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Der Siegeszug des Populismus

Was macht Populisten so stark? Was könnte sie bremsen? Demokratien suchen nach den richtigen Rezepten. Ein Interview.

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© Karikatur: Nel

Herr Hartleb, wie schafft es ein Populist wie Donald Trump ins Weiße Haus?

Dr. Florian Hartleb, (37) ist Politikwissenschaftler mit dem Forschungsschwerpunkt Populismus. Er arbeitet in Tallinn.
Dr. Florian Hartleb, (37) ist Politikwissenschaftler mit dem Forschungsschwerpunkt Populismus. Er arbeitet in Tallinn. © PR

Durch Außenseiterstatus, Unzufriedenheit mit dem Establishment, eine sehr tiefe Identitätskrise des Landes mit einer polarisierten Gesellschaft und durch die sozialen Medien. Er spielte genau die populistische Logik aus. Zum einen: Wir gegen die da oben. Clinton war als frühere First Lady und Außenministerin eine Vertreterin des Establishments. Auch durchaus mit Angriffspunkten. Das hat er ausgenutzt. Zum anderen hat er die weiße Bevölkerung sehr stark gegenüber Latinos und Afroamerikanern verteidigt. Trump hat mehr als 200 Schimpftriaden während des Wahlkampfs gebracht, er hat gegen alles Mögliche gewettert. Damit hat er im Grunde die Klaviatur des Populismus perfekt gespielt.

... und sich trotz der Skandale durchgesetzt.

Alle Meinungsforscher und die traditionellen Medien haben ihn abgeschrieben und auch bekämpft. Ironischerweise ist er ja selbst ein Produkt der Medien, er hat sich seit Jahrzehnten zur Marke gemacht. Keiner hatte ihn auf der Rechnung: Medien wie die New York Times oder die Washington Post haben vor ihm gewarnt. Genau wie die Stimmen aus Europa, wie Außenminister Steinmeier, der ihn in einer Rede „Hassprediger“ genannt hat. Wenn man Populisten beschimpft, macht es sie in der Regel noch stärker – das kennen wir auch von Pegida und der AfD.

Verurteilen und warnen bringt also nichts. Was hilft gegen Populismus?

Auf jeden Fall keine Wählerbeschimpfung. Man darf die Leute nicht für dumm verkaufen. Es hilft auch, nicht über jedes Stöckchen zu springen. Die Persönlichkeit von Trump hat die Nachrichten bestimmt, es ging nicht mehr um Sachpolitik. Jeden Pseudoskandal zu politischen Nachrichten hochzuschreiben, hilft nicht. Was hilft, ist Faktenpolitik. Es scheint so, dass politische Fakten weniger zählen. Wie kann man über die sozialen Medien die Parallelöffentlichkeiten erreichen? Denn: Die eine Öffentlichkeit gibt es eben nicht mehr . Beziehungsweise: Die traditionellen Medien haben enorm an Glaubwürdigkeit verloren.

Populisten vertreten angeblich den „wahren Volkswillen“. Warum tun sich andere Kräfte damit schwer?

Weil das eine sehr kluge Manipulationsstrategie ist. Unsere Gesellschaft wird undurchschaubarer, komplexer. Die Euphorie um die Einheit und den Siegeszug der liberalen Demokratie ist verpufft. Es gibt Gegenmodelle. Europa ist umzingelt von Konfliktherden: mit der katastrophalen Situation im Nahen und Mittleren Osten, aber auch in der Ukraine. Viele Erwartungen haben sich nicht erfüllt.

Welche Rolle spielt Vereinfachung?

Es ist Vereinfachung gepaart mit bewusster Manipulation. In jeder Rede von Trump konnte man ihm Lügen nachweisen. Das trifft auch auf AfD und Pegida zu. Unser Talkshow-Format begünstigt das. Wenn Rechtspopulisten eingeladen waren, konnten sie Statistiken vorlesen, die man kaum nachprüfen kann. Das verstärkt sich durch die sozialen Medien. Dazu kommt, dass selbst erfahrene Politikbeobachter nicht mehr beurteilen können, wie die Lage in der Türkei ist, wie es in der Ukraine aussieht oder ob der Flüchtlingszustrom eine Chance oder ein fundamentales politisches Problem ist. Man kann Sachverhalte kaum noch richtig einordnen: Das ist ein Einfallstor für Vereinfachung.

Macht man es sich zu einfach, wenn man die Wähler als dumm abstempelt?

