„Achtung, Reichelt!“ ist jetzt bei Youtube

Von Joachim Huber
Julian Reichelt hatte nach seinem Rauswurf als „Bild“-Chef angekündigt, er wolle reichweitenstarkes Fernsehen machen. Das dauert offenbar länger als gedacht, womit die Gefahr wächst, dass Reichelt zum „Has-been“ mutiert, ja vergessen wird. Das muss für einen 42-Jährigen, der mit „Bild“, bild.de und dann Bild TV ein riesiges Medien-Orchester dirigieren konnte, eine unerträgliche Vorstellung sein.
Reichelts Währung heißt Aufmerksamkeit. Er konnte diese seit seinem Abgang bei Springer in den Sozialen Netzwerken, vor allem bei Twitter, erzielen. Aber das kann nicht genügen. Seit Dienstag präsentiert er eine „Meinungs-Show“ auf der Plattform Youtube.
In der ersten gut 20 Minuten langen Folge der Sendung „Achtung, Reichelt!“ sprach Reichelt mit FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki. Der Publizist und der Politiker, übrigens Bundestagsvizepräsident, sind sich nicht unähnlich, sie sehen sich als Robin Hoods im Freiheitskampf gegen alle und alles, was links, grün, woke und dergleichen ist.
Wer ein solches Welt- sprich Feindbild pflegt, der fühlt sich sicher, motiviert, gerechtfertigt, mehr noch, als Berufener, der Deutschland vor dem Untergang retten will, retten muss.
Im Visier von Reichelt: Wirtschaftsminister Habeck
Am Mittwoch war der Tenor: „Ampel verheizt unseren Wohlstand“. Was folgte, waren 15 Minuten Geraderaus-Reden. In Reichelts Zielfernrohr vor allem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), apostrophiert als „Philosoph des Untergangs“. Geführt werde ein Klassenkampf von oben, sprich die Tesla-Fahrer und Bio-Käufer fordern von denen da unten Verzicht, den sie selber nicht leisten wollen.
Die Machart ist dabei folgende: Reichelt oder sein Team zitieren Politiker, gerne im Bild bei öffentlichen Auftritten, ansonsten fliegen Zitate über den Bildschirm. Dann setzt Reichelt an, er wendet und windet die Aussagen, um aus dem Gesagten dieses Destillat zu gewinnen: Grüne schaffen unser Land ab.
Und weil diese infam sind, verhalten sie sich wie die Vorsitzende Ricarda Lang: Predigt Verzicht – und worauf hat sie bisher verzichtet? Ehrliche Arbeit und eine Beendigung ihres Studiums.

Julian Reichelt passt auf, „Achtung, Reichelt“ schaut und horcht hin, keiner und keine soll ihm entkommen. In seiner Sichtweise stellt er bloß, entlarvt, will seinen Zuschauerinnen und Zuschauern die Augen öffnen, linksversiffte Spreu vom konservativen Weizen trennen, vor einer Politik warnen, die angeblich Gutes will und doch nur Böses schafft.
Reichelt läuft dabei kein Schaum aus dem Mund, nein, er verkündet seine Triumphe mit Lächeln im Gesicht. Sieht verrutscht aus, das Mokante steht ihm nicht.
Was ist Julian Reichelt bei Youtube? Karl-Eduard von Schnitzler 2.0? Ein Prediger in der Berichts- und Meinungswüste? Ein Wahrsprecher, wo andere immer nur verschleiern und vertuschen? Von alledem steckt etwas in diesem nie enden wollenden Kriegsreporter. An den Zugriffszahlen zeigt sich, dass Reichelt nicht alleine ist, dass da nicht wenige warten, auf dass Reichelt all den Heuchlern Klartext ins Gesicht schleudert und Camoufleuren die Maske vom Gesicht reißt.
Im ganz großen Medienchor ist „Achtung, Reichelt“ noch eine kleine Nummer. Er will und wird dort Aufmerksamkeit arrondieren, wie die Springer-Formate grasen. „Bild“, bild.de und Bild TV rechts zu überholen, das könnte Reichelt gelingen. Im Gesamtpanorama deutscher Publizistik zieht er keine größeren Kreise. Aber das ist er schon: ein Seismograph jener Stimmungen im Land, die mehr und mehr zur Radikalisierung und Selbstradikalisierung neigen.