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Hunderte gedenken der Opfer des Erfurter Schulmassakers

Am 26. April 2002 erschießt ein ehemaliger Schüler am Erfurter Gutenberg-Gymnasium 16 Menschen. Auch 20 Jahre nach dem Schrecken wird in der Thüringer Landeshauptstadt die Erinnerung an die Opfer lebendig gehalten.

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Das Foto von 2002 zeigt das Gutenberg-Gymnasium nach dem Amoklauf.
Das Foto von 2002 zeigt das Gutenberg-Gymnasium nach dem Amoklauf. © dpa

Erfurt. Die massiven Stufen, die zum Erfurter Gutenberg-Gymnasium führen, sind an diesem Schultag fast leer. Nur zwei Sprechpodeste, ein übergroßer Kerzenständer mit 16 Halterungen und eine große Glocke stehen dort. Ein Gesteck aus gelben Sonnenblumen in Form des Buchstabens "G" liegt auf den Stufen. Viele Fenster der umliegenden Wohnhäuser sind sperrangelweit geöffnet. Die Anwohner schauen hinaus auf den Platz vor der Schule. Auch die Kameras der Medien sind auf die Stufen gerichtet. Am Fuße haben sich nach Polizeischätzungen rund 500 Menschen zusammengefunden. Leise begrüßt man sich, nickt sich zu. Bis um 11.01 Uhr die Glocken anfangen zu läuten.

Vor 20 Jahren, am 26. April 2002, hatte zu dieser Zeit in der thüringischen Landeshauptstadt die Tat eines ehemaligen Schülers begonnen. Der 19-Jährige erschoss innerhalb von knapp zehn Minuten zwölf Lehrkräfte, eine Schülerin und einen Schüler, eine Sekretärin, einen Polizisten und letztlich sich selbst. Es war das erste Schulmassaker eines solchen Ausmaßes an einer deutschen Schule. Zuvor waren Massaker mit Schusswaffen ein Phänomen, dass man aus den USA kannte, etwa von der Columbine High School in Littleton (1999).

"Die Bilder dieser Ereignisse gingen um die Welt und tun es jetzt, wo wir hier miteinander stehen, weiter", sagt Schulleiterin Christiane Alt nach dem Geläut. Die Toten seien für Außenstehende namenlos. Daher würden bei dieser Gedenkveranstaltung die Namen aller 16 Opfer genannt. Nach jeder Namensnennung erklingt ein Gong der hauseigenen Erinnerungsglocke auf den Stufen vor der Schule. Nach der individuellen Erinnerung wird eine Kerze für jedes Opfer aufgestellt.

Christiane Alt, Schulleiterin, hält weiße Rosen in den Händen
Christiane Alt, Schulleiterin, hält weiße Rosen in den Händen © dpa

Der Gitarre spielende Lehrer, die Faschings-begeisterte Lehrerin oder die hilfsbereite Schülerin, die gerne Briefe schrieb: "Wir erinnern uns an sie alle in ihrem Alter, in dem sie sterben mussten", bedauert Alt. Die Schülerinnen und Schüler von heute sowie viele andere Menschen kennen die Opfer nach so vielen Jahren nicht mehr - deshalb sollten die vielen Erinnerungen an sie durch ihre Lebensgeschichten, Hobbys und die Erzählungen über sie lebendig gehalten werden, so die Schulleiterin.

Im Anschluss an eine Schweigeminute legen Alt sowie Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) und weitere Vertreter der Landesregierung vor der Gedenktafel mit den Namen der Opfer Blumen nieder. Noch heute sind 13 Lehrkräfte von damals - und damit Zeitzeugen - an der Schule aktiv. Sie finden sich ebenso wie ehemalige Kollegen und Kolleginnen zum Gedenken ein. Auch ehemalige und aktive Schülerinnen und Schüler der Schule am Rande der Erfurter Innenstadt reihen sich ein, um mit weißen Rosen, Tulpen und anderen Blumen der Opfer zu gedenken.

Ramelow hat Tat jahrelang beschäftigt

Er erinnere sich auch nach 20 Jahren noch genau an den Tag im April 2002, sagt Ramelow, der damals Landtagsabgeordneter war, nach der Gedenkveranstaltung. "Es ist für mich eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit einem Tag, den ich aus meinem Gedächtnis nicht streichen kann." Er habe das Geschehene durchlebt - und mit den Angehörigen durchlitten. "Ich stand vor dieser Schule, und ich habe die ganze Schwierigkeit über Stunden der Unsicherheit hinweg erlebt. Am Anfang nur mit der Information, es sollen drei Menschen tot sein. Und dann, so nach und nach, im Laufe des Tages wurde dann deutlich, es ist viel schrecklicher. Und das hat mich danach noch jahrelang beschäftigt."

"Seit dem Amoklauf hat das Gutenberg-Gymnasium einen langen und schweren, aber letztlich erfolgreichen Weg hinter sich", lässt Bildungsminister Helmut Holter (Linke) verlauten. Die Schule sei "wieder zu einem sicheren und geborgenen Lernort geworden". Der 20. Jahrestag der Morde mahne jedoch, nicht nachzulassen bei der Arbeit für sichere Schulen und für "eine Zukunft ohne Gewalt", wie es auf der Erinnerungstafel der Schule heißt.

Nach einer knappen Stunde löst sich die Masse langsam auf. Einige Angehörige, Ehemalige sowie Aktive der Schule begeben sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit zur Begegnung ins Schulgebäude. Und auch die Fenster schließen sich. (dpa)