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Der vergebliche Kampf um die Sophienkirche

Sie war das älteste Gotteshaus Dresdens und der letzte gotische Bau. Dennoch musste sie einer Gaststätte weichen.

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© Archiv

Von Ralf Hübner

Rote Pflastersteine markieren die Umrisse der einstigen Sophienkirche am Postplatz. Die frühere Busmannkapelle des Gotteshauses ist als Gedenkstätte neu entstanden, von Glas umhüllt. Vor 55 Jahren waren Anfang Mai 1963 die letzten Reste der im Krieg zerstörten Kirche gegen erheblichen Widerstand beseitigt worden.

Die Turmstümpfe der Ruine der Sophienkirche beherrschten in den 1950er-Jahren den Postplatz. Anfang der 1960er-Jahre mussten sie weichen.
Die Turmstümpfe der Ruine der Sophienkirche beherrschten in den 1950er-Jahren den Postplatz. Anfang der 1960er-Jahre mussten sie weichen. © Gudrun Groß-Hensling

„Anfangs war klar, dass die Kirche wieder aufgebaut wird“, sagt der ehemalige Landeskonservator Gerhard Glaser. Tatsächlich erscheint sie 1951 auf einer Liste von denkmalgeschützten Ruinen weit vorn. Allerdings zeigt etwa die Landeskirche wenig Interesse. Die Wiederherstellung des Baus, der seit 1922 evangelische Bischofskirche gewesen war, hätte wohl die Aufbaumittel mehrerer Jahre verzehrt. So gab es für das Gebäude zunächst keine konkrete Nutzung. Auf einigen Wiederaufbauplänen ist sie vorgesehen, auf anderen wieder nicht. Es gab sogar Vorstellungen, dort ein Kino zu bauen. Und so sieht sich Landeskonservator Hans Nadler im Juni 1951 genötigt, in einem Brief Stadt und Landeskirchenamt auf die Baugeschichte und die kulturhistorische Bedeutung der Sophienkirche als der damals ältesten und einzigen erhalten gebliebenen gotischen Kirche Dresdens hinzuweisen.

Um 1265 waren Franziskanermönche nach Dresden gekommen, 1272 wird ihr Kloster erwähnt. Es hat eine schlichte, einschiffige Saalkirche ohne Turm, 43 Meter lang und 11 Meter breit. Im 14. Jahrhundert wird daraus eine zweischiffige Hallenkirche mit zwei gleichartigen Chorabschlüssen. Eine um 1400 an dem Südchor angefügte Kapelle, die von der angesehenen und wohlhabenden Familie Busmann gestiftet wurde und ihr als Begräbnisstätte dient, ist das architektonische Glanzstück. Die Konsolbüsten von Lorenz Busmann, einem ehemaligen Bürgermeister der Stadt, sowie seiner Frau in den Strebepfeilern sind die ersten überlieferten bildlichen Darstellungen Dresdner Bürger.

Als im Juli 1539 mit einem feierlichen Festgottesdienst in der Kreuzkirche die Reformation eingeführt wird, übereignet Herzog Heinrich der Fromme das Kloster der Stadt. Doch Nachfolger Herzog Moritz nutzt die Klosterkirche von 1542 an als Getreidespeicher und Zeughaus. Weil aber Begräbnisplätze in der Stadt knapp sind, will der Rat die „Kirche und ein Vorhöfchen“ wiederhaben. Auf Betreiben von Sophie, Witwe von Kurfürst Christian I., wird das Bauwerk 1599 instand gesetzt. 1602 weiht der Hofprediger Polycarp Leyser das ehemalige Gotteshaus der Franziskaner auf deren Namen Sankt Sophien.

Sophie ist es auch, die das Kirchenvermögen durch Stiftungen und Zuwendungen vermehrt und 1603 unter dem Altar eine Fürstengruft anlegen lässt, wo später Angehörige des Hauses Wettin ihre letzte Ruhestätte finden. Drei Jahre später bekommt die Kirche einen neuen Hauptaltar aus Marmor und Alabaster, ein von Giovanni Maria Nosseni entworfenes Kunstwerk. Es ist bis zur Zerstörung des Gebäudes desen Hauptschmuck. Die Kirche erhält 1720 die erste Silbermannorgel in Dresden mit einem Prospekt von George Bähr. An ihr spielte Johann Sebastian Bach. Sein Sohn Wilhelm Friedemann Bach versieht dort von 1733 bis 1747 das Amt des Organisten. Eine weitere Aufwertung erfährt die Kirche, als 1737 der protestantische Hofgottesdienst von der Schlosskapelle dorthin verlegt wird. Sie ist nun die Hauptkirche des lutherischen Sachsens.

Im gleichen Jahr entwirft Johann Christoph Knöffel einen Glockenturm und nimmt im Inneren Umbauten vor. 1834 wird innen wieder gebaut und von 1864 an verändert der Architekt Christian Friedrich Arnold, ein Schüler Gottfried Sempers, auch das Äußere der Kirche total. Der nackte Westgiebel wird mit einer Turmfront mit zwei mehr als 66 Meter hohen Türmen verkleidet und das ursprüngliche Gebäude wird fast vollständig umbaut. 1932 werden die witterungsanfälligen durchbrochenen, neogotischen Turmspitzen vereinfacht und mit kupfernen Helmen versehen.

Bei der Zerstörung der Stadt am 13. Februar 1945 brennt die Kirche aus, Ende Februar 1946 stürzen die beschädigten Gewölbe ein. Im August 1950 wird der Kupferhelm des Südturmes gesprengt, weil das Kupferblech für die Kreuzkirche benötigt wird, die Zinnsärge aus der Fürstengruft werden nach Freiberg überführt.

Es gibt Vorschläge, nur die ehemalige Franziskanerkirche wieder aufzubauen und die späteren Anbauten mit den Türmen wegzulassen und sie für Freiluftgottesdienste, Konzerte oder als Museum zu nutzen.

Doch als SED-Chef Walter Ulbricht bei einer Sitzung der Stadtparteileitung 1956 für den Abriss der Ruine plädiert, gerät der Kampf für deren Erhalt zum Politikum und wird als Kritik am Staat interpretiert. 1958 fasst die SED auf einem Parteitag den Beschluss, die sichtbarsten Kriegsspuren in den Städten der DDR bis 1962 zu beseitigen. Damit ist das Schicksal der Sophienkirche besiegelt. Denkmalschützer, Kirchenvertreter, namhafte Persönlichkeiten aus Kunst und Architektur versuchen vergeblich, den Abriss aufzuhalten. 1961 entfernt Walter Ulbricht die Sophienkirche eigenhändig aus dem Stadtmodell.

Das Finale beginnt 1962 mit einer städtischen Vorlage zum Abbruch. Eine Großgaststätte war geplant. Im Juli starten die Arbeiten. Mit einer Flugblattaktion wagen junge Architekten und Studenten Widerstand. „Wir haben diese zunächst bei führenden Leuten von Kultur und Politik in die Briefkästen gesteckt“, erinnert sich Glaser. „Den Rest haben wir vom Turm der Hofkirche geworfen.“ Die Folge war ein Verhör durch das Ministerium für Staatssicherheit.

Denkmalschützer bargen 23 Grabsteine, die Altäre und Schlusssteine. Im Dezember 1962 folgte der Abriss der Türme und der Abbruch der Seitenwände mit Ausnahme eines Teils der Nordwand, der am 1. Mai 1963 abgetragen wurde. Anschließend wurde die Fläche begrünt und ein Parkplatz angelegt. Die Gedenkstätte, die an die Kirche erinnert, soll 2019 fertig werden.