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Bully Herbigs neuer Film "Tausend Zeilen" setzt aufs große Besteck

Michael Bully Herbig macht aus dem Skandal um Spiegel-Autor Claas Relotius mit viel Aufwand eine flotte und unterhaltsame Medien-Komödie.

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Lars Bogenius (Jonas Nay) will mit seinen Geschichten punkten und lässt dafür die hinderlichen Fakten schon mal weg oder erfindet sie.
Lars Bogenius (Jonas Nay) will mit seinen Geschichten punkten und lässt dafür die hinderlichen Fakten schon mal weg oder erfindet sie. © Warner Bros.

Von Andreas Körner

Kinoleben ohne Hochstapler, so ein abgewandelter Weinspruch, ist möglich, aber sinnlos. Die Ganoven der Wahrheit müssen für pfiffige Zerstreuung nicht immer erdacht werden, die Realität kennt die Namen. Sie operieren, ohne jemals ein Arztstudium absolviert zu haben, fälschen berühmte Gemälde und die wahnwitzigsten Tagebücher, fliegen als Pilot um die Erde, ohne aufzufliegen. Auf der Leinwand sieht sich das dann zumeist zügig weg, wird zur Komödie, wenn es ganz gut kommt zur Satire und ist sehr gern an jene adressiert, die sich haben gehörig auf den Arm nehmen lassen.

Seismografische Messungen, wären sie denn nach wie vor von gesteigertem Interesse, würden wohl noch heute im Hamburger Stammhaus des Nachrichtenmagazins Der Spiegel von zarten Vibrationen künden. Sie stammen von einer Eruption, die im Dezember 2018 die Etagen heftig zum Schwanken brachte. Damals flog mit Claas Relotius ein als Star-Reporter gehandelter und mit allen Wassern hofierter Journalist auf, der nach Strich und Faden betrogen hatte, den Spiegel vor allem, aber nicht nur. Es gab auch andere gern gelesene Opfer.

Elyas M'Barek als Romero und in einer Szene des Films "Tausend Zeilen".
Elyas M'Barek als Romero und in einer Szene des Films "Tausend Zeilen". © Warner Bros.

Die wesentlichen seiner hochpreisdekorierten Interviews und Reportagen aus den Epizentren der Welt waren in Teilen nicht korrekt, frisiert oder gänzlich gefälscht. Am Ende 60 an der Zahl. Relotius hatte sich handwerklich auf den Gipfel seiner Begabung manövriert, es beim Spiegel zur Festanstellung gebracht, moralisch-ethisch jedoch längst dem Verderben übergeben. Nicht nur nebenbei war der junge Mann auch ein Glitzerschräubchen im Walzwerk eines Medienbetriebs, der seine nächste echte Erschütterung dringend nötig hatte.

Heute, knapp vier Jahre später, sitzen wir im Samtgestühl des Kinos und amüsieren uns prächtig. Hinfort ist selbst jene Bitterkeit, die sich damals unter Kolleginnen und Kollegen breitmachte, die mit unnachgiebiger Sorgfalt und lauteren Prinzipien arbeiten und dabei zu oft dem alternativlos kümmerlichen Zeilensatz des Tagesgeschäfts ausgeliefert sind.

Regisseur Michael Bully Herbig (l.) und die Hauptdarsteller bei der Filmpremiere von "Tausend Zeilen".
Regisseur Michael Bully Herbig (l.) und die Hauptdarsteller bei der Filmpremiere von "Tausend Zeilen". © dpa

Mit Michael Bully Herbig hat sich einer der wenigen deutschen Regisseure dieses nach Verfilmung förmlich wimmernden Stoffes angenommen, dem man es zutraut. Weil er dafür das große Besteck aus dem Kasten zu nehmen willens und in der Lage ist. Weil er an einer mit dem Florett gezogenen, giftigen Farce, die demaskieren und nur dem Spiegel einen Spiegel vorhalten will, kein Interesse hat. Weil er ein lustvoller Athlet ist, der seinem Publikum einfach eine gute Komödie vorsetzen will, ohne darauf zu drängen, morgen gleich eine Rechercheanalyse zu starten, um die Sache bis ins Detail zu verstehen, zu werten, be- und zu verurteilen. Andere hätten anders zugreifen können, sie haben es nicht getan.

