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Der Tag nach der Bombe

Das Aufräumen in der Messe ging schnell, auch dabei halfen viele Ehrenamtliche. Doch ein Firmenchef hat Fragen.

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© Sven Ellger

Von Sandro Rahrisch, Kay Haufe und Alexander Schneider

Die Wucht der Detonation hat Spuren hinterlassen. Werkstattfenster sind geborsten, die Fassade ist verrußt und in der Ziegelwand klafft ein etwa 20 Zentimeter großes Loch. Auch die Hitze muss enorm gewesen sein, vermutet Jan Weidensdorfer. Er zeigt auf das, was von seiner Reklame an der Dachkante übrig ist. Die Plastik ist geschmolzen und an der Fassade heruntergetropft. Am Tag nach dem Ende des Bomben-Martyriums hat der Geschäftsführer des Umzugsunternehmens Bartsch und Weickert einen Bausachverständigen bestellt. Dieser soll klären, wie groß die Schäden an dem Flachbau an der Ecke Löbtauer Straße/Wernerstraße sind. Nur Zentimeter davor war in der Nacht zum Donnerstag ein Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg explodiert. Auch am Freitag riecht es dort unheimlich stark nach Ruß.

Der Graben, in dem noch immer das Löschwasser steht, die Kraterlandschaft aus verkohltem Altpapier, das die Wucht der Detonation dämpfen sollte: Die Straßenecke, an der am Freitagmorgen wieder Autos und Radfahrer vorbeifahren dürfen, ist zu einem beliebten Fotomotiv geworden. Immer wieder bleiben Passanten vor der Absperrung stehen, holen ihr Handy aus der Tasche und machen Bilder.

Weidensdorfer ist sich relativ sicher: Sein Gebäude diente als Schutzwall bei der Explosion, während zur Straße hin eine Mauer aus Betonblöcken hochgezogen wurde. „Das hat mich sehr gewundert“, sagt er. „Warum ist meine Fassade nicht mit Steinen abgedeckt worden? Platz wäre gewesen, glaube ich.“ Größer als der materielle Schaden sei aber der finanzielle. Mehrere Umzüge mussten abgesagt werden. „Die holen wir jetzt nach.“ Die meisten Kunden hätten Verständnis gezeigt. Es könne niemand etwas für die zweitägige Zwangspause. Unsensibler war dagegen ein Besucher am Freitagmorgen. Ein Vertreter wollte Weidensdorfer eine Versicherung verkaufen – für die nächste Bombe. Der Geschäftsführer hat ihn weggeschickt. Dennoch: Weidensdorfer schätzt, er hatte Glück im Unglück. Denn von den eingelagerten Möbeln seiner Kunden scheint nichts beschädigt worden zu sein.

Am Montag soll auf der Baustelle weitergearbeitet werden, sagt Reinhard Koettnitz, der Leiter des Straßen- und Tiefbauamtes. Die verlorenen Tage müssten aufgeholt werden, damit die Umleitungsstrecke für den Ausbau der Kesselsdorfer Straße rechtzeitig fertig wird. „Dass eine Bombe nur 40 Zentimeter tief liegt, damit hätten wir nicht gerechnet“, sagt Koettnitz. Doch ein Einsatz im Vorfeld von Metalldetektoren helfe nicht, da auch Leitungen und Kabel aus diesem Material bestünden. „In Dresden müssen wir auch künftig damit rechnen, Bomben zu finden.“

In der Messe war die Erleichterung am Donnerstag riesengroß, als die Nachricht kam, dass alle Betroffenen aus der Notunterkunft zurück in ihre Wohnungen können. Bis Mitternacht waren auch die Senioren, die teilweise liegend transportiert werden mussten, alle in ihren Heimen. Sofort fing in den beiden Messehallen eine große Putzaktion an, die bis Mitternacht lief und am Freitagmorgen gegen 6 Uhr weiterging. Die Rettungskräfte hatten schon am Donnerstagabend alle Feldbetten ausgeräumt. Am Vormittag sammelten die Techniker der Messe noch die letzten Stühle aus den Hallen ein. „Es sieht aus, als wäre hier nie etwas gewesen“, sagt Messe-Pressesprecherin Antje Andrich. Besonders gut angekommen ist, dass die Freiwilligen Feuerwehren aus Bühlau und Schönfeld beim Aufräumen geholfen haben. Insgesamt mussten zehn Kubikmeter Müll von der Stadtreinigung entsorgt werden. Die nächste Veranstaltung in den Hallen findet erst Mitte August statt, so dass Wartungsarbeiten nicht beeinträchtigt sind. „Der Zeitpunkt für die Notunterkunft war günstig, weil unsere Messesaison von September bis Ende Mai geht“, so Andrich.

Mehr als 1 200 Evakuierte haben die erste Nacht in der Messe verbracht – allein das war eine Riesenherausforderung für die Feuerwehr, Rotes Kreuz (DRK), Maltester Hilfsdienst und Johanniter Unfallhilfe. Die hohe Anzahl, mehr als das Vierfache als bei früheren Evakuierungen, und die lange Dauer waren eine besondere Herausforderung, so DRK-Einsatzleiter Sebastian Wagner. Allein vom DRK waren 100 Dresdner Ehrenamtliche und weitere 200 aus Sachsen im Einsatz – im Schichtdienst. „Die Zusammenarbeit der Hilfsdienste hat sich toll entwickelt“, sagt Wagner. Hinzu kommt die Hilfsbereitschaft vieler Dresdner. Sie haben Menschen in der Messe betreut, Rollstuhlfahrer ausgeführt, Gespräche geführt. Auch das ist eine der guten Erfahrungen dieses Ausnahmezustands. Erst Freitagnachmittag waren alle 189 bettlägerigen Patienten, die in sieben Kliniken und zwei Altenheimen untergebracht waren, wieder zurück in ihren Pflegeeinrichtungen.