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Desaster im Trockendock

Stolz der Marine oder Geldmaschine für die Werft? Die Sanierung der „Gorch Fock“ hat sich zum Krimi entwickelt.

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Seit Ende 2015 war die „Gorch Fock“ nicht mehr unter Segeln zu sehen.
Seit Ende 2015 war die „Gorch Fock“ nicht mehr unter Segeln zu sehen. © dpa/Mohssen Assanimoghaddam

Von Carsten Hoffmann, Helmut Reuter und Friedemann Kohler

Behäbig blähen sich die grauweißen Schutzplanen im Wind. Möwen kreischen über dem Fischereihafen. Unter den langen Kunststoffbahnen verbirgt sich die „Gorch Fock“ – oder was von ihr übrig ist. Eingerüstet, abgeschirmt, in Bauteile zerlegt liegt das Segelschulschiff im Trockendock der Bredo-Werft in Bremerhaven. Schon drei Jahre lang. Wie eine leicht erhobene Ritterlanze ragt nur der Bugspriet aus der mit Wellblech gedeckten Reparatur-Garage hervor.

Hinten dran, über einen schmalen Steg mit dem Dock verbunden, schwimmt der „Knurrhahn“ im Wasser. So heißt das graue Marinewohnschiff „Y811“. Darauf lebt und arbeitet die Stammbesatzung des Dreimasters um Kommandant Nils Brandt. Und kann zusehen, wie der von Korrosion zerfressene Metallrumpf aufgearbeitet wird.

Ende 2015 war das Schiff zur Instandsetzung, die wenige Monate dauern sollte, in die Werft gekommen. Heute, Jahre später, erscheint die Reparatur als nicht enden wollende Odyssee – als Irrfahrt, bei der die Marine und Bundesministerin Ursula von der Leyen in schwere See geraten sind.

Immerhin: Die Sanierung des maroden Segelschulschiffs ist am Montag wieder aufgenommen worden. „Die Belegschaft ist sehr erleichtert“, sagte der Betriebsratsvorsitzende der Elsflether Werft, Ralf Templin, am Montag. Nun werde wieder mit aller Kraft daran gearbeitet, die Sanierung voranzutreiben. Bis dahin galt seit 12. Dezember ein Zahlungsstopp.

Die drei Jahre davor sind eine nahezu unendliche Geschichte von niedrigen Preisangeboten und explodierenden Kosten. Wobei das Ganze zunehmend zum Krimi mutierte, denn Ende 2018 kam ein Verdacht auf Korruption bei einem Prüfer der Marine hinzu. 2019 musste die Führung beim Generalunternehmer Elsflether Werft AG gehen. Es folgten ein Insolvenzantrag sowie schwere Vorwürfe gegen das frühere Werftmanagement wegen angeblicher finanzieller Machenschaften und möglicher Untreue.

Noch nicht geklärt ist, ob der Fall eher als Wirtschaftskrimi zu lesen ist, mit Managern als Drahtziehern in einem Firmengeflecht – mit Anteilen eines Familiendramas und Erbstreits. Oder vor allem als Beispiel von erheblichem Kontrollversagen der Marine bis in höchste Spitzen des Verteidigungsministeriums.

Sicher scheint schon jetzt, dass die Geschichte der „Gorch Fock“ zu einem Lehrstück geworden ist, wie öffentliche Aufträge aus dem Ruder laufen können. Wie langjährige Kontakte, ein Dschungel der Regelungen und fehlendes Risikomanagement bei der Marine zu einem unguten Mix werden, bei dem es für einen auf alle Fälle dick gekommen ist: für den Steuerzahler.

