben. Die Eichebohle hält. Auch die komplette Decke besteht übrigens daraus. Und wurde im Zug der Sanierungsarbeiten freigelegt und aufgearbeitet. „Hier stecken viele Hunderte Stunden drin“, sagt der 47-Jährige. Die Schieflage der Balken schiebt der Hausherr auf die abschüssige Pulsnitzer Straße. Man hat das früher einfach den Gegebenheiten angepasst.

Was die fünf Nachbarn hier miteinander geschaffen haben, darf sich sehen lassen. Auch wenn das Haus seit 2011 Jens Krüger allein gehört, packen die anderen immer noch kräftig mit an. In so einem Kleinod wird man eh nie fertig! Diesen Sommer sind die alten Holztüren beispielsweise an der Reihe. Der riesige Holzverschlag im mittlerweile idyllischen Hintergartenbereich wurde ebenfalls gemeinsam befüllt. Da holt sich jeder Nachbar sein Feuerholz nach Bedarf ab. Man sitzt halt gern zusammen. „Wir sind hier an der unteren Pulsnitzer eine echt tolle Gemeinschaft geworden. Kennengelernt haben wir uns übrigens vor Jahren, als ich eine Bürger-Initiative für die 30er-Zone ins Leben gerufen habe. Und bei allen an der Tür klingelte“, erzählt der Deutsch- und Geschichtslehrer.

Manchmal kommen Gäste

Am Freitagabend wird nun Skat gespielt, an einem anderen Dart. Manchmal kommen Gäste von außen vorbei. „Auf der Pulsnitzer werden wir mittlerweile liebevoll als ,Männerhaus‘ geführt“, lacht Krüger. Ab und zu sorgt sich eine weibliche Hand um die Grünpflanzen im Obergeschoss. Mehr nicht. Sogar saubergemacht wird selbstständig. Und auch die komplette Möblierung mit Unikaten haben die Herren allein gestemmt. Oben gibt es jetzt Pensionszimmer. Denn ab und zu wird in der ehemaligen Waschküche privat gefeiert. So lautete der Plan. Und der war super …