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Hilfe aus Sachsen, damit alles bald wieder fertig ist

Nach der Flut in der Region Aachen unterstützt die Stiftung „Lichtblick“ mit Spenden von SZ-Lesern die Bürger-Selbsthilfe in Zweifall und Vicht.

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Unvermittelt war die Flut über das Vichttal hereingebrochen. Die Sperrmüllberge sind mittlerweile geschrumpft. Christina Bungenberg und Heinz-Gerd Braun (r. M.) in Zweifall, Günter Scheepers (u. l.) und Jochen Emonds (u. r.) in Vicht organisieren seith
Unvermittelt war die Flut über das Vichttal hereingebrochen. Die Sperrmüllberge sind mittlerweile geschrumpft. Christina Bungenberg und Heinz-Gerd Braun (r. M.) in Zweifall, Günter Scheepers (u. l.) und Jochen Emonds (u. r.) in Vicht organisieren seith © Medienhaus Aaachen/Heike Lachmann, Bernd Büttgens

Von Bernd Büttgens

Was ist das denn für eine Arbeitsmoral?“ Der Mann im schmutzigen Overall, der auf der Gartenmauer sitzend eine Zigarette raucht, schaut irritiert auf. „Ach, du bisset, Jünter! Ich mach‘ mal ’n Päuschen.“ Die beiden Männer lachen. Der Ton ist rheinisch jovial. „Wie ist denn die Lage?“, fragt der Hausbesitzer auf dem Mäuerchen, der jetzt schon so lange Schutt schleppt. „Es gibt Grund zur Hoffnung“, sagt Günter Scheepers. Trotz allem.

Die Menschen in Vicht und in Zweifall, die wie so viele andere entlang der regionalen Bäche und Flüsse in der Region Aachen von der Flut auf so verheerende Weise heimgesucht worden sind, haben den Mut nicht verloren. Unverdächtig gluckernde Bächlein, der Hasselbach, der Vichtbach, auch der Fischbach auf der anderen Seite des Tals, hatten sich Mitte Juli in reißende Ströme verwandelt, hatten alles mitgerissen und überschwemmt – und haben so viel Leid gebracht. Nach tagelangem Dauerregen, wie ihn die Region noch nicht erlebt hatte, liefen Talsperren über, schwollen die Bäche dramatisch an und traten über die Ufer. Meterhoch. Die Bilder gingen um die Welt, die Betroffenheit und die Anteilnahme waren enorm.

Wir sind für „Lichtblick“ vor Ort, weil wir mit Spendengeldern der Leserinnen und Leser der Sächsischen Zeitung hilfsbedürftige Menschen unterstützen möchten, und wir begegnen in Vicht wie in Zweifall den Leuten, die die Bürger-Selbsthilfe initiiert haben und seitdem organisieren. Günter Scheepers und Jochen Emonds und so viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter mehr in Vicht. Und Christina Bungenberg und Heinz-Gerd Braun mit ihren Leuten in Zweifall.

Das Zauberwort heißt Gemeinschaft. Hier wie dort haben sich die als gemeinnützige Vereine bereits existierenden Interessengemeinschaften der Orte in Nothilfeorganisationen für Flutopfer verwandelt. Der Zweck der Vereine hat sich inhaltlich verschoben. Es heißt jetzt nicht mehr: „Unser Dorf soll schöner werden.“ Es heißt jetzt: „Unser Dorf wird wieder aufgebaut.“

„Als das Wasser kam, mussten wir schnell reagieren“, sagt Tina Bungenberg. „Da wartet man nicht auf die Hilfe von außen, da packt man selbst an.“ Und sie zeigt auf dem Handy Bilder des tagelangen Einsatzes. Man sieht viele Menschen, die mitmachen, die von überall hergeeilt sind, um anzupacken. Jede Hand wurde gebraucht.

Selbst die Einsatzkräfte waren von der Geschwindigkeit der Flut überrascht.
Selbst die Einsatzkräfte waren von der Geschwindigkeit der Flut überrascht. © Medienhaus Aaachen/Heike Lachmann, Bernd Büttgens

Wer heute durch die Orte fährt, die bis zu 2,50 Meter unter Wasser standen und in denen Familien – von den Kindern bis zu den Großeltern – mit Booten der Feuerwehr und des Technischen Hilfswerks aus den Fenstern der ersten Etage gerettet werden mussten, sieht natürlich, dass hier etwas Gravierendes passiert sein muss. Aber so offensichtlich wie noch Mitte, Ende Juli sind die zumindest sichtbaren Folgen des Hochwassers nicht mehr. Die Sperrmüllberge sind geschrumpft, Bürgersteige und Straßen sind und werden gerade wieder hergerichtet, es fließt der Verkehr.

