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Deutsche Fotografin erschossen

Anja Niedringhaus wurde nicht nur mit dem Pulitzer-Preis, sondern auch für „Mut im Journalismus“ ausgezeichnet. Nun sollte sie die Afghanistan-Wahl fotografieren - und wurde dabei getötet.

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© Markus Schreiber/AP/dpa

Can Merey

Kabul. Die deutsche Foto-Reporterin Anja Niedringhaus (48) hatte jahrelange Erfahrung in Afghanistan, im Irak und in anderen Kriegs- und Krisengebieten. Dasselbe gilt für ihre kanadische Text-Kollegin Kathy Gannon (60). Für die US-Nachrichtenagentur AP sollten beide über die Präsidentenwahl in Afghanistan am Samstag berichten. Niedringhaus wurde am Freitag erschossen - von einem afghanischen Polizisten. Gannon überlebte schwer verletzt.

Von Einschusslöchern durchsiebt: In diesem Auto waren die Journalistinnen unterwegs, als sie von einem Polizisten unter Feuer genommen wurden.
Von Einschusslöchern durchsiebt: In diesem Auto waren die Journalistinnen unterwegs, als sie von einem Polizisten unter Feuer genommen wurden. © Reuters

Bilder der Fotografin Anja Niedringhaus

Eine Frau bricht am 11. Juli 1993 an einer Wasserausgabestelle in Sarajevo in Tränen aus, als sie nach stundenlangem Warten erfährt, das es kein Trinkwasser gibt.
Eine Frau bricht am 11. Juli 1993 an einer Wasserausgabestelle in Sarajevo in Tränen aus, als sie nach stundenlangem Warten erfährt, das es kein Trinkwasser gibt.
Die bosnische Muslima Ziba Suba sucht im April 1995 in den Trümmern ihres bei einem serbischen Angriff zerstörten Wohnhauses in Sarajevo nach den letzten Habseligkeiten.
Die bosnische Muslima Ziba Suba sucht im April 1995 in den Trümmern ihres bei einem serbischen Angriff zerstörten Wohnhauses in Sarajevo nach den letzten Habseligkeiten.
Im Mai 1996 blicken zwei bosnische Flüchtlingsfrauen in einem Flüchtlingslager in Sarajevo aus dem Fenster.
Im Mai 1996 blicken zwei bosnische Flüchtlingsfrauen in einem Flüchtlingslager in Sarajevo aus dem Fenster.
Traurig sitzt ein Moslem auf den Trümmern einer zerstörten Moschee im ehemals von serbischen Rebellen besetzten Sarajevo-Vorort Ilijas, aufgenommen am 2.5.1996.
Traurig sitzt ein Moslem auf den Trümmern einer zerstörten Moschee im ehemals von serbischen Rebellen besetzten Sarajevo-Vorort Ilijas, aufgenommen am 2.5.1996.
Die deutsche 4x400 Meter-Staffel mit Anke Feller, Grit Breuer, Ute Rohländer und Silvia Rieger nach dem Sieg bei der Leichtathletik-Europameisterschaft in Budapest im August 1998.
Die deutsche 4x400 Meter-Staffel mit Anke Feller, Grit Breuer, Ute Rohländer und Silvia Rieger nach dem Sieg bei der Leichtathletik-Europameisterschaft in Budapest im August 1998.
Albanischstämmige Kinder aus dem Kosovo spielen Ende Oktober 1998 mit Spielzeuggewehren nach der Rückkehr in das Dorf Komorane. Zuvor hatten sich die Einwohner des Dorfes im nahe gelegenen Wald vor den jugoslawischen Soldaten versteckt.
Albanischstämmige Kinder aus dem Kosovo spielen Ende Oktober 1998 mit Spielzeuggewehren nach der Rückkehr in das Dorf Komorane. Zuvor hatten sich die Einwohner des Dorfes im nahe gelegenen Wald vor den jugoslawischen Soldaten versteckt.
Eine serbische Familie verlässt im Juni 1999  mit ihren Habseligkeiten Pristina.
Eine serbische Familie verlässt im Juni 1999 mit ihren Habseligkeiten Pristina.
Guerilla-Kämpfer der Kosovo-Befreiungsarmee stellen sich am Stadtrand von Pristina auf und warten auf den Abzug der serbischen Truppen.
Guerilla-Kämpfer der Kosovo-Befreiungsarmee stellen sich am Stadtrand von Pristina auf und warten auf den Abzug der serbischen Truppen.
Mitglieder der jugoslawischen Armee verlassen die zehn Kilometer nördlich von Pristina gelegene Ortschaft Luzane.
Mitglieder der jugoslawischen Armee verlassen die zehn Kilometer nördlich von Pristina gelegene Ortschaft Luzane.
