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Der verräterische Römerlatsch

Das Polizeimuseum Dresden sammelt Beweisstücke sächsischer Krimigeschichte. Zum Beispiel eine alte Sandale mit Reißzwecke in der Sohle. Sie führte die Kripo 1991 auf die Spur eines Brandstifters.

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Von Thomas Schade (Text) und Ronald Bonß (Foto)

Ein paar Schuhabdrücke aus Gips, eine Socke und ein Römerlatsch – das Arrangement erinnert fast an ein Bühnenbild, es ist nur viel kleiner. Fast kunstvoll sind die Utensilien auf zwei Brettchen drapiert. Rechts und links kleben topografische Karten. Millimeterskalen helfen dem Betrachter, die Größe der Dinge abzuschätzen.

Polizeioberkommissar Wolfgang Schütze leitet die historische Sammlung in Dresden, er gilt als profunder Kenner sächsischer Polizeigeschichte.
Polizeioberkommissar Wolfgang Schütze leitet die historische Sammlung in Dresden, er gilt als profunder Kenner sächsischer Polizeigeschichte.

Es waren aber keine Theaterleute, die das Ensemble zusammengestellt haben, sondern Kriminalisten. „Es sind die Beweismittel, die mal einen Brandstifter überführt haben“, sagt Wolfgang Schütze, der Leiter der polizeihistorischen Sammlung. Seinen alltäglichen Dienst versieht der Polizeioberkommissar im Bereich Prävention der Dresdner Polizeidirektion. Mittlerweile gilt er als profunder Kenner der sächsischen Polizeigeschichte und setzt eine Arbeit fort, die Dresdner Kriminalbeamte vor mehr als einhundert Jahren begannen: das Sammeln von Uniformen, Ausrüstungsgegenständen, Beweismitteln und Tatwaffen. Das wissen inzwischen viele Kollegen.

So tauchte eines Tages auch der Kriminalist Christian Krebs bei Schütze auf und übergab der Sammlung das etwas eigenwillige Gebilde. Er hatte es vor mehr als 20 Jahren für einen Gerichtsprozess angefertigt, „damit sich Richter und Schöffen ein Bild machen konnten, wie wir dem Brandstifter auf die Spur gekommen waren“.

Die Geschichte dieser trassologischen Beweisstücke, wie Kriminalisten solche Spuren nennen, führt zurück in die frühen 1990er-Jahre. Damals vermeldete die Sächsische Zeitung mehrere Brände in Ostsachsen. Sie konzentrierten sich um den Ort Nostitz bei Weißenberg. Ein großes Rittergut hatte das Dorf jahrhundertelang geprägt. 1987 feierte die Freiwillige Feuerwehr des Ortes ihr hundertjähriges Bestehen. Vier Jahre später bekamen die Kameraden eine Menge zu tun.

So brannte in der Nacht zum 25. März 1991 eine Scheune mit eingelagertem Baumaterial. „Aus bisher unbekannter Ursache“, so hieß es in der Meldung, sei sie kurz nach Mitternacht in Brand geraten. Ein angrenzendes Wohnhaus wurde glücklicherweise nur leicht beschädigt. Die Polizei bezifferte den Sachschaden auf 40.000 D-Mark. Mehr als doppelt so hoch war der Schaden, den ein Feuer knapp zwei Wochen später, in der Nacht zum 7. April , anrichtete.  Diesmal stand kurz nach 1 Uhr eine mit Holz und Stroh gefüllte Scheune in Flammen. Das angrenzende Wohnhaus wurde in diesem Fall heftiger vom Feuer erfasst. Aber wie durch ein Wunder kam kein Hausbewohner zu Schaden.

Am 26. Mai dann konnten Kameraden der Feuerwehr recht schnell einen Schuppen löschen, der wiederum in Nostitz neben einer Scheune in Brand geraten war. Zum Teil sind die Brandorte noch zu sehen. Zu ihnen gehört auch ein Nebengebäude des Rittergutes, es ist Teil des historischen Gutsensembles. Heute ist es verlassen und verfallen. An anderen Brandorten wurden die Schäden dagegen schnell beseitigt.

Zum damaligen Zeitpunkt ermittelte die Kripo bereits seit etwa fünf Monaten, die unheimlichen Brände in dem fast 800-jährigen Dorf hatten bereits am 29. Januar begonnen. In jener Nacht war das Wohnhaus eines Bauernhofes aus ebenfalls ungeklärter Ursache völlig niedergebrannt. „Es gab damals eine ganze Brandserie im Ort und in der Umgebung“, erinnert sich Christian Krebs. Der Dresdner Kriminalist war in jener Zeit in der Branduntersuchungskommission der Polizei tätig. Die Ermittlungen zu den Brandursachen führten schnell zur Erkenntnis, dass ein Brandstifter am Werk war. Aber er hinterließ keine verwertbaren Spuren, und er kannte sich offenbar in der Gegend sehr gut aus.

Die Ermittler beschlossen, sich zu zweit abwechselnd nachts auf die Lauer zu legen, um den Feuerteufel auf frischer Tat zu stellen. Manfred Müller, langjähriger Chef der Dresdner Mordkommission und davor ebenfalls Brandermittler, war einer der Beamten, die bei den Observationen dabei waren. „Tagelang passierte nichts“, erinnert er sich. Aber man habe auch nicht jede Nacht in Nostitz verbringen können. „Wir wählten die Wochentage, an denen der unbekannte Täter am häufigsten aktiv gewesen war.“ Sie beobachteten eine Scheune, die in sein Handlungsmuster passte.