Als Grundlage von Hermann Florins Drehbuch diente „Tausend Zeilen Lüge“ von Juan Moreno, der gleichsam Spiegel-Autor ist und Relotius auffliegen ließ. Für sein Sachbuch allerdings musste er ebenfalls schwere Vorwürfe einstecken. Relotius selbst traf am meisten, dass er bei Moreno „zur Kunstfigur“ werde. In einem Interview mit dem Schweizer Magazin Reportagen, erschienen im Juli 2021 als Versuch einer rechtfertigenden Aufklärung, erzählte er von „Falschbehauptungen für ein Buch, das Antworten geben will, die es nicht hat, und für einen dramatischen Spielfilm“. Die Rechte für eben diesen Film hatte Moreno noch beim Schreiben verhökert.

Da Michael Herbig aber angetreten ist, um dieses nun fertige Werk frei, fiktional und spielerisch um ein Affärensujet kreisen zu lassen, ist ein Aufwärmen des Sachbuchstreits wenig sachdienlich und vor allem verzichtbar. Alle Namen sind hier natürlich verändert, Ähnlichkeiten beabsichtigt, Klischees willkommen.

Juan Romero (Elias M’Barek) und Fotograf Milo (Michael Ostrowski) sind gern dort auf der Welt, wo es an Konflikten nicht mangelt. Im Grenzgebiet zwischen Mexiko und den USA eröffnet sich für Romero eine zweite Front, denn die „Chronik“, sein Hamburger Auftraggeber, will Lars Bogenius (Jonas Nay) endgültig zum Federführer einer heiklen Titelstory machen. Bogenius hat geschafft, woran Romero und Milo gescheitert sind: Er hat illegale US-Grenzschützer getroffen, die ihre militante Selbstjustiz radikal ausleben, und einer war bereit zu reden. Romero wird zum Zulieferer degradiert. Das schmerzt und fordert ihn heraus, erst recht, als sich vor ihm einige Ungereimtheiten auftun.

„Weniger Ulrich Wickert, mehr Tarantino!“

Im Hause „Chronik“ ist man über erste Verdächtigungen gegenüber Musterautor Bogenius erhaben. Wie heißt ein Marschziel der Chefs Rainer M. Habicht (Michael Maertens) und Christian Eichner (Jörg Hartmann)? „Weniger Ulrich Wickert, mehr Tarantino!“ Und: „Wir gießen die Wirklichkeit in unsere Geschichten.“ Beide Männer, die selbst um neue Posten schachern, vermuten eher eine Fehde zwischen den Buchstaben-Hähnen Romero und Bogenius. Schließlich gebe es in der Redaktion eine Dokumentationsabteilung, die Fake von Echt zu unterscheiden wisse. Als es aber raucht, brennt es längst. Lichterloh.

Elias M’Barek steht vollends im Zentrum der flott geschnittenen, mit einigen wirklich netten optischen Ideen aufgepimpten Story. Er konterkariert ein wenig sein Image als exaktgewichtiger dynamischer Frauengewinnler, takelt angemessen ab, hetzt wie ein Getriebener an seiner Anne (Marie Burchard) und vier kleinen Kindern vorbei in die Arme der Wahrheit und nichts als der Wahrheit. Jonas Nay hingegen macht aus Lars Bogenius einen vordergründig undurchdringlichen und damit in seinen Motivationen wenig greifbaren Antagonisten. Das ist für diese Art Umsetzung angemessen, denn Michael Herbig lässt konsequent die Finger vom extrem komplexen, bis tief in die Psychoanalyse und in Krankheitsbilder reichenden Sezieren einer Persönlichkeit. Auch was die Wirkmechanismen innerhalb von Medien anbetrifft, zeigt er kein großes Wagnis.

Spannung durch Entlarvung, das muss genügen. Vielleicht kann „Tausend Zeilen“ bei denjenigen, für die Lachen nicht nur Weglachen bedeutet, trotzdem seinen Zweck erfüllen.

Der Film läuft in Dresden (Programmkino Ost, Schauburg, UCI, Ufa, Rundkino, Cinemaxx) sowie in Bautzen, Döbeln, Görlitz, Hoyerswerda, Zittau.