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Der Schlichter mit den klaren Worten

Seit vielen Jahren ist Peter Stosiek Ombudsmann der Ärztekammer. Von ihm bekommen auch Ärzte was zu hören.

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© nikolaischmidt.de

Von Frank Seibel

Da steht dann dieser große, grobe Kerl vor dem Schreibtisch und poltert: Stundenlang haben sie seinen Sohn am Freitagnachmittag in der Klinik liegen lassen und nichts gemacht gegen diese schlimmen Bauchschmerzen; nur nach dem Alkoholkonsum gefragt; nichts zu essen und zu trinken gegeben; am Sonntag dann die dringende Operation wegen eines dicken Gallensteins. Und was haben sie gefunden? Kein Stein, aber eine kaputte Bauchspeicheldrüse.

Immer wieder montags erlebt Peter Stosiek solche Szenen. Jeden Montagnachmittag kommt der pensionierte Medizinprofessor ins Haus der Malteser auf dem Mühlweg, um sich solche und andere Geschichten anzuhören. Meist sind es Patienten, fast immer geht es um Ärzte und Krankenpfleger und das, was sie falsch gemacht haben – aus Sicht der Patienten.

Dann hört der alte Hase genau zu; man darf den Herrn Professor gewiss so nennen, denn Peter Stosiek liebt eine herzlich klare Sprache, die auch mal ein bisschen derb sein darf. Der alte Hase also spitzt die Ohren, hört genau zu – und holt dann Luft. Denn er ist ja hier, um Ratschläge zu geben als Ombudsmann in der medizinischen Beratungsstelle der Kreisärztekammer. Manchmal kommt der Rat ganz spontan, wie in diesem Fall. „Wie geht es Ihrem Sohn“, hat Peter Stosiek den aufgebrachten Vater gefragt, nachdem er auf dem Behandlungszettel die Diagnose der Ärzte am Klinikum gelesen hatte: Bauchspeicheldrüsen-Nekrose, ausgelöst durch Gallensteine. Gut geht es dem Sohn? Er arbeitet nach wenigen Tagen schon wieder? „Dann sollten Sie sich über die Ärzte nicht beschweren, sondern ihnen dankbar sein“, hat der Ombudsmann dem grimmigen Vater laut und ohne Umschweife gesagt. „Denn sie haben alles richtig gemacht.“ Wenn die Ärzte den jungen Mann hätten hin- und herlaufen lassen, wenn sie ihm etwas zu essen oder zu trinken gegeben hätten, wenn sie ihn nicht sorgfältig opertiert hätten – „dann wäre Ihr Sohn jetzt tot!“ Denn jeder zweite Patient mit dieser Krankheit stirbt. Kleinlaut und beinahe demütig sei der Vater von dannen geschlichen, erzählt Peter Stosiek.

Woher er das alles weiß, so ganz auf die Schnelle? Peter Stosiek hat jahrzehntelang als Arzt gearbeitet, und zwar in einer besonderen Disziplin: Er ist Pathologe, zuletzt arbeitete er bis zur Pensionierung als Chefarzt an der Carl-Thiem-Uniklinik in Cottbus. Als Pathologe hatte er zwar kaum mit lebenden Menschen zu tun, sondern entweder mit Leichen oder aber mit Gewebeproben. Doch in diesem Fach, sagt er, lernt man das Universum von Leben und Sterben besser und intensiver kennen als in jeder anderen Disziplin. In diesem Fall genügte eine kurze Information, um den gesamten Vorgang beurteilen zu können.

Der schnöselige Stationsarzt

Aber hat er den grimmigen älteren Herrn tatsächlich so in den Senkel gestellt? „Natürlich“, ruft Peter Stosiek aus. „Wenn man ein Herz für die Menschen hat, kann man sie auch hart anpacken.“ Als Ombudsmann ist er keiner, der Konflikte oder Probleme schönredet. Und obwohl Patienten in ihrer Kritik an Ärzten und Pflegern oft ungerecht sind, schimpft Stosiek bei Bedarf auch kräftig mit Ärzten.