Eines Abends bezogen die Polizisten Posten am Rande eines Maisfeldes und warteten. Plötzlich tauchte aus der Dunkelheit ein Mann vor ihnen auf – mit einer Thermoskanne Kaffee in der Hand. Manfred Müller erinnert sich bis heute, dass der Mann sinngemäß sagte: „Ihr wartet hier draußen in der Kälte auf den Brandstifter, da habt ihr wenigstens einen heißen Kaffee verdient.“ Er wisse als Feuerwehrmann selbst, was es heißt, bei Wind und Wetter im Einsatz zu sein.

Die Männer von der Kripo waren wie vor den Kopf geschlagen. „Wir hatten lediglich den Chef der Freiwilligen Feuerwehr von der Observation informiert“, erinnert sich Manfred Müller, „und dann kam da einer der Kameraden einfach so daher, wusste, wo wir lagen und brachte Kaffee.“ Der pensionierte Kriminalhauptkommissar kommentiert den Einsatz heute mit Schmunzeln: „Gebrannt hatte es in dieser Nacht nicht, und dank des Kaffees hatten wir einen warmen Bauch.“

In einer der Nächte zuvor hatte es allerdings im Nachbarort Lautitz gebrannt, als die Polizei nicht auf der Lauer lag. Wieder war in einer Scheune Feuer ausgebrochen, und es sah nach Brandstiftung aus. Am Morgen danach, so erinnert sich Christian Krebs, waren Kriminaltechniker aus Löbau vor Ort. Ein Fährtenhund wurde nach Lautitz beordert. Man hatte am Brandort verschiedene Fußspuren gefunden. Der Hund verfolgte die Spur, lief einen Feldweg entlang, über einen Acker, bis er die Spur in einem Maisfeld verlor. Aus dem zurückgelegten Weg schlossen die Ermittler, dass der Verursacher der Spuren vom Brandort in Richtung Nostitz gelaufen war. Die Fußspuren waren recht klein und vermittelten den Eindruck, dass ihm während des Laufens ein Schuh abhandengekommen war. Hatte er im Schlamm einen Schuh verloren und war im Strumpf weitergelaufen?

Kriminaltechniker gipsten besonders gut sichtbare Fußspuren aus und legten die Abdrücke dem Sachverständigen Hellfried Stiefenhofer vor. Der Experte für Schuhabdruck- und Reifenspuren ist mittlerweile pensioniert und kann sich an Details des Falles nicht mehr erinnern. Damals säuberte er mit Wasser die Gipsabdrücke vom anhaftenden Ackerboden und stellte fest, dass die Sohle kaum Profil hatte. Auf dem flachen Absatz des rechten Schuhabdruckes entdeckte er einen kleinen kreisförmigen Eindruck im Gips. Er hatte kaum einen Zentimeter Durchmesser und passte nicht zum Profil der Sohle.

„Wir rätselten zunächst, was es damit auf sich haben könnte, bis der Experte eine plausible Erklärung fand“, sagt Christian Krebs. Das flache Profil der Sohle war typisch für einen Sommerschuh. Vergleiche ergaben, dass es wahrscheinlich eine sogenannte Römersandale war, die dem Fuß wenig Halt gibt. Der Verdächtige könnte sie auf dem schlammigen Acker verloren oder ausgezogen haben, weil er es eilig hatte. „Den runden Kreis definierte der Experte als Kopf einer Reißzwecke, in die der Sandalenträger getreten war“, erinnert sich Christian Krebs. Eine kleine Reißzwecke in einer Schuhsohle wurde so zur wichtigsten Spur bei der Suche nach einem Serienbrandstifter.

Zu dieser Zeit hatten die Brandermittler einen Mann im Visier: Er war Mitte 20, lebte mit einer jungen Frau zusammen, arbeitete in der Landwirtschaft – und war bei der Freiwilligen Feuerwehr. Den Ermittlern war er durch seinen Eifer bei der Alarmierung und beim Löschen aufgefallen. Einige Tage später standen die Kripo-Beamten mit einem Durchsuchungsbeschluss vor seiner Tür in Nostitz. „Bereits im Korridor mussten die Kollegen an einem Berg von Schuhen vorbei“, erzählt Christian Krebs. Darunter fand sich auch ein Paar Römersandalen. Es seien die Sandalen seiner Frau, behauptete der Hausherr. Doch im Absatz der rechten Sandale steckte eine Reißzwecke.

Nach dem überraschenden Fund nahmen Polizisten den Feuerwehrmann fest. Auch eine mit Erde verschmutzte Socke, die sie gefunden hatten, wurde ins Kriminallabor geschickt. Es waren die Beweisstücke, die heute in der polizeihistorischen Sammlung liegen. Die Untersuchungen bewiesen, dass der Mann in den Sandalen seiner Frau am Ort des Feuers in Lautitz war. Er gestand die Brandstiftung. Nach seiner Festnahme hatte die Nostitzer Feuerwehr weniger zu tun, musste fortan aber auf einen Kameraden verzichten.

Von den Kriminalisten weiß heute keiner mehr, welche Strafe den Mann danach ereilte. Nur eines haben sie nicht vergessen. Der Brandstifter war jener mitfühlende Feuerwehrkamerad, der den Kaffee gebracht hatte, als sie nachts auf Lauer lagen.

Lesen Sie in der nächsten Folge über den Kannibalen von Chemnitz.

Die polizeihistorische Sammlung im Polizeipräsidium in der Dresdner Schießgasse ist nur nach Voranmeldung zu besichtigen. Telefon: 0351/4833447. [email protected]