Die Marine hängt an dem Schiff. „Es geht um Charakterformung“, sagt Kapitän Nils Brandt.
Die Marine hängt an dem Schiff. „Es geht um Charakterformung“, sagt Kapitän Nils Brandt. © dpa/Carsten Rehder

Dabei geht es um ein Statussymbol. Die „Gorch Fock“ zierte einst die Rückseite des blauen Zehn-Mark-Scheins. Die Marine hängt an der über 60 Jahre alten Bark mit den prächtigen Rahsegeln. Bis rund 45 Meter hoch sind die Masten. Für Kadetten hieß eine Fahrt wenig Schlaf, Kälte und Nässe, Sturm und Wellengang, Wind und Wetter.

„Es geht um Charakterformung. Nur durch die Erfahrung und Arbeit am Selbstbild gewinnt der zukünftige Offizier seine Kompetenz und Glaubwürdigkeit als Führer, Ausbilder und Erzieher“, urteilt Kapitän Nils Brandt. Wie gesagt: Die Marine hängt an dem Schiff. Das muss man verstehen, wenn man über das Debakel spricht.

Und ein Statussymbol will gepflegt werden, auch wenn das einiges kostet. Das Schiff musste in den vergangenen beiden Jahrzehnten im Zwei-Jahres-Takt zur Kontrolle und Instandsetzung. Mal waren es 3 Millionen Euro, mal 7,9 Millionen, mal knapp 10 Millionen Euro. Dass Kostenpläne gesprengt wurden, hatte der Bundesrechnungshof schon früher kritisiert. Die aktuelle sogenannte Depot-Instandsetzung läuft seit 25. November 2015. Damals wurden 9,6 Millionen Euro veranschlagt.

Über zwei Jahre später, im März 2018, vereinbarten die Marine und die Elsflether Werft eine Obergrenze von 128 Millionen Euro, hinzu kamen 7 Millionen unter anderem für „Fremdleistung und Managerreserve“. Knapp 70 Millionen Euro davon sind bisher überwiesen worden, bevor Ende 2018 der Zahlungsstopp griff. In der Folge ruhten die Arbeiten im Trockendock und in beteiligten Werkstätten für Monate.

Wie konnte es so weit kommen? Warum sorgte die länger erkennbare Preisexplosion nicht schon früher dafür, dass Verantwortliche genauer hinsahen?

Hauptauftraggeber der Elsflether Werft ist  die Marine. 
Hauptauftraggeber der Elsflether Werft ist  die Marine.  © dpa/Mohssen Assanimoghaddam

Die 1958 auf der Hamburger Blohm & Voss-Werft gebaute „Gorch Fock“ kam zur Instandsetzung meistens zur Elsflether Werft. Die liegt im gleichnamigen niedersächsischen Ort an den Flüssen Hunte und Weser. 130 Beschäftigte. 100 Jahre Tradition. Hauptauftraggeber: die Marine. Auf sie entfallen rund 80 Prozent des Umsatzes.

Weil die Werft kein Trockendock hat, mietete sie für die „Gorch Fock“ eines bei der Bredo Dry Dock GmbH etwa 45 Kilometer weserabwärts auf der anderen Flussseite in Bremerhaven. Dort liegt die „GF“, so die Kurzbezeichnung, seit 5. Januar 2016 auf dem Trockenen.

Die Instandsetzungen wurden stets ausgeschrieben. Die Werft setzte sich zuletzt gegen vier Konkurrenten durch. 9,6 Millionen Euro sind für eine Schiffsreparatur kein ungewöhnlich hoher Posten. Auch frühere Wettbewerbe hatten die Elsflether gewonnen. Die Werft gab, so die Bundesregierung, „das wirtschaftlichste Angebot ab“. Mehrfach wurde es am Ende teurer. Hätte man also etwas ahnen können?

„Wir sind damals mit einem vergleichsweise sehr kleinen Betrag angetreten und hätten uns auch darüber schon gefreut. Das war das, mit dem wir damals die Ausschreibung gewonnen haben“, sagt Marcus Reinberg. Der Hamburger Anwalt war einer von zwei Werft-Vorständen. Bis zum 30. Januar 2019. An dem Tag wurden er und sein Vorstandskollege Klaus Wiechmann von den neu eingesetzten Notvorständen der Hamburger Sky-Stiftung abberufen. Die Stiftung ist die Eigentümerin der Werft. „Dass das jemals diese Dimensionen annimmt, konnte niemand ahnen, auch wir nicht“, beteuert er.