„Aber wenn Sie genauer hinschauen“, sagt Jochen Emonds in Vicht, „dann sehen Sie, dass in der gesamten Hauptstraße vom Ortseingang bis zur Tankstelle am Ortsende alle Erdgeschosse verwaist sind, zum Teil sind die gesamten Häuser betroffen.“

Wir gehen in ein Wohnhaus, dessen liebevolle Sanierung gerade vollendet war, als der Vichtbach das Wasser nicht mehr halten konnte. Das rohe Mauerwerk steht noch, der Putz ist inzwischen von den Wänden geschlagen worden, der Estrich musste herausgerissen werden, der Holzboden im Wohnzimmer ist komplett weg, freie Sicht in den Keller. Kein Einzelfall. Eher die Regel. Die hier betroffene Familie wohnt jetzt im ersten Obergeschoss, die Nachbarn zur Linken sind fürs Erste ins nahe gelegene Breinig gezogen, „rauf auf den Berg“. Von anderen hört man, dass sie gar nicht mehr ins Tal zurückkommen wollen. Vicht und Zweifall, das sind zwei schön gelegene, stets fein herausgeputzte Orte im Vichttal, am Fuße der Eifel. Für viele Kaiserstädter, für viele Bewohnerinnen und Bewohner der Städteregion Aachen, für viele Belgier und Niederländer, die am Wochenende in den Wäldern und an den Seen Erholung suchen, geht die Fahrt in die Eifel durch die beiden Dörfer. Hier fängt die Erholung an, so schön ist es hier. Jetzt sind Vicht und Zweifall Krisengebiete, weil das Wasser die Orte geflutet hat.

Auch in Stolberg und in Eschweiler im weiteren Verlauf der Bäche und Flüsse ist das so. In Stolberg, der Stadt, zu der Vicht und Zweifall gehören, hat Bürgermeister Patrick Haas gerade in einer Ratssitzung gesagt, dass 5.000 Wohnungen derzeit nicht bewohnbar seien. Der Wiederaufbau der Innenstadt soll bis zu zehn Jahre dauern. Man diskutiert über modernen Hochwasserschutz, streitet über Verantwortlichkeiten, denkt über neue Wege im Katastrophenschutz nach. Rott, Mulartshütte, Zweifall, Vicht, Stolberg, Eschweiler, Inden, Randerath, Uphoven – die Spuren des Hochwassers ziehen sich durch die Orte der Aachener Region.

Christina Bungenberg und Heinz-Gerd Braun organisieren die Selbsthilfe in Zweifall,
Christina Bungenberg und Heinz-Gerd Braun organisieren die Selbsthilfe in Zweifall, © Medienhaus Aaachen/Heike Lachmann, Bernd Büttgens

Die Bürgerinnen und Bürger packen unverdrossen an. „Das war von der ersten Minute an so“, sagt Heinz-Gerd Braun, den in Zweifall alle „Jollo“ nennen und der für seinen Ort im Stolberger Stadtrat sitzt. Er ist wie Tina Bungenberg und die anderen, die die Hilfe organisieren, seit zwei Monaten in Aktion. „Eigentlich sollte ich langsam tun“, sagt der ehemalige Dachdecker. „Aber gucken Sie mal, was hier an Arbeit ist!“ Ansprechbar sind die Dauerhelfer, das Handy klingelt in einem fort. Wie lange sie das denn durchziehen wolle, fragen wir Tina Bungenberg. „Bis wieder alles fertig ist“, sagt sie.

Wer zuhört, versteht schnell: Es geht um ganz praktische Hilfe, anfangs um knallharte Arbeit, Häuser entrümpeln, Trümmerberge auftürmen und abtragen, Container befüllen, all die Autowracks entsorgen. Als im Zweifaller Ortskern, ein paar Meter von der Kirche entfernt, das Wasser abgeflossen war, stapelten sich 58 Autos ineinander verkeilt, die aus dem gesamten Dorf, teilweise aus Nachbarorten angespült worden waren. Ein drastisches Bild. Heute kann man einige der Wracks noch auf einem Firmenparkplatz oberhalb von Stolberg sehen, auf ihrer letzten Station vor der Schrottpresse.

„Das ganze Dorf hat mit angepackt“, heißt es in Vicht wie in Zweifall, beide Dörfer mit rund 2.000 Einwohnern sind starke Einheiten. Man kennt sich. Man hilft sich. Man denkt auch an die, die nicht mehr selbst anpacken können. Weil sie krank und alt sind. Und still, auch in der Not.

Und dann gab es die Unterstützung von außen, all die unbekannten Helfer, auch die Landwirte, die Unternehmer mit schwerem Gerät, Menschen mit viel handwerklichem Geschick. Mit unbändiger Energie waren sie dabei. „Dafür sind wir dankbar“, sagt Tina Bungenberg, die eigentlich – im Moment eher nebenbei – ein Café betreibt. Im Bürgerbüro, einem Container gegenüber der Kirche, geht es um die Beratung in Versicherungsfragen, um die Entkernung der Häuser, um die Organisation des Wiederaufbaus, um Handwerker und Geräte. Auch die Stadtverwaltung Stolberg ist hier mit Rat und Tat dabei.

Und es geht um ein freundliches Wort. Weil das Leid über das Verlorene so groß ist, all die wertvollen Erinnerungen, die Bilder, die Briefe, halt die persönlichen Schätze eines Lebens. Vielen blieb nichts als das, was sie gerade am Leib trugen, als das Wasser kam.

