Corona und die Folgen für Diabetiker

Es ist eine Warnung vor der Krise nach der Krise. Ein Appell von Medizinern, etablierte Behandlungsstrukturen aus der Vor-Corona-Zeit nun nicht einfach abzuschaffen. Es geht um das Wohl von Diabetes-Patienten und Betroffener anderer Stoffwechselerkrankungen. Im renommierten wissenschaftlichen Fachmagazin Nature veröffentlichten jetzt Diabetes-Forscher aus der ganzen Welt einen gemeinsamen Artikel.
Darin machen sie deutlich, welche Probleme für Diabetiker durch die Pandemie entstehen. Einer von ihnen ist der Dresdner Mediziner Stefan R. Bornstein, Direktor des Zentrums für Innere Medizin sowie der Medizinischen Klinik und Poliklinik III am Dresdner Universitätsklinikum. „Weltweit gibt es bereits 2,5 Millionen Tote durch das Coronavirus“, konstatiert er. Ein Großteil davon litt zudem an Diabetes. „Die Erkrankung ist damit einer der Hauptrisikofaktoren für einen schweren oder tödlichen Verlauf.“ Daraus müssten dringend Konsequenzen gezogen werden.
Wie das Virus den Blutzuckerspiegel beeinflusst
Sehr früh in der Corona-Krise beschäftigen sich Bornstein und seine internationalen Kolleginnen und Kollegen bereits mit dem Zusammenhang zwischen dem neuartigen Virus und Diabetes. Diese Patienten haben demnach ein zehnmal höheres Sterberisiko, wenn sie an Covid-19 erkranken. Mit Blick auf die Zahlen ein relevantes Problem. Ein Viertel der Weltbevölkerung leidet an Diabetes, in Deutschland sind es allein knapp acht bis zehn Millionen.
Noch laufen Forschungen dazu, was der Grund für die negativen Folgen auf den Glukosehaushalt der Patienten ist. Eine große Rolle spielt dabei aber wohl das Angiotensin-Converting-Enzym 2, kurz ACE2. An diesen Rezeptor dockt das Virus im Körper an und stört dessen eigentlich regulierenden Einfluss auf den hormonellen Blutdruck. Das hat Effekte auf den Blutzuckerspiegel. Ein bestehender Diabetes wird verstärkt – oder es tritt sogar ein neuer auf.
„Wir sammeln solche Fälle derzeit in einem Register“, sagt Bornstein. Obwohl von diesem weltweit längst nicht jeder Mediziner weiß, sind in den vergangenen Monaten bereits 300 Fälle zusammengekommen. Inwieweit dieser neue, durch das Virus erworbene Diabetes anhält, müssen Untersuchungen in Zukunft zeigen.
Warum ein Medikament Diabetes-Patienten gefährlich wird
Weltweit sind Forscher derzeit nicht nur auf der Suche nach Impfstoffen gegen das Coronavirus. Auch an wirksamen Medikamenten wird geforscht. Aktuell ist Dexamethason eines der wenigen Medikamente, das die Sterblichkeit bei Covid-19-Patienten in kritischem Zustand deutlich senken kann.
Doch für Menschen mit Diabetes oder anderen Stoffwechselkrankheiten hat das einen Haken. „Das Medikament verschlechtert leider ihre Grunderkrankung weiter“, erläutert Bornstein. Lebensbedrohliche Zustände können die Folge sein. Hinzu kommen häufig ein Anstieg des Blutdrucks und Wassereinlagerungen. Umstände, die die behandelnden Ärzte in den Kliniken unbedingt kennen müssen. Wichtig, so die Wissenschaftler, sind deshalb häufige Blutzuckertests und die Stoffwechselüberwachung auch in den Wochen nach der Medikamentengabe.