Ja, das ist auch ein Problem. Man ist sich in Washington, Brüssel und Berlin einig, dass Donald Trump der absolute worst case ist. Ähnlich wie beim Brexit. Man wird sich auch schön einig sein, wenn Marine Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen in Frankreich antritt oder im Dezember die Wahlen in Österreich stattfinden oder im nächsten Herbst die Bundestagswahl in Deutschland: Wir sind die wahren Demokraten, wir sind die echten Europäer. Die anderen sind die Feinde, die manipuliert werden und alles nicht verstehen. Diese Zweiteilung ist ja nicht mehr aufrechtzuerhalten.

Inwiefern?

Brexit und die Wahl von Trump deuten auf ein gewisses Versagen der Medien und Meinungsforscher hin – und auch der etablierten Politik. Man muss versuchen, auch in negativen Szenarien zu denken. Vor einem Jahr hätte keiner geglaubt, dass es zu Trump kommt, dass Großbritannien aus der EU austreten will, dass die Türkei mit totalitären Methoden auf dem besten Weg ist, eine Diktatur zu werden und Russland geschickt einen Propagandafeldzug macht. Oder auch dass Deutschland im Zentrum des IS-Terrorismus steht. Das sind Entwicklungen, die Fakten sind und aufgearbeitet werden müssen. Es ist eine andere Realität, die sich eingestellt hat.

Was passiert, wenn sich die Hoffnung in die Populisten nicht erfüllt?

Es ist wichtig, die Chancen auch zu nutzen. Brexit und Trump haben gezeigt, dass es falsch wäre, jetzt von Politikverdrossenheit zu reden. Oder zu sagen, die Bürger haben keinen Bock mehr auf Politik. So ist es ja nicht. Auch die AfD hat sehr stark mobilisiert, Pegida ebenfalls. Die Leute mischen sich ein und legen durchaus politisches Bewusstsein an den Tag. Man muss versuchen, diese Mobilisierung zu kanalisieren. Denn – trotz sinkender Wahlbeteiligung und weniger Zustimmung für Volksparteien – zeigt sich, dass Politik die Leute wieder mehr emotionalisiert, mobilisiert, leider aber auch polarisiert. Man muss versuchen, auf den fahrenden Zug aufzuspringen.

Die Gesellschaft ist gespalten. Kann man das wieder kitten?

Nein, wahrscheinlich nicht. Es sind ja Scherben, die hinterlassen werden. Es wird auch in Deutschland wahnsinnig schwierig sein, die AfD-Wähler oder die Leute, die für Pegida auf die Straße gehen, wieder einzufangen. Wir müssen uns auch mit der Tatsache auseinandersetzen, dass wir in einer Zwei-Drittel-Gesellschaft leben und das ein Teil der Bevölkerung wegbricht, was demokratische Prozesse angeht. Da braucht man sich keine Illusionen machen.

Ist diese Entwicklung gefährlich für eine Demokratie oder kann das auch vitalisierend wirken?

Die Leute sind sensibilisiert, mobilisiert und auch emotionalisiert. Da sehe ich den Vorteil. Grundsätzlich ist es aber eine enorme Gefahr für die Politik, weil wir eigentlich mitten in gesellschaftlichen Umbrüchen leben. Etwa durch die Integration der Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt oder die Digitalisierung der Arbeitswelt. Man braucht ein progressives Gesellschaftsbild. Mit dem Ansatz, alles zu konservieren, wie es jetzt ist, kommen wir nicht weiter.

Müssen wir damit leben, dass Politik nun mit Emotion gemacht wird, oder gibt es ein Rezept gegen Populismus?

Man muss versuchen, die Prozesse weniger komplex zu machen. Wir brauchen auch eine Initiative, um Quereinsteiger in die politischen Parteien zu bringen. Man muss die EU besser verkaufen, sie weniger technokratisch gestalten. Das Engagement für Demokratie spielt sich auch jenseits der Parteien ab. Bürgerinitiativen entfalten eine enorme Kraft. Das Interesse der Leute muss man nutzen. Und auch nicht alles schlecht reden: Die wirtschaftliche Situation in Deutschland und Europa ist ja immer noch vergleichsweise gut. Es wäre ratsam, mehr Optimismus zu verbreiten. Verbunden mit einer offenen Diskussion, wie die Gesellschaft in zehn oder 20 Jahren aussehen soll.

Das Gespräch führte Andrea Schawe.