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Der Sowjet-Park von Zeithain

In Dresden debattiert man über eine Rückkehr der Lenin-Statue. In der Gohrischheide ist sie nie verschwunden.

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© Lutz Weidler

Von Christoph Scharf

Zeithain. Den Lenin von Dresden kannte jedes Schulkind: Unübersehbar stand er bis 1992 gegenüber des Hauptbahnhofs, in einer Reihe mit Ernst Thälmann und Rudolf Breitscheid. Der Volksmund nannte das Trio „die roten Bahnhofsvorsteher“. Den Lenin von Zeithain kannte dagegen kaum jemand. Die Skulptur ist zwei Nummern kleiner als das Dresdner Exemplar – aber immer noch lebensgroß. Sie thronte auf einem Sockel am Kindergarten der Sowjetarmee, für DDR-Bürger unerreichbar eingezäunt auf dem Gelände des früheren Munitionslagers, etwa dort, wo heute der Kampfmittelbeseitigungsdienst Bomben und Granaten zerlegt.

Eine Lenin-Statue, die 1992 noch goldfarben am sowjetischen Kindergarten thronte ...
Eine Lenin-Statue, die 1992 noch goldfarben am sowjetischen Kindergarten thronte ... © Lutz Weidler
... kam ebenfalls dorthin –
... kam ebenfalls dorthin – © Lutz Weidler
– und ein zwölf Meter hohes Bajonett vom Kaserneneingang.
– und ein zwölf Meter hohes Bajonett vom Kaserneneingang. © Lutz Weidler
Die Mauer war schon da.
Die Mauer war schon da. © Lutz Weidler

Den Kindergarten gibt es längst nicht mehr, genauso wenig wie den Spielplatz mit dem Miniatur-Jagdflugzeug davor. Der Zeithainer Lenin aber hat überlebt. Heute steht er etwa anderthalb Kilometer weiter nordöstlich – in illustrer Gesellschaft. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit ist dort nach dem Abzug der Sowjetarmee eine Art roter Skulpturenpark entstanden. Rüdiger Schwark kann sich daran noch genau erinnern. „Vor genau 25 Jahren lief der Abzug der Russen auf Hochtouren“, sagt der 61-Jährige. Schwark war im Oktober 1991 als Revierförster für die bundeseigenen Flächen des sowjetischen Truppenübungsplatzes eingesetzt worden. Wohl als einer der ersten Deutschen überhaupt durfte er das gesamte Areal der sowjetischen Armee betreten. Vom Verbindungsoffizier wurde er regelmäßig mit dem aktuellen Schießplan versehen – um auf dem mehrere Tausend Hektar großen Areal nicht versehentlich unter Feuer zu geraten. „Zeitweise waren dort am Tag mehr als 300 Panzer unterwegs“, erinnert sich der Förster an den Standort, der zu Spitzenzeiten 22 000 Rotarmisten beherbergte. Bis zu drei Garde-Panzerregimenter übten gleichzeitig für den nächsten Krieg – ohne große Rücksichtnahme. „Auch bei Waldbrandstufe IV haben die Russen mit Leuchtspurmunition geschossen.“ Von dort rückten sowjetische Truppen 1968 aus zur Niederschlagung des Prager Frühlings.

Im Sommer 1992 dagegen war die Zeit des Standorts abgelaufen. „Damals wurden hier die Nächte durch verladen“, erinnert sich der Förster, der seine Dienstwohnung in Hörweite der früheren Kaserne hat. „Man hörte die Russen fluchen, wenn sie sich irgendwo eine Hand eingeklemmt oder mit dem Hammer auf den Finger gehauen hatten.“ Tagsüber donnerten die Antonow-Transportflieger über Zeithain – sie drehten ihre Platzrunde über der Garnison, bevor sie auf dem Flugplatz Großenhain aufsetzten. Von dort lief ein guter Teil des Abzugs der sowjetischen Streitkräfte. Manch Einheit bezog die Kaserne in Zeithain auf dem Weg nach Großenhain nur als Zwischenstation. Andere dagegen waren über Jahrzehnte auf dem einst königlich-sächsischen Truppenübungsplatz heimisch geworden. „Ein Russe hatte sich hier noch ein Sofa gekauft, bevor der Abzug anstand. Und dann wurden die Transportcontainer knapp ...“, erinnert sich Schwark an die Zeit vor 25 Jahren.

Zwar klemmte es bei der Logistik. Dafür sei die Sowjetarmee beim Abzug aber sehr kooperativ gewesen: Gemeinsam mit den deutschen Behörden wurde ein Abzugsbeirat organisiert. „Dort legte man fest, wo der Schrott hinkommen sollte und wo die Betonreste“, sagt der Zeithainer. Schließlich sollte der Platz „grob aufgeräumt“ übergeben werden. Im Oktober 1992 rückte die sogenannte Besenkompanie an, dann verschwanden die letzten Sowjetsoldaten.

Ein zwölf Meter langes Bajonett

Viele ihrer Spuren sind seitdem ausgelöscht worden – etwa die sogenannte Leningrader Siedlung neben dem heutigen Bundeswehr-Lager, die aus per Zug aus der SU antransportierten Wohnblocks errichtet worden war. Auch zahlreiche historische Gebäude, die aus dem Königreich oder aus der Nazi-Zeit stammten, wurden mit Fördergeld abgerissen.

Um die obligatorische Sowjet-Kunst allerdings kümmerten sich Deutsche. So wurde der lebensgroße Lenin zwar vor dem Sowjet-Kindergarten vom Sockel geholt, aber in der Gohrischheide auf einem neuen Sockel wieder aufgestellt. Genauso ging es einem wuchtigen Betonkopf vom Format eines Kühlschranks, der ein Frauengesicht zeigt. „Das ist ‚Mütterchen Russland‘, die stand vor dem Stabsgebäude des Garde-Panzerregiments Kotowski“, sagt Rüdiger Schwark.

Das Gebäude ist genauso verschwunden wie der obligatorische T-34-Panzer, der am Kaserneneingang auf einem Sockel thronte. Eine zwölf Meter hohe Skulptur, die das Bajonett eines sowjetischen Gewehrs darstellt, wurde allerdings zu Lenin und Mütterchen Russland umgesetzt. Beide rahmen jetzt eine Mauer ein, die kyrillisch mit „Stationen des Kampfs“ überschrieben ist und den Weg eines Regiments der Roten Armee von Moskau bis zum Reichstag zeigt – über Kursk, Bobrusk, Minsk, Brest, Radom, Lodz, Altdamm.

Die Farbe bröckelt ab, obwohl die Mauer einst von ABM-Kräften renoviert worden war. Mit einer weiteren Gedenkwand – die zwei Rotarmisten und die Aufschrift „Wir dienen der Sowjetunion“ zeigt – ergibt das Ensemble fast einen Skulpturenpark, wie ihn ein westdeutscher Unternehmer auch mit dem Dresdner Lenin schaffen wollte.

Das versteckt liegende Areal ist heute kaum bekannt – aber der letzte Kommandeur des sowjetischen Regiments hat sich gefreut, als er vor wenigen Jahren auf Einladung von Rüdiger Schwark seine einstige Wirkungsstätte besichtigte. Heute gehören die Figuren der Gesellschaft EVGZ, die das Militärareal vermarkten will. Ein großer Teil wird mittlerweile von einem Solarfeld eingenommen. Sonst entwickelt sich die Nachfrage eher zäh. „Aber die Skulpturen bleiben stehen“, sagt Zeithains Bürgermeister Ralf Hänsel (parteilos).