„Seit zwei Monaten werden wir nur verprügelt. Wir sind zum Spielball verschiedener Interessen geworden“, klagt Reinberg. Gegen beide Ex-Chefs ermittelt die Osnabrücker Staatsanwaltschaft wegen Untreue-Verdachts. Auf die direkte Frage, ob er sich persönlich bereichert habe, antwortet Reinberg ohne Zögern mit „Nein“.

Mit der Absetzung des Duos kam eine neue Führungsmannschaft. Die Hauptplayer: der neue Aufsichtsratschef Pieter Wasmuth, hauptamtlich Generalbevollmächtigter der Vattenfall GmbH für Hamburg und Norddeutschland, und Vorstandschef Axel Birk (53). Wasmuth kennt ihn als Manager aus der Windkraftbranche. Ein Projektteam „Gorch Fock“ durchforstete Bücher und Akten. Das Team kam zu dem Schluss, die alten Chefs hätten Geld in ein Firmengeflecht geleitet. „Die Herren wussten offenbar nicht mehr genau, was ist meins und was ist deins“, hieß es aus der Projektgruppe. Mehr als 20 Namen von Firmen umfasst die Übersicht, und mehr als 20 Millionen Euro sollen an diese geflossen sein.

Am 20. Februar ging Birk zum Amtsgericht. Dort stellte er den Antrag auf Insolvenz in Eigenverwaltung. Die Elsflether Werft war zahlungsunfähig. Allein die Forderungen des größten Unterauftragnehmers Bredo belaufen sich auf 3,9 Millionen Euro, wie aus dem Insolvenzantrag hervorgeht. Die Bredo-Werft berechnet für die Dock-Kosten 10 000 Euro – pro Tag. Zudem wurden zwischen Bredo und der Elsflether Werft etwa 50 000 Euro im Monat für Liegeplatz und Versorgung des Mannschaftsschiffes „Knurrhahn“ vereinbart.

Auch die Zulieferer leiden stark, sie kommen nur schleppend voran. Beispiel: die Janssen Elektromaschinen GmbH. Die Firma aus Emden soll die elektrische Installation liefern. Doch wie Kabel ziehen in einem Schiff, dessen Rumpf nicht fertig ist? „In den Rumpf kommen wir noch nicht hinein“, sagt Geschäftsführer Dieter Janssen. Die Schulden der Elsflether Werft bei ihm seien zwar nicht existenzgefährdend, aber: „Das ist äußerst schmerzhaft, eventuell so viel Geld verlieren zu müssen.“

50 bis 60 große und kleine Subunternehmer waren oder sind in den „Gorch Fock“-Auftrag involviert. Betroffen seien 500 Arbeitsplätze neben der Werft, schätzt die Gewerkschaft IG Metall.

Lange blieben diese Dinge unter der Decke, sie fügten sich nicht zu einer Geschichte. Doch ein Erbzwist und Machtkämpfe bei der Werft sorgten dafür, dass die Vorgänge in Elsfleth breiter hinterfragt wurden. So fiel auch ein neues Licht auf das Reparaturprojekt „Gorch Fock“ und auf womöglich mangelnde Kontrollen der Militärs. Werftbesitzerin Brigitte Rohden hatte 2009 die Sky-Stiftung gegründet und ihr den Schiffbaubetrieb übertragen. Bis heute hält die Stiftung sechs Prozent der Anteile direkt, 94 Prozent über eine Vermögensverwaltungsgesellschaft. Die Kostenexplosion ist zwar seit der Insolvenz der Werft ein großes Thema. In Gang gekommen ist sie aber schon sehr früh: Mehr und mehr Teile des Schiffes, die anfangs nicht vorgesehen waren, wurden erneuert. Seit Beginn der Instandsetzung bis 10. Dezember 2018 ergaben sich 124 Änderungen zum ursprünglichen Auftrag. „Faktisch handelt es sich in Folge dessen nicht mehr um einen Instandsetzungsauftrag, sondern eher um einen Neubau des Schiffes“, steht im Insolvenzantrag.

