Halle-Attentäter leugnet Holocaust vor Gericht

Von Hannes Heine
Blitzlicht, dicht gedrängte Fotografen, mit Sturmhauben maskierte Wachschützer. Noch einmal eskortieren Beamte den Angeklagten aus einer Seitentür in den Saal C 24 des Landgerichts in Magdeburg. Auf diese Bühne begleiten sie Stephan B. zum letzten Mal, bevor in elf Tagen das Urteil fällt. Nur noch an diesem Tag werden ihm seine zahlreichen Opfer, dazu die vielen Reporter und Justizbeamten zuhören.
An diesem Mittwoch, dem 25. Prozesstag über das Massaker von Halle an der Saale, bekommt Stephan B. das letzte Wort – und er will das nutzen.
Sobald ihm die Vorsitzende Richterin die Gelegenheit gibt, fängt B. mit leichtem Krächzen an, von einem „Schauprozess“ zu reden, in dem das Urteil schon feststehe – er mache sich keine Illusionen darüber, dass er eine lebenslängliche Haftstrafe erhalten werde. Vom Kampf gegen die „globalistisch-jüdische Weltordnung“ halte ihn das nicht ab: „Nach dem Bürgerkrieg werden wir sehen, wer Recht behielt.“
"Dafür soll er nochmal sitzen"
Stephan B. sitzt an seinen Tisch, die Wachmänner in den schusssicheren Westen stehen wie jeden Verhandlungstag neben ihm. B., das haben die vergangenen Monate gezeigt, ist ein Antisemit, der das Töten nicht nur gewollt hat, er hat es wieder und wieder glorifiziert.
Am 9. Oktober 2019 hatte B. „Juden töten“ wollen, so sagte er es in den Vernehmungen, so kündigte er seinen Mordzug durch Halle in einem Livestream im Internet an. An Jom Kippur, dem höchsten Feiertag des Judentums, fuhr B. aus seinem Heimatort Benndorf im Südharz nach Halle an der Saale und versuchte dort in die volle Synagoge einzudringen. Die massive Holztür hielt den Schüssen seiner Waffe stand.
Vor der Synagoge tötete er eine 40 Jahre alte Passantin, mit einem Mietwagen raste er los, stoppte an dem im Hallenser Paulusviertel bekannten „Kiez-Döner“ und erschoss einen 20 Jahre alten Maler, der dort zu Mittag aß. B. feuerte auf die Mitarbeiter des Lokals, auf Polizisten, auf Männer, denen er auf der Flucht begegnete.
Nach einem Unfall auf der B 91 wurde er in einem geraubten Auto festgenommen. Angeklagt ist B. des zweifachen Mordes, des 68-fachen versuchten Mordes, der gefährlichen Körperverletzung, räuberischer Erpressung und Volksverhetzung. Das Oberlandesgericht Naumburg verhandelt in Magdeburg, weil es in Sachsen-Anhalt nur im dortigen Landgericht einen ausreichend großen Saal gibt.
Er bekommt noch eine Anzeige
Als B. am Mittwoch den Holocaust leugnet, protestieren die Nebenklage-Vertreter. An die Vorsitzende gewandt, fordert ein Anwalt der Opfer des Attentäters lautstark: „Protokollieren Sie das!“ Ein anderer ruft: „Dafür soll er noch mal sitzen!“ Richterin Ursula Mertens wendet sich B. zu: „Holocaust-Leugnung ist ein Straftatbestand, ich habe es Ihnen erklärt.“

Mertens unterbricht die Sitzung, B. muss mit einer Anzeige rechnen. Onur Özata, der Nebenklageanwalt des von B. beschossenen Mitarbeiters des „Kiez-Döner“, bezeichnete das Verfahren grundsätzlich als sorgfältig und souverän geführt.
Doch woher der Wahn kommt, hinter realem und vermeintlichem Elend „die Juden“ zu vermuten, konnte auch dieser Prozess nicht klären. Am Vortag hatte der Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Halle, Max Privorozki, gesagt, dass aus seiner Sicht weder die von B. frequentieren Neonazi-Seiten im Internet noch die Flüchtlingskrise 2015 die Ursache des Hasses gewesen seien: „Die Quelle des Hasses liegt in der Familie des Attentäters“.
Die Rolle des Elternhauses, sagte Privorozki an die Bundesanwaltschaft gerichtet, sei zu wenig beleuchtet worden. Die Eltern und die Schwester des Angeklagten hatten nicht vor Gericht ausgesagt, also ihr Zeugnisverweigerungsrecht genutzt.
Deutschland hat ein Antisemitismus-Problem
Andere Betroffene verwiesen auf rechtsextreme, zunächst virtuelle Netzwerke, in der sich Männer wie B. mit Gleichgesinnten austauschen können. Und auch darauf, dass der Angeklagte kein Einzeltäter, zumindest kein Einzelfall sei: Deutschland habe ein Antisemitismus-Problem.
Für die meisten Prozessbeobachter – Opfer, die Angehörigen der Getöteten, Reporter, Beamte – ist die Lage ansonsten weitgehend klar: B. war vom ersten Tag an geständig, zeigte keine Reue, rechtfertigte seine Tat mit verschwörungsideologischen Versatzstücken. Im Zentrum stehen dabei immer: Juden. Die Bundesanwaltschaft forderte für B. lebenslange Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung. Die Anwälte der Nebenklage schlossen sich dem an.
Erkan Görgülü, der den Vater von Kevin Schwarze vertritt, jenen jungen Maler, den B. im „Kiez-Döner“ erschoss, sagte über den Angeklagten zu den Richtern: „Bitte sorgen Sie dafür, dass er nie wieder auf freien Fuß kommt.“
Auch Stephan B. hätte ein besseres Leben haben können
Und vielleicht beschrieb Nebenklageanwalt Görgülü den Angeklagten am prägnantesten, als er im Laufe des Prozesses zu Stephan B. sagte, dass der von ihm erschossene Maler, geboren mit einer Behinderung, im Leben gekämpft habe: „Das hätten sie auch gekonnt. Stattdessen saßen Sie in Ihrem Kinderzimmer.“
Mit 27 Jahren lebte B. im Kinderzimmer der mütterlichen Wohnung in Benndorf, gerade 2000 Einwohner. Als Dauernutzer von Internetforen passierte im analogen Leben des Stephan B. wenig. Keine Freunde, kein Sex, kein Job, keine Hobbys.
Im Fokus des Mannes aber: die Juden. Sie macht B. für allerlei Fragen des Weltgeschehens verantwortlich: die Flüchtlingskrise, die Globalisierung, die den Einzelgänger aus dem mitteldeutschen Kinderzimmer verwirrende Gesellschaft.
B. wächst in kleinbürgerlichen Verhältnissen auf, die Mutter ist Grundschullehrerin, der Vater Elektriker. Eine Halbschwester, ein heute vierjähriger Neffe, sind für B. sowas wie Freunde. „Ich war unsportlich, in der Hierarchie ganz unten“, hat B. zu Prozessbeginn gesagt. So sei es auch bei der Bundeswehr gewesen, „ein Außenseiter“.