Gut einem Monat nach dem schweren Erdbeben von Gölcük im August 1999, bei dem mehr als 17.000 Menschen ums Leben kamen, sitzen obdachlos gewordene Frauen vor provisorischen Zelten am Stadtrand von Izmit.
Gut einem Monat nach dem schweren Erdbeben von Gölcük im August 1999, bei dem mehr als 17.000 Menschen ums Leben kamen, sitzen obdachlos gewordene Frauen vor provisorischen Zelten am Stadtrand von Izmit.
Nach einem weiteren schweren Erdbeben im November 1999, das die Stadt Düzce im Nordwesten der Türkei quasi dem Erdboden gleich machte, wärmt sich eine junge Frau an einer Teekann auf.
Nach einem weiteren schweren Erdbeben im November 1999, das die Stadt Düzce im Nordwesten der Türkei quasi dem Erdboden gleich machte, wärmt sich eine junge Frau an einer Teekann auf.
Nach dem EM-Finale im Jahr 2000 tröstet der Franzose Thierry Henry (blaue Hose) in einem italienischen Trikot den unterlegenen Alessandro del Piero, während der Trainer Italiens, Dino Zoff, vorbeigeht.
Nach dem EM-Finale im Jahr 2000 tröstet der Franzose Thierry Henry (blaue Hose) in einem italienischen Trikot den unterlegenen Alessandro del Piero, während der Trainer Italiens, Dino Zoff, vorbeigeht.
Moment einer großen Niederlage: Nach dem im Elfmeterschießen verlorenen Champions-League-Finale im Mai 2001 nimmt der Torhüter des FC Valencia Santiago Canizares seine Silbermedaille ab.
Moment einer großen Niederlage: Nach dem im Elfmeterschießen verlorenen Champions-League-Finale im Mai 2001 nimmt der Torhüter des FC Valencia Santiago Canizares seine Silbermedaille ab.
Brennende Barrikaden beim G8-Gipfel in Genua im Juli 2001.
Brennende Barrikaden beim G8-Gipfel in Genua im Juli 2001.
Im November 2001 versuchten Kämpfer der sogenanntern Nordallianz mit Unterstützung der US-Luftwaffe das Gefängnis von Masar-e Scharif zu stürmen.
Im November 2001 versuchten Kämpfer der sogenanntern Nordallianz mit Unterstützung der US-Luftwaffe das Gefängnis von Masar-e Scharif zu stürmen.
Der US-Außenminister Colin Powell (rechts) im Januar 2002 bei einer Pressekonferenz mit dem damaligen afghanischen Interimspräsidenten Hamid Karzai (links) im Präsidentenpalast Kabuls.
Der US-Außenminister Colin Powell (rechts) im Januar 2002 bei einer Pressekonferenz mit dem damaligen afghanischen Interimspräsidenten Hamid Karzai (links) im Präsidentenpalast Kabuls.
Im Februar 2002 versuchten diese Afghanen in ein Kino in Kabul  zu gelangen, um einen russischen Film über die erste Liebe sehen zu können.
Im Februar 2002 versuchten diese Afghanen in ein Kino in Kabul zu gelangen, um einen russischen Film über die erste Liebe sehen zu können.
Nach dem verlorenen Endspiel des Uefa-Cups der Saison 2001/02 im Mai 2002 muss der damalige Trainer von Borussia Dortmund, Matthias Sammer, den Pokal links liegen lassen. Zuvor hatte Feyenoord Rotterdam im heimischen Stadion den BVB mit 3:2 bezwungen.
Nach dem verlorenen Endspiel des Uefa-Cups der Saison 2001/02 im Mai 2002 muss der damalige Trainer von Borussia Dortmund, Matthias Sammer, den Pokal links liegen lassen. Zuvor hatte Feyenoord Rotterdam im heimischen Stadion den BVB mit 3:2 bezwungen.
Eines der bekanntesten Fotos von Anja Niedringhaus: US-Präsident George W. Bush hält am 27. November 2003 auf dem Flughafen von Bagdad bei einem Thanksgiving-Essen mit etwa 600 Soldaten eine Platte mit einem Dekorations-Truthahn in Händen.
Eines der bekanntesten Fotos von Anja Niedringhaus: US-Präsident George W. Bush hält am 27. November 2003 auf dem Flughafen von Bagdad bei einem Thanksgiving-Essen mit etwa 600 Soldaten eine Platte mit einem Dekorations-Truthahn in Händen.
Dieses Bild vom Oktober 2011 zeigt Kathy Gannon, die Kollegin von Anja Niedringhaus, die bei dem Angriff auf das Auto der Journalistinnen schwer verletzt wurde.Hier zeigt die Kanadierin Schülerinnen in Kandahar ihr Telefon.
Dieses Bild vom Oktober 2011 zeigt Kathy Gannon, die Kollegin von Anja Niedringhaus, die bei dem Angriff auf das Auto der Journalistinnen schwer verletzt wurde.Hier zeigt die Kanadierin Schülerinnen in Kandahar ihr Telefon.