Und jetzt ist klar, die Katastrophe ist noch lange nicht zu Ende. „Ja, das stimmt“, sagt auch Günter Scheepers in Vicht, ein gestandener Handwerksmeister, „wir brauchen den langen Atem, da wird noch manche Träne der Verzweiflung fließen.“ Die Leute vom Fach wissen, dass es noch lange dauern wird, bis alles wieder auf dem Stand von Anfang Juli ist. Die kaputten Häuser müssen erst einmal abtrocknen. Es ist schwierig, Handwerker zu finden. Mancherorts weicht die Kraft, der Frust zieht ein. „In einem Jahr“, so sagt „Jollo“ Braun, „sind wir hoffentlich über den Berg.“

Günter Scheepers (l.) und Jochen Emonds in Vicht organisieren seither mit Mitstreitern die Bürger-Selbsthilfe.
Günter Scheepers (l.) und Jochen Emonds in Vicht organisieren seither mit Mitstreitern die Bürger-Selbsthilfe. © Medienhaus Aaachen/Heike Lachmann, Bernd Büttgens

Aachener Zeitung und Aachener Nachrichten schreiben seit Wochen über die Hochwasser-Lage in der Region. „Wer sich mit dem Ausmaß der Hochwasser-Folgen intensiv befasst, denkt manchmal: Das sind zu viele Schicksalsschläge auf einmal“, sagt Chefredakteur Thomas Thelen. „Wenn die Katastrophe vor der eigenen Haustür passiert, dann berührt und trifft es einen umso tiefer.“

Gerade hat der Redaktionsleiter, der zugleich auch der Vorsitzende des Hilfswerks seiner Zeitungen, „Menschen helfen Menschen“, ist, erfahren, dass die Leserinnen und Leser der Sächsischen Zeitung rund eine Million Euro für die Flutopfer im Westen Deutschlands gespendet haben. Ein Viertel davon geht nun in die Aachener Region und wird über „Menschen helfen Menschen“ weitergegeben. „Wir sind sehr bewegt und danken den Leserinnen und Lesern sehr“, sagt Thelen. „Ich kann mich gut daran erinnern, dass unsere Leserschaft 2002 bei der Elbe-Jahrhundert-Flut gespendet hat. Dass nun diese einzigartige Antwort kommt, ist überwältigend.“

Das Aachener Hilfswerk „Menschen helfen Menschen“ unterstützt notleidende Bürgerinnen und Bürger überall in seiner Region. Diese Hilfe kommt an. Es gibt Schwerpunkte der Hilfe, einer davon sind die Nachbarorte Vicht und Zweifall. Hier möchte auch „Lichtblick“ mithelfen. Über die Interessengemeinschaften „Unser Dorf Zweifall“ und „Schönes Vicht“ wird die Hilfe koordiniert.

Die Zweifaller regeln das so: Über ein Punktesystem, das die Bedürftigkeit bewertet, werden Zuwendungen gesteuert, ein elfköpfiges Gremium berät jeden Fall. Von der Schadensgröße über den Versicherungsschutz bis hin zur Haushaltsgröße und bislang erfolgten Hilfsleistung werden viele Eckwerte abgefragt. Wer die volle Punktzahl erreicht, hat einen Maximalschaden erlitten. Die Zweifaller sprechen von rund 70 Haushalten in dieser Kategorie. In Vicht sollen es noch deutlich mehr sein. „Wir werden mit dem Geld, für das wir uns herzlich bedanken, sorgsam umgehen“, sagen die Zweifaller.

In Vicht ist die IG auch aktiv: „Wir haben bereits die Schäden erhoben und ermitteln in Einzelgesprächen die individuelle Lage anhand festgelegter Kriterien“, sagt Jochen Emonds, der Lehrer ist und für sein Dorf im Stolberger Stadtrat sitzt. Auch in Vicht wird das Spendengeld über ein Gremium der IG nach Bedürftigkeit verteilt. Auch hier die Erkenntnis: Viele Häuser sind nicht gegen Elementarschäden versichert, das gilt auch für die entsprechende Versicherung des Hausrats. „Allen Spenderinnen und Spendern können wir nur herzlich danken. Ihre Hilfe kommt auch bei uns eins zu eins an“, garantieren Emonds und Scheepers.

Überall in den Dörfern haben die Bewohner ihrem Dank auf vielfältige Weise Ausdruck verliehen: Das „Dankeschön“ auf Schildern, Transparenten und Plakaten spiegelt wider, wie sehr die Unterstützung in der Not Kraft gibt. Ein schöner erster Schritt des Aufbaus ist in Vicht zu begutachten: Der „Dorfladen“ der Interessengemeinschaft, ein viel gerühmtes Sozialprojekt mit dem Effekt, dass man in Vicht einen gut besuchten Tante-Emma-Laden und vor allem einen beliebten Dorf-Treffpunkt hat, ist wieder geöffnet. „Provisorisch hergerichtet“, sagt Günter Schepers, „aber wir freuen uns über ein kleines Stückchen Normalität.“