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Der Web-Dealer, der am Porto sparte

Ein 20-jähriger Leipziger baut ein professionelles Internet-Kaufhaus für Drogen auf. Doch dann macht er einen Fehler.

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© dpa

Von Sven Heitkamp, Leipzig

Drogenkunden, die diese Woche auf der Webseite www.shiny-flakes.to neuen Stoff ordern wollten, mussten eine neue Bekanntschaft machen: Auf der Webseite, registriert im Insel-Königreich Tonga im Südpazifik, ist nun die Stellenanzeige der sächsischen Polizei zu sehen: „Verdächtig gute Jobs!“ In monatelanger Kleinarbeit haben die Ermittler einen 20-jährigen Leipziger auffliegen lassen, der als einer der frechsten Dealer in die Kriminalgeschichte eingehen dürfte: Er betrieb offenbar von seinem Zimmer in der Wohnung der Mutter aus seinen Online-Versandhandel à la Amazon und verschickte über das Internet und DHL-Packstationen im großen Stil Drogen aller Art.

Besonders dreist: Die Plattform war nicht nur in versteckten, anonymen Netzwerken erreichbar, sondern auch offen im Internet. Polizeipräsident Bernd Merbitz sprach angesichts des kriminellen Kaufhauses von einem „sensationellen Schlag“ gegen die Drogenszene. Allein bei der Festnahme Ende Februar stellten Staatsanwaltschaft und Polizei 138 Kilogramm Ecstasy-Pillen, 44 000 LSD-Trips, 4,4 Kilo Kokain, 37,7 Kilo helle Amphetamin-Paste, 52 Kilo der Partydroge MDMA und fast 90 Kilo Haschisch in dicken brauen Paletten sicher. „Weil er ein ordentlicher Mensch ist, war alles gut in Regalen gelagert“, erzählte der leitende Kriminaldirektor Petric Kleine.

Gestern präsentierten die Ermittler die illegalen Waren auf einem mehrere Meter langen Tisch im Polizeipräsidium: Pralle Pillen-Tüten in Pink, Grün, Orange, Gelb und Rot, tütenweise Marihuana, bündelweise Tabletten, stapelweise Schachteln mit weißer Paste, LSD. Außer Heroin sei fast alles zu haben gewesen, sagte Oberstaatsanwalt Ricardo Schulz. Die Lieferanten saßen vor allem in den Niederlanden und in Berlin. Ein Kurierfahrer, ein 51 Jahre alter Bulgare, wurde bei der Übergabe allerdings ebenfalls verhaftet und sitzt jetzt in Dresden in Untersuchungshaft. Zudem gab es gestern in mehreren Bundesländern 38 Hausdurchsuchungen, vier weitere Personen wurden verhaftet.

Schon in den Wochen vor der Festnahme des Dealers hatte die Staatsanwaltschaft Päckchen mit 40 Kilo Pillen abgefangen. Gesamtumfang aller Waren: 360 Kilogramm, Marktwert: 4,1 Millionen Euro. Es ist damit einer der größten Drogenfunde in Deutschland. Ermittler fanden zudem in der Wohnung 48 000 Euro Bargeld und entdeckten „Bitcoins“ im Wert von 325 000 Euro, mit denen die Ware bezahlt wurde.

Lieferungen bis nach Indonesien

Das Portal www.shiny-flakes.to – übersetzt etwa: Glänzende Flocken – habe Tausende Kunden nicht nur in Deutschland und Europa, sondern weltweit gehabt, unter anderem in Indonesien. Staatsanwalt Schulz sprach von einer „neuen Form der Kriminalität“. Allein zwischen Oktober und Februar habe der Web-Dealer einen Umsatz von einer Million Euro gemacht. Seine Gewinnmargen lagen zwischen 50 und 300 Prozent.

Angesichts der Dimensionen ist fraglich, ob der junge Mann tatsächlich allein gehandelt hat – oder ob er nur der Strohmann eines größeren Rings war. „Wir können nur sagen: Er war der Betreiber der Internetseite“, betonte Chefermittler Kleine. Mehr wolle er aus taktischen Gründen nicht sagen. Fest steht: Der junge Mann hat einen Realschulabschluss und meldete ein Gewerbe für Software-Programmierung und Systemadministration an. Ende 2013 sei er erstmals im versteckten Internet („Darknet“) aufgefallen, ab Anfang 2014 auch im offenen Netz. Er sei sehr professionell vorgegangen, samt Warenwirtschaftssystem und Sendungsverfolgung, habe äußerst konspirativ gearbeitet und ausländische Server genutzt. „Verschleierung war ein wichtiger Teil seiner Arbeit“, so Kleine.

Doch einmal mehr scheint sich auch hier die alte „Tatort“-Weisheit zu bewahrheiten, dass jeder Kriminelle irgendwann einen Fehler macht. In diesem Fall verschickte der kleine Drogenbaron Sendungen mit Ecstasy und Amphetaminen, die nicht ausreichend frankiert waren und damit im Frühjahr 2014 erstmals auffielen. Als die Post weder Adressat noch Absender richtig zuordnen konnte und Hinweise auf Drogen entdeckte, schaltete sie die Polizei ein. Beamte observierten wochenlang mehrere Packstationen, bis ihnen der junge Mann als häufiger Nutzer auffiel.

Verfahren gegen Drogenkäufer

Nun droht dem 20-Jährigen wegen unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eine Strafe von bis zu 15 Jahren Haft. Er habe aber noch nicht mit den Ermittlern gesprochen. Seine Mutter indes soll von allem nichts gewusst haben, sagt sein Anwalt Stefan Costabel. Sie habe keinen Zutritt zu seinem Zimmer gehabt. Sorgen dürften sich nun auch viele Kunden machen. Schulz kündigte weitere Verfahren gegen Shiny-Flakes-Kunden an.