Ex-Vorstand Wiechmann (50), der vor allem für die technische Seite zuständig war, skizziert die Auftragsabläufe so: „Die Werft geht nicht zur Marine und sagt, das müsst ihr tun und das nicht. Wir haben das ausgeführt, was uns die Marine als Auftraggeber sagte und letztlich in Auftrag gab.“ Etwa alle 14 Tage habe es eine Statusbesprechung mit allen Vertretern gegeben – und anschließend Protokolle.

„Die Marine hat immer klar gesagt: Man will eine ,Gorch Fock‘. Man restauriert das Schiff. Das Geld war da nicht die Hauptfrage“, beschreibt Wiechmann seine Sicht der Dinge. 

Die Kostensteigerungen hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen - hier bei einem Besuch auf der "Gorch Fock" im Januar 2019 - selbst  abgezeichnet. 
Die Kostensteigerungen hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen - hier bei einem Besuch auf der "Gorch Fock" im Januar 2019 - selbst  abgezeichnet.  © dpa/Mohssen Assanimoghaddam

Die Kostensteigerungen hat Ministerin von der Leyen selbst in den Jahren 2017 und 2018 abgezeichnet. Dabei sei sie allerdings Fehlinformationen aus ihrem Haus aufgesessen, stellte der Bundesrechnungshof am 3. Januar in einem Prüfbericht fest. Der Bericht kann als harte Abrechnung mit Vorgängen im Hause der CDU-Politikerin gelesen werden.

Die Arbeiten seien begonnen worden, ohne den Zustand des Schiffes und die Wirtschaftlichkeit des Projektes ausreichend zu prüfen, heißt es in dem vertraulichen Dokument. Die letzte vollständige dokumentierte Untersuchung der „Gorch Fock“ gab es demnach vor etwa 40 Jahren. Die vielen regelmäßigen Reparaturen boten keine derartige Grundschau. „Beide Entscheidungen der Bundesministerin zur Fortsetzung der Instandsetzung basierten somit auf falschen oder nicht hinreichend aussagekräftigen Informationen“, urteilen die Prüfer. Zuletzt sei der Betrieb der „Gorch Fock“ womöglich sogar eine Gefahr für die Besatzung gewesen.

Aber schwimmen wird die „Gorch Fock“ auf jeden Fall wieder. Die neue Werftleitung arbeitet darauf hin, dass das Schiff bis Juli schwimmfähig sein soll. Allein dafür sind maximal elf Millionen Euro nötig. Ins Wasser muss die Bark auf jeden Fall – und sei es für die letzte Fahrt zum Abwracken. Doch ein solch ruhmloser Untergang gilt als unwahrscheinlich.

Die Besatzung hat indes das Segeltraining schon wieder aufgenommen. Eigentlich nutzt die Marine das rumänische Schwesterschiff „Mircea“ als Ersatz für die „Gorch Fock“. Doch aus Sicherheitsgründen dürfen die deutschen Kadetten auf dem Segelschulschiff nicht in die Takelage. Die Crew der „Gorch Fock“ übt nun auf der „Alexander von Humboldt II“, einem 65 Meter langen Dreimaster. Mit den typischen grünen Segeln ist die Bark ebenso wie ihr Vorgängerschiff bekannt – aus der Bierwerbung. Der Neubau – Motto: „Unser Stolz mit 24 Segeln“ – wurde vor einigen Jahren von einer Stiftung mit spitzer Feder gerechnet. Kostenpunkt: knapp 16 Millionen Euro. (dpa)