Der Wagen der Reporterinnen war Teil eines Wahlkonvois, der in der Unruheprovinz Chost Wahlzettel ausliefern sollte. Sie warteten in einem Distrikt an der pakistanischen Grenze auf die Abfahrt, als ein Polizist mit seinem Kalaschnikow-Sturmgewehr auf das Auto zulief. Ein Begleiter der Frauen, ein freier Mitarbeiter von AP Television, berichtete, der Polizist habe mit den Worten „Allahu Akbar“ (Gott ist Groß) das Feuer auf die Frauen auf der Rückbank eröffnet.

Taliban weisen Anschuldigung zurück

Der Todesschütze, der eine Polizeieinheit befehligt haben soll, wurde festgenommen und wird nach Angaben des Innenministeriums verhört. Die Taliban haben zwar angedroht, die Wahl mit allen Mitteln anzugreifen. Dennoch beeilten sich die Aufständischen am Freitag, jede Verantwortung für die Tat zurückzuweisen. Auch wenn den Aussagen der Taliban selten Glauben zu schenken ist, ist nicht ausgeschlossen, dass es sich um einen Einzeltäter handelte.

Afghanische Polizisten und Soldaten haben in den vergangenen Jahren mehrfach Angehörige der internationalen Truppen gezielt getötet - als Taliban-Schläfer in den Sicherheitskräften, aber auch als Einzeltäter. Im Militärjargon werden diese Angriffe „Green on Blue“ genannt - in Abwandlung von „Blue on Blue“, wenn Nato-Soldaten versehentlich auf Verbündete schießen. Ausländische Journalisten waren bislang aber nicht zum Ziel solcher Attentate geworden.

Wie sicher sind die Sicherheitskräfte?

Auch wenn der Attentäter vom Freitag aus eigenem Antrieb heraus gehandelt haben sollte: Das ohnehin nicht besonders große Vertrauen in die afghanischen Sicherheitskräfte, die wegen der Bedrohungslage vor der Wahl fast überall präsent sind, hat weiter Schaden genommen.

Journalisten fühlten sich früher in Afghanistan in der Regel nicht als Teil des Konflikts, sondern als neutrale Beobachter akzeptiert - auch von den Taliban. Die Gefahr bestand zwar, zufällig in einen Anschlag der Aufständischen zu geraten. Auch Entführungen gab es. Reporter wurden aber meist nicht gezielt ermordet.

Angriffe auf Journalisten häufen sich

In jüngster Zeit hat sich das geändert. Der Angriff ist bereits der dritte innerhalb von weniger als einem Monat, bei dem Journalisten in Afghanistan getötet wurden. So wurde der schwedische Korrespondent Nils Horner am 11. März auf offener Straße in der Hauptstadt Kabul mit einem Kopfschuss ermordet. Zwar bekannte sich eine extremistische Splittergruppe zu der Tat, die Horner einen britischen Spion nannte. Belastbare Erkenntnisse zu den Hintergründen liegen aber nicht vor.

Am 20. März stürmte ein Taliban-Selbstmordkommando das Restaurant des Serena-Hotels in Kabul, in dem das afghanische Neujahr gefeiert wurde. Unter den neun getöteten Zivilisten war der Reporter Sardar Ahmad, der seit Jahren für die französische Nachrichtenagentur AFP arbeitete. Auch Ahmads Ehefrau und zwei seiner Kinder - drei und fünf Jahre alt - wurden von den jugendlichen Angreifern erschossen. Die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) forderte am Freitag Schutz von der afghanischen Regierung für Journalisten.

Niedringhaus wurde 2005 nicht nur mit dem Pulitzer-Preis, sondern auch mit einer Auszeichnung für „Mut im Journalismus“ geehrt. In einer Mitteilung von AP-Präsident Gary Pruitt an die Mitarbeiter der Agentur hieß es am Freitag, Journalismus sei ein Beruf für mutige und leidenschaftliche Menschen, die die Welt fair und genau informieren wollten. „Anja Niedringhaus hat diese Definition in jeder Weise erfüllt. Wir werden sie furchtbar vermissen.“ (dpa)