Was Falschinformationen anrichten
Für Stefan R. Bornstein sind diese Zahlen alarmierend: Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation haben 155 Länder ihre klinischen Programme zur Behandlung von Patienten mit Stoffwechselkrankheiten teilweise oder ganz eingestellt. Eine globale Umfrage in 47 Ländern hat zudem ergeben, dass Diabetes eine der Erkrankungen ist, die während der Pandemie einen signifikanten Rückgang im Zugang zur Versorgung erfahren hat. In den Krankenhäusern wird Personal, das sich bisher um Diabetes-Patienten kümmerte, nun dringend für die Behandlung von Corona-Betroffenen gebraucht.
„Wir befürchten, dass es bei Diabetikern durch die Pandemie zu Kollateralschäden kommt“, wird er deutlich. Diese kritische Situation gelte natürlich auch für andere chronisch Erkrankte. Aus Angst vor Ansteckung gehen viele derzeit lieber nicht zum Arzt. Mancherorts ist der Zugang zur ärztlichen Versorgung durch die hohe Arbeitsbelastung der medizinischen Kräfte auch eingeschränkt. Hinzu kommen Falschinformationen, die sich schnell verbreiten. „Diabetes-Patienten haben beispielsweise ihre medikamentöse Behandlung selbst geändert, weil sie Angst vor Wechselwirkungen mit Covid-19 hatten“, schildert Bornstein.
Für ähnliche Situationen in der Zukunft müsste deshalb darauf geachtet werden, möglichst schnell gegen solche Fehlinformationen vorzugehen und eine engmaschige Betreuung der Diabetes-Patienten auch in der Krise sicherzustellen. Möglich wäre das durch Telemedizin-Angebote, bei denen sich Betroffene und Ärzte per Online-Treffen unterhalten.
Weshalb aktuell mehr Amputationen nötig sind
Es ist eine der gefürchtetsten Folgeerkrankungen von Diabtes mellitus: das diabetische Fußsyndrom. Betroffene bekommen schwer oder nicht heilende Wunden an den Füßen. Wird nicht rechtzeitig mit einer Therapie begonnen, drohen Amputationen. In Deutschland sind es pro Jahr mindestens 30.000. In der Hälfte der Fälle müssen sogar Unterschenkel- und Oberschenkelamputationen vorgenommen werden. Die Corona-Pandemie hat nun drastische Auswirkungen auf Patienten mit diabetischem Fußsyndrom.
Diabetesbedingte Major-Amputationen, also große Amputationen oberhalb der Knöchel, sind in den USA und anderen westlichen Ländern um 300 Prozent gegenüber den Werten vor der Pandemie gestiegen. „Das Wichtigste beim diabetischen Fußsyndrom ist ein zügiger Beginn der Therapie“, macht Stefan R. Bornstein deutlich. Dann sei viel zu retten.
Weltweit konnten aber in den vergangenen Monaten Patienten mit Fußerkrankungen nur verzögert in Diabeteszentren aufgenommen und behandelt werden. Zumindest in Dresden gibt es nun wieder Hoffnung für sie. Die diabetische Fußstation im Universitätsklinikum könne jetzt nach längerer Schließzeit wieder öffnen, sagt der Arzt.
Warum Diabetiker jetzt schnell geimpft werden müssen
Die am Nature-Artikel beteiligten Wissenschaftler setzen sich für eine frühzeitige Impfung von Diabetes-Patienten ein. Vor allem begründet durch das hohe Sterblichkeitsrisiko bei einer Corona-Infektion. Nicht nur in reichen Ländern, in denen in den kommenden Monaten genügend Impfstoffe zur Verfügung stehen werden. Auch für ärmere Länder müssten Impfungen von Risikogruppen schnellstmöglich umgesetzt werden.
Für die Zukunft appellieren sie an die Verantwortlichen in der Politik und in den Kliniken, den Abbau von pflegerischem und ärztlichem Personal auf Diabetes- und Endokrinologie-Stationen nicht weiter zu forcieren – wie in den vergangenen Jahren geschehen. „Wohin das führt, haben wir jetzt in der Corona-Krise schmerzlich erfahren“, sagt Bornstein. Diese Lektion sei leider durch viele Tote gelernt worden.