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Der überraschende König

Wie der Dresdner Marc Schulze bei seinem Rennsteiglauf-Debüt zum Supermarathon-Sieg stürmt.

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Von Michaela Widder, Schmiedefeld

Mit Marc Schulze hat auf dem Rennsteig niemand gerechnet. Jedenfalls nicht so früh. Als der Dresdner mit über zehn Minuten Vorsprung als Erster die Verpflegungsstellen bei Kilometer 36 und 40 passiert, sind noch keine Getränke in die Becher gefüllt. Die Helfer sind etwas überrascht, als er plötzlich vorbeirennt. „Ich wollte keine Zeit verlieren“, erzählt Schulze später. „Mental macht das schon ein bisschen fertig, wenn du weißt, du hast zwei Getränkestationen ausgelassen. Aber das soll keine Ausrede sein.“

Der Rennsteiglauf ist längst Kult. Die Rituale auch, wie das Massenschunkeln zum Schneewalzer kurz vor dem Start zum Marathon in Neuhaus am Rennweg. In Schmiedefeld ist dann Massenparty, trotz aller Schinderei beim Lauf über Berg und Tal.
Der Rennsteiglauf ist längst Kult. Die Rituale auch, wie das Massenschunkeln zum Schneewalzer kurz vor dem Start zum Marathon in Neuhaus am Rennweg. In Schmiedefeld ist dann Massenparty, trotz aller Schinderei beim Lauf über Berg und Tal. © dpa

Es ist sein erster Rennsteiglauf, überhaupt die erste Ultradistanz, die Dresdens schnellster Marathonläufer bewältigen will – 72,7 Kilometer. „Ich hatte schon den Rekord im Blick, zumindest eine Zeit unter fünf Stunden“, sagt Schulze. Der Thüringer Christian Seiler hält die Bestzeit über den langen Kanten in utopischen 4:50 Stunden.

Schulzes Start beim größten Crosslauf Europas war seit Dezember geplant, aber nicht groß angekündigt. Der Traum vom Sieg auf dem Rennsteig lebt sogar schon viel länger. „Über meinen Vater und seine Freunde habe ich schon die Tradition Rennsteiglauf mitbekommen“, erzählt er. Als Ralph Schulze 2004 seinen letzten Supermarathon lief, stand der Junior an der Strecke und nahm sich vor: „Den läufst du mal, wenn du gut drauf bist. Mal schauen, ob der wirklich so hart ist, wie alle sagen.“

Neue Motivation mit neuer Strategie

Marc Schulze läuft erst seit zwei Jahren Marathon – und die Premiere 2014 in Berlin in starken 2:21 Stunden. Die vielversprechende Zeit kann er aber bei den nächsten großen Straßenläufen nicht unterbieten, zermürbend ist das Gefühl. „Ich wollte dann in Boston, Frankfurt und noch mal Berlin einen draufsetzen. Das ist mir nicht gelungen. Wenn man immer wieder angreift, ist das enttäuschend.“ Er spricht vom „Motivationsloch“, ändert daraufhin seine Läuferstrategie. „Jetzt wollte ich mich mit Volksläufen wieder mental aufbauen.“ Das gelingt dem 31-Jährigen im April mit einem Sieg beim Oberelbe-Marathon, „und aus dem guten Grundlagentraining“ will er den Rennsteig bezwingen.

Beim Blick auf die Startliste für die 44. Auflage ist Schulze zuversichtlich, dass er um den Sieg läuft. „Und wenn man den Rennsteiglauf gewinnt, ist man nicht irgendwer.“ Obwohl er ausgerechnet auf der anspruchsvollen Strecke, die über den 916 Meter hohen Inselsberg führt, seine erste Ultradistanz bestreiten wird, bleibt er gelassen. „Wenn ich 40 Kilometer im Training laufe, dann sage ich mir: 30 mehr – das muss auch irgendwie gehen.“

Samstagmorgen, 6 Uhr, starten in Eisenach mehr als 2 200 Läufer auf der superlangen Strecke. Es soll der Tag der Rekorde werden: noch nie in 44 Jahren hat es insgesamt 18 000 Anmeldungen gegeben und noch nie 16 412 Finisher im Ziel. Dabei wollen die Macher vom Rennsteig eigentlich nicht mit immer neuen Rekorden glänzen, sondern werben lieber mit der Einzigartigkeit ihres Landschaftslaufes.

Bis gut zur Hälfte genießt auch Marc Schulze den Höhenweg, „ab Kilometer 50 war es nicht mehr schön“. Sein schnelles Anfangstempo mit einem Kilometerschnitt von knapp unter vier Minuten kann er nicht halten. Die Berge, die ein Läufer aus Dresden nun einmal nicht kennt, machen ihn „platt“ auf der Königsstrecke. „Ich habe dann gehofft, dass es am Ende noch für den Sieg reicht.“ Die Konkurrenz verkürzt zwar den Rückstand, aber Schulze rettet die Führung mit knapp fünf Minuten Vorsprung bis ins Ziel – bei 5 Stunden, 17 Minuten und 38 Sekunden bleibt die Uhr stehen.

„Supermarathon ist noch mal ein ganz anderes Level als Marathon“, findet der Familienvater. „Man teilt sich das Rennen ganz anders ein, muss viel länger locker bleiben. Das bedarf einer hohen Disziplin und eines guten Trainings.“ Einmal am Tag ein bis zwei Stunden „qualitativ gut trainieren“ lautet die Läuferphilosophie des Software-Ingenieurs. Viel mehr Zeit investiert so mancher Profisportler nicht, der weder einem Job nachgeht noch ein Familienleben hat.

Sein Plan geht auf, selbst wenn die Zeit von unter fünf Stunden bei seinem Debüt noch unerreichbar ist. Doch Rennsteigläufer sind bekannt als Wiederholungstäter, 1 000 Läufer mit mehr als 25 Teilnahmen waren am Start. Der Traditionscross zieht an wie ein Magnet. „Wer noch nicht gestartet ist, will es unbedingt tun. Und wer einmal dabei war, kommt oft wieder“, sagt Rennsteiglauf-Präsident Jürgen Lange. Auch 2 500 Sachsen sind wieder ins Nachbarbundesland gereist.

Die Masse schwärmt von der Stimmung. Beim Rennsteiglauf kommt es schon mal vor, dass sich fremde Läufer unterwegs mehr erzählen als ihren Frauen zu Hause. Der berühmte Haferschleim oder das Schwarzbier kurz vorm Ziel wird von vielen lieber zu sich genommen als klebrige Energiegels. Auf Bier und Plauderei verzichtet Marc Schulze unterwegs natürlich, die Atmosphäre genießt er auf seine Art und Weise. „Cool, der Hubschrauber hat über mir gekreist. Bei großen Stadtläufen sind ja die schnellen Afrikaner im Mittelpunkt. Es ist mal schön, der Local Hero zu sein“, findet der neue König vom Rennsteig. „Das pusht mich unheimlich.“

Nun plant Marc Schulze sogar noch in diesem Jahr seine Marathonbestzeit erneut anzugehen. „Die 2:20 zu knacken ist das Ziel eines jeden ambitionierten Hobbyläufers. Vielleicht starte ich in Berlin oder Frankfurt.“ Und mit dem Angriff auf den Rekord beim Rennsteiglauf hat er schon wieder das erste Ziel für 2017.