Da war diese alte Frau, 80 Jahre und allein lebend, ohne nähere Verwandte in Görlitz. Die war gestürzt und hatte sich beide Unterarme gebrochen. Im Klinikum wurde sie ordentlich versorgt, doch dann vom schnöseligen jungen Stationsarzt einfach nach Hause geschickt – mit zwei eingegipsten Armen und obwohl sie gesagt hat, dass sie zu Hause niemanden hat, der ihr helfen kann. „Die arme Frau konnte nichts machen: nicht essen, nicht auf die Toilette gehen. Nach einigen Tagen fand man sie in erbärmlichem Zustand in ihrer Wohnung liegen und wurde stationär ins Krankenhaus eingeliefert.“ Und zu alledem fühlte sie sich tief gekränkt von beleidigenden Äußerungen des Arztes.

In solchen Fällen hat Peter Stosiek nicht sofort eine Antwort parat. Da muss er erst einmal recherchieren und die andere Seite anhören, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Aber im Gespräch mit dem jungen Arzt sei ihm schnell klar geworden, dass die alte Dame sich zu Recht beklagt hat. „Da habe ich dem jungen Kollegen gesagt, dass er die Frau besuchen und sich bei ihr entschuldigen muss. Und wenn er das nicht innerhalb weniger Tage gemacht hat, dann würde ich zu seinem Chef gehen.“ Der Arzt hat sich entschuldigt, „und die alte Dame hat ihre Würde wieder“. Peter Stosiek benutzt gerne diese alten, klaren Worte: Würde, Frieden, Entschuldigung, Dankbarkeit. Vieles davon passt nicht in das Raster der Paragrafen und Verordnungen, die das Zusammenleben von Menschen in einer modernen Gesellschaft regeln.

Wenn es eine Berufsgruppe gibt, die auf ihn gut verzichten könnte, dann sind das die Rechtsanwälte. Denn wenn die Menschen nicht beim Ombudsmann Dampf ablassen könnten und er nicht auf seine ganz persönliche Art Konflikte schlichten würde, dann gäbe es vermutlich mehr Klagen vor Gericht. Wenn im Kreis Görlitz die Zahl der Klagen wegen angeblicher oder tatsächlicher Ärztefehler niedriger sei als überall sonst in Sachsen, dann sieht Peter Stosiek das zwar nicht als seinen ganz persönlichen Erfolg an – aber für ihn ist das ein Beleg dafür, dass die Instanz des Ombudsmannes wichtig und hilfreich ist. Dass es solche Beschwerde-Instanzen längst nicht in allen Landkreisen gibt, liegt daran, dass es dafür kein Geld gibt. Der Ombudsmann arbeitet ehrenamtlich. 50 bis 70 Menschen pro Jahr kommen mit ihren Sorgen zu ihm, sagt Peter Stosiek. „Und jeder macht Arbeit.“ Zwei Stunden zuhören am Montag. Dann telefonieren, recherchieren, nachdenken. Nicht immer ist die Lösung ganz einfach.

Seit über zehn Jahren macht Stosiek das nun. Im Jahr 2004, kurz nach seiner Pensionierung, sei die Ärztekammer auf ihn zugekommen: Ob er sich vorstellen könne ... Am Klinikum habe es zu DDR-Zeiten eine vergleichbare Einrichtung gegeben. „Arbeiter- und Bauern-Inspektion“ nannte sich das, erzählt Stosiek, der sich als streitbarer Katholik zwar gerne und oft mit den Oberen in der DDR gerauft hat, aber den SED-Staat keineswegs verteufelte.

Abschied zum Jahresende

Sinnvoll seien solche Schiedsstellen überall da, wo ein großes Ungleichgewicht der Kräfte und der Macht herrscht. Das ist beim Militär so, aber auch in der Medizin. Der Patient ist dem Arzt zunächst einmal ausgeliefert und auf sein Wohlwollen angewiesen. Doch wenn es berechtigte Kritik gibt, muss man die auch äußern können, ohne dafür in irgendeiner Weise offen oder versteckt bestraft zu werden.

Im besten Fall, sagt Peter Stosiek, zieht nicht nur Frieden ein, sondern die Beteiligten lernen auch etwas aus ihren Fehlern. Dafür sorgt er schon meistens mit seiner klaren Ansage. Er darf das. Denn er ist nicht nur eine fachliche Instanz, sondern auch eine moralische. Als Person. Ganz unabhängig von einem Amt. Zum Jahresende allerdings macht er Schluss damit. Kurz vor seinem 80. Geburtstag.

Sprechstunde des Ombudsmannes jeden Montag, 15 bis 17 Uhr, in der Medizinischen Beratungsstelle im Mühlweg 3. Anmeldung unter 03581 48000.