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Der Fliegenpilz ist Pilz des Jahres

Weil er schön und bekannt ist, ist der Fliegenpilz als Pilz des Jahres 2022 ausgesucht worden. Verzehren sollte man den Giftpilz trotzdem nicht.

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Beim Spaziergang im Wald fällt der Fliegenpilz mit seinen kontrastreichen Farben sofort ins Auge
Beim Spaziergang im Wald fällt der Fliegenpilz mit seinen kontrastreichen Farben sofort ins Auge © SZ / Uwe Soeder

Karlsruhe/Ruhestein. Der Fliegenpilz ist "Pilz des Jahres 2022". Er wurde von der Deutschen Gesellschaft für Mykologie (DGfM) mit Sitz in Karlsruhe anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Gesellschaft ausgewählt. "Wir haben uns für den Fliegenpilz entschieden, weil er ein sehr schöner, auffälliger und bekannter Pilz ist", sagte Stefan Fischer von der DGfM dem Evangelischen Pressedienst.

Beim Spaziergang im Wald fällt der Fliegenpilz mit seinen kontrastreichen Farben sofort ins Auge: leuchtend roter Hut, weiße Tupfen, weißer Stiel und weiße Lamellen. Der Anblick ruft Erinnerungen an Bilder aus Märchen und Kinderbüchern wach. Als Glücksbringer ist er neben dem Hufeisen oder dem vierblättrigen Kleeblatt ein beliebtes Motiv. Der Ausdruck "Du Glückspilz!" erlangte laut Fischer erst spät seine positive Bedeutung. Im 19. Jahrhundert habe der "Glückspilz" noch als ein "Emporkömmling" gegolten und sei ein Schimpfwort gewesen.

Der Fliegenpilz ist ein Giftpilz. Sein Genuss löst Übelkeit, Magen-Darm-Probleme, Verwirrung oder Rauschzustände aus. Verantwortlich für die psychotrope Wirkung ist das zwar nur in kleiner Menge im Pilz vorkommende, aber hochgiftige Muscimol. Der Stoff gab dem Fliegenpilz seinen lateinischen Namen "Amanita Muscaria".

Todesfälle durch Verzehr eher selten

Weniger giftig, dafür in umso größerer Menge im Pilz enthalten, ist die Ibotensäure. Sie verursacht die körperlichen Beschwerden. "Todesfälle durch den Genuss des Fliegenpilzes sind selten", ordnet Fischer die Giftigkeit des Pilzes etwa hinter dem grünen Knollenblätterpilz ein.

Schamanen hätten ihn im 17., 18. und 19. Jahrhundert getrocknet und als Rauschmittel gegessen. Weil das Muscimol vom Körper nur langsam abgebaut wird, findet sich noch im Urin eine ausreichende Menge des Halluzinationen auslösenden Stoffes. Auch er sei getrunken worden, weiß Fischer. Der weltweit vorkommende Giftpilz zeigt sich gehäuft von September bis November. Vereinzelte Exemplare findet man schon ab Juni. Wegen der lang anhaltenden Trockenheit sprießt der Pilz in diesem Jahr später als in anderen Jahren.

"Was wir sehen, ist nur der Fruchtkörper", sagt Fischer und erklärt: "Pilze bilden ein eigenes Reich". Sie sind weder Tiere noch Pflanzen. Über der Erde ist der Pilz nur kurze Zeit zu sehen, er verfällt nach wenigen Tagen. Der dauerhafte Lebensraum der Pilze ist im Boden. Unter dem Fachbegriff "Mykorrhiza" (griechisch: mykes = Pilz, rhiza = Wurzel) verstehen Fachleute die Lebensgemeinschaft von Bodenpilzen, die mit Pflanzenwurzeln in einer Symbiose leben. Der Pilz besiedelt das Wurzelsystem der Pflanze, versorgt diese mit Nährstoffen wie Phosphor oder Stickstoff sowie Wasser. Im Gegenzug erhält der Pilz von der Pflanze lebenswichtige Kohlenhydrate, die er selbst nicht bilden kann. Der Fliegenpilz geht besonders mit Buchen, Birken und Fichten Symbiosen ein.

"In der Natur geht ohne Pilze nichts", verweist Flavius Popa vom Nationalpark Schwarzwald am Ruhestein auf die ökologische Bedeutung von Pilzen. Rund 80 Prozent aller Pflanzen seien mit Pilzen vergesellschaftet. "Sie besitzen Enzyme, um Totholz abzubauen, könne Schwermetalle aufnehmen", erklärt der Biologe. Pilzexperten gehen davon aus, dass Bäume über die Myzelien im Boden miteinander vernetzt sind. "Sie kommunizieren über das 'Wood Wide Web' (holzweites Netz)", sagt Fischer. Sie senden Duftstoffe aus und können so andere Bäume vor Schädlingen warnen.

"Es gibt weit mehr Pilze als Pflanzen oder gar Tiere", berichtet Popa. Sie kommen als essbare Pilze, aber auch als Heil- oder Schimmelpilze in der Nahrung - etwa der Hefe oder dem Käse - vor. Antibiotika wären ohne Pilze nicht entwickelt worden. "Die Landkarte der Pilzvorkommen weist viele weiße Flecken auf", sagt der Experte. Die DGfM hat in diesem Jahr erneut zu einer Kartierungsaktion des Fliegenpilzes aufgerufen. Die Aktion wird unterstützt vom Nationalpark Schwarzwald und vom Nationalpark Bayerischer Wald. Pilzvereine und andere Pilzkenner können Fundorte des Fliegenpilzes melden. (epd)